„Das ist Primitiv-Keynesianismus“

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Der Ökonom Stephan Schulmeister über mangelhafte Krisenbekämpfung, bisher außer Acht gelassene Systemfehler des Finanzsystems und seine Forderung, besonders reiche Bürger für den Aufschwung zahlen zu lassen, dafür aber Konsumenten und Unternehmer zu schonen.

Der Ökonom Stephan Schulmeister arbeitet am „Institut für Wirtschaftsforschung“. Nicht erst seit dem Ausbruch der Krise warnt er vor den Fehlern des globalen Finanzsystems. Soeben erschien sein Essay „Mitten in der Krise – ein New Deal für Europa“ im Picus-Verlag.

Die Furche: Der G 20-Gipfel hat sich auf eine Halbierung der Staatsschulden in den kommenden Jahren geeinigt – unverbindlich allerdings. Hat diese Ankündigung Aussicht auf Realisierung?

Stephan Schulmeister: Das ist ein reines Lippenbekenntnis: Ein echtes Programm würde konkrete Ziele vorsehen, die eine kontrollierende Instanz überprüft, so ähnlich wie im Prinzip die Konsolidierungsprogramme in der europäischen Union. Davon kann keine Rede sein.

Die Furche: Immerhin lenkt es vom Versagen bei der Regulierung der Finanzmärkte ab.

Schulmeister: Für mich ist das eine Bestätigung meiner Diagnose, dass nämlich nach einer so schweren Krise Verleugnung und Verdrängung die Hauptreaktionsmechanismen sind. Man versucht so weiterzumachen, wie vorher.

Die Furche: Demnach wären die Unsummen, mit denen die Staaten das System gerettet haben, die Vorstufe zum nächsten Absturz.

Schulmeister: Das war eine riesige Symptomkur und nicht eine Reform der systemischen Defekte des Finanzkapitalismus. Die Instabilität der Märkte blieb ausgeblendet. Deshalb bleibt jetzt auch die Therapie aus. Meine These ist: Indem immer mehr Finanzakteure durch Tausch von einer Geldart in die andere noch mehr Geld verdienen wollen, destabilisieren sie die wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft: Wechselkurse, Rohstoffpreise, Zinssätze und Aktienkurse.

Die Furche: Zum Beispiel?

Schulmeister: Vergleichen wir Adam Smiths Bäcker-Modell mit dem Aktienmarkt. Wenn die Nachfrage nach Brot steigt und damit auch sein Preis, so wird ein Bäcker mehr Brot produzieren, weil er dadurch mehr Geld verdient, die Versorgung der Bevölkerung wird verbessert und der Preis wird wieder sinken. Smith nennt dies das Wirken der „unsichtbaren Hand“ des Marktes. Doch dieser Mechanismus funktioniert auf dem Finanzmarkt nicht. Steigen etwa die Aktienkurse, so nimmt deshalb das Angebot an Aktien nicht zu. Vielmehr steigt die Nachfrage, weil immer mehr Trader auf den Trend aufspringen und die Analysten Kaufempfehlungen abgeben, der Kursanstieg wird so verlängert. Fazit: Die „unsichtbare Hand“ funktioniert am Markt kurzfristig fixer Vermögenswerte nicht. Erst wenn viele Aktienkäufer das Gefühl bekommen, die Aktie sei überbewertet, verkaufen sie und andere folgen ihnen. Aus der Überbewertung entsteht dann ein Kurssturz und damit oft eine Unterbewertung, nicht aber ein Gleichgewichtspreis. Schon Keynes hat versucht zu zeigen, dass der Umgang mit Geld auf diesen Märkten nicht mit den Annahmen der Gleichgewichtstheorie übereinstimmt.

Die Furche: Diesen Punkt scheint man geflissentlich zu übersehen, jetzt, da Keynes in aller Munde ist?

Schulmeister: Vieles wird übersehen: Keynes vordringliches Ziel war nicht die Bekämpfung von Krisen nach deren Ausbruch, sondern die Prophylaxe, also ein System zu schaffen, das schwere Rezessionen gar nicht erst zulässt.

Die Furche: Was würde er von den Maßnahmen halten, die die Staaten bisher getroffen haben?

Schulmeister: Was wir bisher gesehen haben, war mit Abstrichen Primitiv-Keynesianismus. Das Verhältnis zwischen dem Aufwand der Krisenbekämpfung und dem erzielten Erfolg war grottenschlecht: Die Staatsdefizite wurden um bis zu zehn Prozentpunkte des BIP ausgeweitet, erzielten aber nur Effekte von zwei bis vier Prozent. Warum? Weil Keynsianismus im Finanzkapitalismus nicht funktioniert. Ein Beispiel: Man senkte die Zinsen. Im Realkapitalismus führt das zu billigeren Krediten für Unternehmer und Haushalte. Im Finanzkapitalismus nehmen die Banken das billige Geld und spekulieren, Unternehmer und Private bekommen nichts.

Die Furche: Gegen solche Missstände würde aber auch eine Finanztransaktionssteuer nicht helfen.

Schulmeister: Aber sie würden immerhin viel Geld bringen. Wenn sie mich aber nach dem systemischen Nutzen fragen, bringt sie wenig. Sie hätte aber Signalwirkung.

Die Furche: Die Steuer wurde auch als Quelle zur Konsolidierung der Staatsfinanzen genannt. Die EU-Regierungen werden ohne sie noch mehr über Einsparungen und Massensteuern arbeiten müssen. Für Sie ist das ein falscher Weg.

Schulmeister: Genau. Eine nachhaltige Sanierung der Budgets ist nur durch Wirtschaftswachstum zu erreichen. Eine Welle von gleichzeitigen Sparpaketen führt dazu, dass alle noch mehr sparen: Die Unternehmer, die Konsumenten, im In- wie im Ausland. Der Staat verursacht dadurch eine Dämpfung des Konsums. Das ist der Stoff, aus dem ökonomische Depressionen gemacht werden. Die Ansicht der Staat hat Schulden, der Staat muss sparen, erinnert an die Politik des deutschen Reichskanzlers Brüning in den 1930er Jahren. Wenn Sie dessen Regierungserklärung hören, dann klingt das wie Angela Merkel heute: „Die Regierung rechnet es sich als großen Verdienst an, als erste der großen Nationen mit einschneidenden Sparmaßnahmen begonnen zu haben.“ Dass Brünings Strategie falsch war, zeigt ein Blick auf das, was nachher kam. Warum macht man diesen Fehler 70 Jahre später wieder?

Die Furche: Nun fragt sich aber, wer die nächsten Investitionspakete finanzieren soll. Ihre Strategie wäre, die Reichen zur Kasse zu bitten, und zwar zu deren eigenem Vorteil. Wie wollen sie das einem Millionär erklären?

Schulmeister: Eigentlich ist es ganz einfach. Wir schauen derzeit nur auf Griechenland und Staaten, denen das „Schuldenwasser“ bis zum Hals steht. Dabei steht es uns selbst schon bis zur Brust. Denn auch unsere Schulden werden weiter steigen, wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt. Die Besitzer von Staatsanleihen sind großteils die Vermögenden. Wenn der Staat also bankrott geht, erleidet der Reiche bei der Umschuldung enorme Verluste. Das ist also kein Umverteilungs- oder Gerechtigkeitsargument sondern basiert auf makroökonomischen Überlegungen. Mit den zusätzlichen Mitteln könnte eine expansive Strategie finanziert werden, etwa zur Verbesserung der Umweltbedingungen, der Infrastruktur, des Bildungswesens und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Ein Katalog konkreter Maßnahmen findet sich in meinem Buch über einen „New Deal“ für Europa.

Die Furche: Glauben Sie, Ihre Thesen werden gehört werden?

Schulmeister: Im Moment nicht. Aber wenn die zweite Phase der Krise kommt, wird man zunehmend darüber reden. Wir stehen ja nicht am Ende der Krise sondern erst an ihrem Anfang.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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