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Zu glauben, dass die Finanzwirtschaft, der' Garant für Wohlstand für alle sein kann, fällt immer schwerer. Ein System steht vor dem Neustart.

Die aktuelle Finanzmarkt- und Bankenkrise damit erklären zu wollen, dass die Menschen zu geldgierig sind, ist für WIFO-Ökonom Stephan Schulmeister "ein wenig einfältig". Denn Geldgier sei ein Phänomen, das immer auftreten könne. Die Frage sei vielmehr, ob das Spiel - die Wirtschaft - so organisiert sei, dass Geldgier sich austoben kann, oder ob ihr Schranken gesetzt werden.

Die aktuelle Situation, dass sich die Banken untereinander nicht mehr vertrauen und kaum längerfristiges Kapital am Interbankenmarkt zu bekommen ist und dass viele Privat-Investoren auf der ganzen Welt - nach einem beispiellosen Immobilien- und Aktien-Hype - den Werteverfall ihrer Portfolios mitansehen müssen, verdeutlicht, dass das gegenwärtige Finanzsystem Fehler hat. Das komplett freie Spiel der Kräfte ist vor dem Hintergrund zu hinterfragen, dass nun Banken in den USA wie in Europa vom Staat - dem eigentlichen Feind des freien Wettbewerbs - vor dem Bankrott gerettet werden müssen. Die Bürde wird also dem Steuerzahler aufgehalst und man muss darüber eigentlich noch froh sein, weil dadurch noch Schlimmeres für die Gesamtwirtschaft vermieden wird.

Unfassbar viel Geld geht verloren

Das Ausmaß der Krise seriös mit einer Zahl darzustellen, ist unmöglich, zu schnell ändern sich die Verhältnisse. Allein als zu Beginn vergangener Woche die Aktienwerte an der Wall Street und in Europa abstürzten, ging ein fiktiver Börsenwert in der Höhe von 2000 Milliarden Dollar verloren (rund 1441 Milliarden Euro). Im Vergleich dazu nimmt sich das österreichische Bruttoinlandsprodukt 2007 mit 271 Milliarden Euro (nominell) klein aus.

Den grundlegenden Fehler im System sieht Investkredit-Generaldirektor und Furche-Herausgeber Wilfried Stadler darin, dass das derzeit gültige Finanzsystem prozyklisch wirkt. Dass also negative wie positive Markt-Tendenzen verstärkt werden. Schulmeister wie Stadler sind sich einig, dass dies mit den neuen Bilanzierungsvorschriften zusammenhängt. Man rückte Anfang der 1990er Jahre davon ab, Anlagevermögen in den Bilanzen nach ihrem Anschaffungspreis zu bewerten. Assets wurden forthin mit ihrem Marktpreis bewertet. "Wenn die Märkte, richtige' Preise bilden, stellt dies kein Problem dar", so Schulmeister. Wenn allerdings wie bei der Immobilien-Blase in den USA die Märkte nicht die reellen Werte bilden, dann erhält man einen Verstärkungseffekt, so der WIFO-Ökonom. Die Vermögenstitel eines Unternehmens nehmen so automatisch von Jahr zu Jahr an Wert zu und mit den neuen Bilanzierungsvorschriften wird dieser Bewertungsgewinn bilanzwirksam. Dieser Kreislauf funktioniert so lange, bis die Bewertungsspirale nach oben zu einem Ende kommt. Stadler sieht die Krise durchaus als Chance, um mehr Transparenz in alle Investitions-Aktivitäten von Finanzinstitutionen außerhalb der Kernbanken zu bringen. Dies sei vor allem bei Hedge-Fonds und speziellen Investitionsvehikeln angebracht, die eigentümerlos auf Steuerinseln parken. "Alle Transaktionen müssen absolut transparent ablaufen", sagt Stadler. Ebenso sind die Rating-Agenturen im Fokus des Bankers, da diese bis dato "frei schwebend" agiert haben. Diese sollten einer europaweiten Kontrolle unterzogen werden, so Stadler.

Von einer europaweiten Finanzmarktaufsicht (FMA) hält auch Schulmeister viel. Jedoch eine, die den Namen verdiene und mehr Licht ins Dunkel der Finanztransaktionen bringe. Schulmeister kann sich gut vorstellen, dass man große Finanz-Akteure mit ihren Positionen zum Beispiel in Futures (börsengehandelte Termingeschäfte) im Internet aufliste. Dies könne prophylaktisch gegen Preisspekulationen wirken.

EU braucht eine gemeinsame FMA

Für Stadler ist die Forderung nach einer europaweiten Finanzmarktaufsicht nicht gleichzusetzen mit der Forderung nach mehr Kontrollen: "Es gab keinen Mangel an Kontrollen, es wurde vielmehr das Falsche geprüft." So sei für den Banker nicht ausschlaggebend, dass vor Ort in den Ländern eine EU-Behörde prüfe, sondern dass einheitliche Standards gelten, um sicherzustellen, dass die 200 größten international tätigen Institute nach einheitlichen Regeln geprüft werden. Schulmeister würde sogar die besten Spekulanten aus der Branche für diese neue EU-Behörde verpflichten und sie damit beauftragen, große Transaktionen variabel zu besteuern. Wenn zum Beispiel ein Transportunternehmen Öl-Futures kauft, um sich gegenüber höheren Treibstoffpreisen abzusichern, fielen weniger Steuern an als für eine Bank, die keine realwirtschaftliche Notwendigkeit hat, Öl-Futures zu kaufen. Ex-WIFO-Chef Professor Helmut Kramer hält allerdings nichts davon, die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft immer auseinanderzudividieren. "Die beiden erhalten ihre Effizienz voneinander."

Kramer tritt gleichermaßen für eine Europa-FMA mit Biss ein, denn wenn es eine gemeinsame Zentralbank gibt, dann müsse es ebenfalls eine gemeinsame Finanzmarkt-Aufsicht geben. Mehr noch sei es fatal, dass es keine einheitliche Wirtschaftspolitik gebe. Dies zeige der Eurokurs. Selbst in einer Krise, die in den USA ihren Ausgang nahm, verliert der Euro gegenüber dem Dollar. "Kapitalanleger vertrauen amerikanischen Regierungsanleihen immer noch mehr als europäischen Regierungspapieren, da eine gemeinsame Wirtschaftspolitik als solche nicht erkennbar ist", resümiert Kramer.

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