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Die Realwirtschaft kommt im Kapitalmarkt nur noch in homöopathischen Dosen vor, deshalb ist die Ethik eines jeden Anlegers gefordert, meint Markus Schlagnitweit.

Schon Goethe hat im "Faust" die Geldwirtschaft als Fortsetzung der mittelalterlichen Alchemie mit anderen Mitteln apostrophiert. Der Duden beschreibt Alchemie als "unwissenschaftliche Versuche, unedle Stoffe in edle - besonders in Gold - zu verwandeln". Genau darauf spielte Goethe an: die Kreation und Abschöpfung von Werten quasi aus dem Nichts. Dabei hatte der Dichterfürst in seiner Kritik noch relativ rudimentäre Formen des Finanzkapitalismus' vor Augen und ahnte wohl noch wenig von Optionen, Long- und Short-Geschäften, Hedgefonds und wie die Praktiken und Tools alle heißen (siehe Glossar auf Seite 23), mit denen heute auf den globalen Finanzmärkten Billionen-Werte erzeugt, gehandelt und - von den jeweils Schlaueren, Schnelleren oder einfach Glücklicheren in diesen Casino-Spielen - dann auch abgeschöpft werden: Werte (fast) aus dem Nichts, denn den spekulativen Volumina der aktuellen Finanzmärkte stehen Werte in Form realer Güter und Dienstleistungen nur noch in nahezu homöopathischen Dosen gegenüber.

Kaufen und verkaufen

Von einer Entkoppelung zwischen Finanz- und Realwirtschaft wird in diesem Zusammenhang gerne geredet. Dieser Befund hat aber noch weitere Grundlagen: etwa angesichts von heute gängigen Praktiken, in deren Zuge florierende, hochprofitable Unternehmen von Investmentgesellschaften gekauft und von den neuen Eigentümern praktisch über Nacht mit dem eigenen Kaufpreis belastet werden - mit oft verheerenden Folgen; denn um diese neuen Verbindlichkeiten bedienen zu können, gibt es für das Unternehmen oft keinen anderen Weg mehr als die Verlagerung in Wirtschaftszonen mit minimalen Sozial- und Umweltstandards, die Einsparung von Entwicklungs- und Ausbildungsabteilungen oder anderer an sich sinnvoller, aber kostenintensiver Faktoren. Solche Beispiele machen deutlich, dass so völlig entkoppelt Finanz- und Realwirtschaft auch nicht sind, und die spekulativen Praktiken der Finanzmärkte oft sehr konkrete realwirtschaftliche Folgen zeitigen.

Entkoppelte Märkte

Wenn Kapital mit der Verheißung von Renditen im mehrstelligen Prozentbereich auf die Finanzmärkte gelockt wird - Renditen, die durch keinen Zuwachs an realen Werten mehr zu decken sind! -, zahlt immer irgendwer irgendwo irgendwie drauf. In der Regel sind das die schwächeren, häufig stimm- und wehrlosen Glieder der wirtschaftlichen Produktions- und Wertschöpfungskette: nicht oder nur schwach organisierte Arbeitnehmer, die Umwelt, kommende Generationen et cetera.

Spätestens hier wird deutlich, dass auch die Finanzmärkte Orte ethischer Verantwortung sind, und ein schwer wiegender Systemfehler darin liegt, wenn dem Geld außer der Vermehrung seiner selbst keine weitere Verpflichtung auferlegt wird. Wesentlich ist dabei die Beantwortung der Frage nach der Reichweite bzw. Richtung dieser Verantwortung. Investmentgesellschaften, Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister rechtfertigen ihr um jeden Preis auf maximale Rendite zielendes Verhalten gerade mit ihrer Verantwortung gegenüber den Investoren, deren Kapital sie verwalten. Sie unterstellen dabei (weitgehend ungeprüft!), dass auch diese mit ihrer Kapitalanlage kein anderes Interesse als einen möglichst hohen Wertzuwachs verfolgen (= Shareholder Value). Seriöse Vermögensverwalter machen ihre Kunden vor Abschluss ihrer Verträge immerhin noch auf mögliche Verlustrisiko-Faktoren aufmerksam. Darüber hinausgehende Informationen über mögliche realwirtschaftliche Auswirkungen bestimmter Investment-Praktiken bleiben jedoch in der Regel ausgeklammert oder werden einseitig beschönigt. Dabei muss jedem Menschen, der sein Erspartes nicht zu Hause vergräbt, sondern auf die Bank trägt oder als Versicherungsprämie einzahlt, klar sein, dass er damit in die Finanzmärkte und ihre zweifelhaften Praktiken involviert ist. Die Akteure auf denselben handeln dabei wie Soldaten in der modernen Kriegsführung: Der Abschluss ihrer Geschäfte gleicht oft dem Drücken eines Knopfes, der irgendwo in großer Entfernung einen Vorgang auslöst, dessen Folgen für den Verursacher selbst kaum unmittelbar spür- bzw. ableitbar bleiben. Aber mindert das seine Verantwortung?

Ethisch investieren

Angesichts dieser Problematik hat sich ein Investment-Ansatz entwickelt, der unter Begriffen wie "ethisches Investment", "grünes Geld" et cetera seit Jahren bei noch sehr niedrigem Marktanteil hohe Wachstumsraten verzeichnet und den ethischen Implikationen der Kapitalmärkte stärker Rechnung zu tragen versucht als das konventionelle, rein am Shareholder Value orientierte Anlegerverhalten. Je nachdem, ob die in diesem Marktsegment tätigen Anleger bei ihren Investitionen lediglich ein möglichst reines Gewissen behalten wollen oder darin sogar eine Möglichkeit erkennen, die Wirtschaft in Einklang mit persönlichen ethischen Werten mitzusteuern, haben sich hier rein vermeidende bis hin zu positiv fördernde Strategien ethischen Investments entwickelt. Die Palette an ethisch orientierten Investmentprodukten ist mittlerweile auch für Fachleute nur noch schwer überschaubar: Sie differenziert sich nach unterschiedlichen Ethik-Konzepten (zum Beispiel rein ökologisch, sozial oder gemischt orientiert), nach ihrer tatsächlichen ethischen "Bonität" (Qualität und Transparenz der ethischen Bewertung von Wertpapieren oder bloßer Marketing-Trick?), vor allem aber auch nach Produkt-Klassen: Vom einfachen Fördersparbuch, über Investmentfonds bis hin zu Versicherungen und Direktbeteiligungen gibt es heute praktisch zu allen konventionellen Anlageformen ethisch orientierte Spielvarianten. Dass ethisches Investment vergleichsweise schlechtere Renditen einbrächte, ist leider immer noch ein weit verbreitetes, durch seriöse wissenschaftliche Studien aber längst widerlegtes Vorurteil. Qualifizierte Fachberatung ist in diesem Bereich leider noch schwer zu finden. Diesbezüglichen Ausbildungsdefiziten versucht etwa die Katholische Sozialakademie Österreichs mit entsprechenden Lehrgängen zu begegnen.

Geforderte Politik

Trotz dieser positiven Ansätze ist aber auch die (internationale) Politik gefordert, den globalen Finanzmärkten gegenüber Steuerungsinstrumente zu etablieren, die imstande sind, deren destruktivem Potenzial wirksam zu begegnen. Finanztransaktionssteuern (oft auch Tobinsteuer genannt) wären ein sinnvolles Mittel, die überhitzte Renditejagd um jeden Preis abzukühlen und außerdem Anreize zu setzen, frisches Kapital tatsächlich als realwirtschaftliche Investitionen einzusetzen anstatt als bloßes Spielkapital in den "Börsen- Casinos". Aber auch die nationale Wirtschaftspolitik hätte einen Spielraum für sinnvolle Maßnahmen: Weshalb etwa ist die staatliche Förderung bestimmter Geldanlageformen wie der privaten Pensionsvorsorge (siehe auch Debatte auf Seite 22 zwischen Rainer Münz und Christian Felber) nicht klar beschränkt auf solche Produkte, die in ihrer Anlagestrategie in überprüfbarer Weise jene ethischen Kriterien berücksichtigen, auf die sich die Republik selbst verpflichtet hat (Menschenrechte, Kyoto-Protokoll, Abkommen der International Labour Organisation)?

Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

www.gruenesgeld.at

www.geldundethik.org

Fortsetzung auf Seite 24

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