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Leasing mit Allah

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In den letzten zehn Jahren sind in 20 islamischen und einigen westlichen Ländern 40 islamische Finanzinstitutionen entstanden. Der Koran verbietet aber beispielsweise die Annahme von Zinsen. Was tun die Banken?

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In den letzten zehn Jahren sind in 20 islamischen und einigen westlichen Ländern 40 islamische Finanzinstitutionen entstanden. Der Koran verbietet aber beispielsweise die Annahme von Zinsen. Was tun die Banken?

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Die islamische Ökonomik, die sich als neue akademische Disziplin an immer mehr Hochschulen der muslimischen Welt etabliert, ist grundsätzlich viel anders als die westliche Wirtschaftswissenschaft als positive Erfahrungswissenschaft. Muslimische Ökonomen definieren ihr Fach ausdrücklich als normative Disziplin, und sie stellen zumeist ethisch-moralische Fragen an den Anfang ihrer Überlegungen, so z. B. die Frage, ob ein egoistischmaterialistisches Verhalten des einzelnen ethisch zu rechtfertigen sei. Die Antwort ist in der Regel negativ. Unter Berufung auf die primären Rechts- und Erkenntnisquellen der islamischen Weltanschauung - den Koran und die Sünna (die vorbildlichen Taten, Duldungen und Aussagen des Propheten Mohammed) - formu-

Heren muslimische Ökonomen als Norm ein altruistisch-solidarisches, an immateriell-religiösen Zielen orientiertes Verhalten des einzelnen.

Die muslimischen Ökonomen begnügen sich aber nicht mit der Formulierung solcher individueller Verhaltensnormen, sondern sie sehen ihre Aufgabe vor allem auch darin zu zeigen, wie die Wirtschaft in einer von solchen .idealen' Muslimen bevölkerten Welt funktionieren würde, und daß ein islamisches System gerechter, humaner und leistungsfähiger als alle anderen Wirtschaftssysteme sein würde.

Bei einer solchen Ausrichtung des Faches überrascht es nicht, daß die islamische Ökonomik bislang hauptsächlich Modelle von idealen, oftmals utopisch anmutenden Welten präsentiert. Kaum aber hat sie Theorien entwickelt, die die heutige Realität in der muslimischen Welt analysieren und die erklären könnten, wie die Transformation der abgelehnten gegenwärtigen Systeme zum angestrebten idealen System vonstatten gehen könnte.

Koran und Sünna verbieten den Muslimen, „riba“ zu nehmen. Es besteht inzwischen weitgehende Einigkeit darüber, daß mit „riba“ jegliche Zinsen bei Gelddarlehen und nicht nur Wucherzinsen gemeint sind. Dieses Zinsverbot bedeutet jedoch nicht, daß jegliche Vergütung für die Überlassung von Kapital zur Finanzierung produktiver Vorhaben verboten wäre. Es ist durchaus zulässig, daß der Kapitalgeber am Erfolg des von ihm (mit)finanzierten Unternehmens partizipiert, sofern er dabei nicht nur am positiven Erfolg (Gewinn) teilhat, sondern auch an einem möglichen negativen Ergebnis (Verlust) partizipiert, also der Gewinnchance ein Verlustrisiko gegenübersteht.

Islamische Juristen haben schon früh Vertragsformen aus vorislamischer Zeit anerkannt und fortentwickelt, in denen an die Stelle der Gläubiger/Schuldner-Beziehung mit erfolgsunabhängigen festen Zinszahlungen eine Partnerschaftsbeziehung mit erfolgsabhängiger Vergütung für beide Partner tritt. Sowohl wegen der Beteiligung an möglichen Verlusten als auch wegen der im vorhinein ungewissen absoluten Höhe der der Bank zustehenden Vergütung für das überlassene Kapital spricht man davon, daß die Bank das wirtschaftliche Risiko mit dem Unternehmer teilt und so den eigentlich aktiven Partner entlastet. In der akademischen Literatur wird ein auf dem Erfolgsbeteiligungsprinzip beruhendes Bankwesen als die überlegene islamische Alternative zur Zinswirtschaft dargestellt.

Betrachtet man die Geschäftspraxis der existierenden islamischen Banken, stellt man rasch fest, daß sie in ihrem Finanzierungsgeschäft keineswegs nur auf Erfolgsbeteiligungs-Partner-schaften beschränkt sind. Die daneben zulässigen und auch in erheblichem Umfang angewandten alternativen Finanzierungsformen laufen im Kern darauf hinaus, daß die Bank einem Unternehmer nicht die zur Beschaffung eines Wirtschaftsgutes erforderlichen Finanzmittel bereitstellt, sondern ihm das Wirtschaftsgut selbst beschafft. Bei Anlagegütern, z. B. Maschinen, kann dies etwa über einen Ratenkauf oder durch Leasing (vermieten) geschehen. Bei Rohmaterialien und Handelswaren schließt man zumeist ein doppeltes Kaufgeschäft mit festem Gewinnaufschlag (mark-up) für die Bank ab: Die Bank kauft die von ihrem Kunden gewünschten Güter und verkauft sie dann zu einem um einen Gewinnaufschlag höheren Preis weiter an den Kunden. Transaktionen dieser Art sind nach dem islamischen Recht durchaus zulässig, weil es sich bei ihnen nicht um reine Gelddarlehen handelt, sondern um besondere Formen der finanziellen Abwicklung eines Realgeschäfts.

In der Praxis stammt der größte Teil der Erträge islamischer Banken aus solchen Finanzierungen mit festen und vorherbestimmten Erträgen für die Bank und nicht— wie man nach der Lektüre der akademischen Literatur zum islamischen Bankwesen vermuten sollte - aus Erfolgsbeteüigungs-Partnerschaften.

Betreiben die islamischen Banken daher mit dem Attribut „islamisch“ letztlich nur einen Etikettenschwindel? Oberflächlich mag dies so erscheinen, jedoch dürfte dieser Vorwurf bei einer genaueren Betrachtung nicht haltbar sein. Für die Banken ist - im Unterschied zu den Ausführungen muslimischer Theoretiker — das Zinsverbot in erster Linie ein rechtliches Problem und erst in zweiter Linie ein ökonomisches. Für sie kommt es darauf an, Vertragskonstruktionen zu finden, die rechtlich zulässig und einzelwirtschaftlich vertretbar sind; gesamtwirtschaftlichen Effekten messen die Banken bei ihren Erwägungen kaum Gewicht bei.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum.

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