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Sozialisierungsmethoden und ihre Grenze

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Einige wichtige Gesichtspunkte scheinen, von sachlichem Standpunkte aus gesehen, in den von Parteien und Vertretern der Interessengruppen geführten Debatten über Sozialisie-rung und ihre Möglichkeit, in Gefahr zu sein, zu kurz zu kommen.

Vor allem muß man sich der Vieldeutigkeit des Wortes „Sozialisierung“ bewußt sein. Deutlich lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden: Die Sozialisierung von oben und die Sozialisierung von unten, erstere ähnlich .dem Typ staatlicher Monopole, letztere dem von Genossenschaften. Geht es im ersteren Falle zunächst um die staatliche Lenkung, so im zweiten Falle vor allem um den Ertragsanteil der unmittelbar tätigen Arbeiter im weitesten Sinne. Dementsprechend sind auch die zwei hauptsächlichsten Gefahrengruppen verteilt: im . ersteren Falle: Bürokratisierung, Verantwortungsscheu und Politisierung, im zweiten Falle zu dezentralisiertes Interesse, Nichtfachleute und wieder Politisierung, und zwar lokale Politisierung.

Diese Gefahren sind nicht unbesiegbar. Aber sie müssen bekämpft werden, wenn nicht das Ganze eine Totgeburt sein soll. Es ist ferner wichtig, festzustellen, daß es sich bei der Bekämpfung nicht nur um wirtschaftlich-technische Maßnahmen, sondern vielmehr noch um solche psychologischer Natur handelt — die Frühsozialisten, wie Owen, die das schon ganz genau erkannten, sprachen von Charakterproblemen — und daß Erfolg oder Mißerfolg jedes Sozialisierungs-experimentes mit in erster Linie ein Problem der politischen Reife der Bevölkerung und des allgemein ausgeprägten Sinnes für das Gemeinschaftswirken im Staate sind. Die Sozialisierung ist in Österreich keineswegs ein Problem von heute oder gestern. Wir haben seit etwa hundert Jahren schon verschiedene Sozialisierungsepochen durchlaufen. Der wechselvolle Kampf um staatliche oder nichtstaatliche Bahnen, der in den westlichen Staaten erst durchgefochten werden muß, war nichts anderes als ein Teilproblem der Sozialisierung. Eine zweite große Soziali-sierungsepoche ist mit dem Namen L u e g e r untrennbar verknüpft. Es ist die Epoche der Gemeindesozialisierung auf dem Gebiete von Gas, Elektrizität, Verkehrsmitteln lokaler Natur usw. Sie ist bisher in Österreich die weitaus erfolgreichste Sozialisierungsperiode gewesen und Österreich kann auf diesem Gebiete als schlechtweg führend in der Welt bezeichnet werden, auch was wirtschaftliche und technische Durchführung betrifft. Eine zweite Periode der Gemeindesozialisierung ist in Wien mit dem Namen B r e i t n e r und dem Wohnungsbau verknüpft. Wenn wir heute sine ira et studio die Sache betrachten, so müssen wir sagen, daß hier ein Regulator des Wohnungsmarktes und der Wohnungsbedingungen geschaffen worden ist, dessen Bedeutung zu leugnen unrecht wäre. Wir müssen allerdings auch vermerken, daß die Mittelaufbringung hiezu auf steuerpolitischen Voraussetzungen beruhte, die als nicht einfach wiederholbar bezeichnet werden können. Es handelte sich um ein geistreiches und geschicktes, wenn auch nicht völlig unbedenkliches und vor allem in vielem einmaliges Experiment.

Der Sozialisierungsepoche nach 1918 gedenken wohl alle Österreicher ebenso ungern wie der unfreiwilligen nach dem Bankenkrach von 1924. Freilich gibt es kaum etwas Schwierigeres als die Umstellung ausgesprochener Kriegsindustrien auf Friedenstätigkeit (zum Beispiel bei Wollersdorf) und die , richtige Einschätzung „unechter Substanzwerte“ — wie bei den Aktienpaketen der meisten umgefallenen Banken. Allerdings gab es außerdem noch ein gerütteltes Maß ausgesprochener Verantwortungs- und Verständ-nislosigkeit und eine völlig unrichtige Einschätzung der weltwirtschaftlichen Krisenlage. Es sind vor allem gewisse

denen erstrangige Bedeutung zukommt.

Wer sozialisiert? Staat, Länder, Gemeinden, die öffentlichen Körperschaften durch Schaffung besonderer Verbände? Gerade der Erfolg der „Gemeindesozialisierung“ hat gezeigt, daß es gerade hier auf die günstige Ausnützung bestimmter natürlicher lokaler und ausdehnungsmäßiger Verbundenheiten ankommt!

Wie wird sozialisiert? Durch direkte Verstaatlichung, Ver-gemeindung usw.? Oder in Form von Aktiengesellschaften oder Holdinggesellschaften mit entsprechendem öffentlichen Anteil, der, um wirksam zu sein, zum Beispiel gerade bei der Holding nicht sehr groß zu sein braucht? Dies ist unter zwei Gesichtspunkten besonders wichtig: da man nicht entschädigungslos enteignen wird, so spielt die Frage der Höhe der Entschädigung und deren Aufbringung eine Rolle. Zweitens aber wird man gerade unter kreditpolitischen Gesichtspunkten, insbesondere wenn man Auslandskredit wird haben wollen, auf die Kreditfähigkeit und Kreditwürdigkeit des zu schaffenden Gebildes sehr wohl achtgeben müssen.

Was s o 11 s o z i a 1 i s i e r t w e r d e n ? Energiewirtschaft, Bergbau, Schlüsselindustrien, Banken, Versicherung, Großgüter?

Hier wird vor allem klargestellt werden müssen, von welchen Gesichtspunkten man sich hierbei leiten lassen will. In einzelnen anderen Staaten waren es keineswegs immer nur wirtschaftliche Gesichtspunkte, die bestimmend waren. Bei der Aufteilung des Großgrundbesitzes waren es vielfach sowohl nationale als politische Gesichtspunkte, unter denen man vielfach sogar einen wirtschaftlich besseren Zustand in einen national oder politisch erwünschteren zu wandeln bestrebt war, ein nicht ungefährliches und nicht dem Allgemeinwohl dienendes Streben! ,

Es lohnt sich, die Ziele der Sozial i-sierung in einigen anderen Staaten kurz zu betrachten. Am wirtschaftlich klügsten sind zweifellos die Sozialisierungs-bestrebungen in England. Man verstaatlicht dort die Kohlengruben, weil es ein Widersinn ist, eine Gruppe stark subventionierter und eine Gruppe sehr ertragreicher Gruben nebeneinander zu haben, ohne den naheliegenden Gedanken zu verwirklichen, das Defizit der einen Gruppe aus den Gewinnen der anderen Gruppe auszugleichen. Man sozialisiert große Teile des Wohnbauwesens, weil angesichts der untragbaren Verhältnisse eines überholten Traditionalimus auf dem Gebiete des Grundeigentums und wegen des riesigen Ausmaßes der Kriegszerstörungen, da anders ein rascher Wiederaufbau kaum denkbar wäre. Und man sozialisiert die Notenbank, das Verkehrswesen und gewisse Energiezweige, indem man einen Zustand herstellt, der in vielen kontinentalen Staaten in dieser oder jener Form schon längst besteht.

Man sozialisiert in Frankreich die Kriegsindustrien, weil der Staat nicht einer Monopolgruppe gegenüberstehen will, die sich im letzten Kriege nicht einmal technisch bewährt hat. Man sozialisiert die Bahnen — wie in den meisten Staaten Europas seit Jahrzehnten. Man sozialisiert den Bergbau, weil man — ob mit Recht oder Unrecht — glaubt, aus dem Wust riesiger Subventionen, sozialer Schwierigkeiten, unzulänglicher Förderung durch eine Radikallösung besser und — billiger wegzukommen. Und man sozialisiert die Großbanken als Schlüssel zu den Industrien .

In der Tschechoslowakei, wo man am weitestgehenden sozialisiert, sind die Motive vielleicht am vermischtesten. Man verbindet Entdeutschung mit der Verstaatlichung. Man sozialisiert auch aus budgetären Gründen; in der Tschechoslowakei ist aus den Gruben und der Schwerindustrie vielleicht eher als anderwärts in Europa durch die Sozialisierung auch ein finanzieller Erfolg zu holen. Und man sozialisiert nicht zuletzt um der Sozialisierung willen, wie aus einer Rede des Präsidenten Benesch klar genug hervorgegangen ist: weil man im sozialisierten Wirt-' schaftsieben eine Ergänzung des demokratisierten politischen Lebens sieht...

Versuchen wir nach diesem Uberblick so etwas wie allgemein gültige Sätze vom Standpunkte der rein wirtschaftlichen Erwägung zu formulieren. Selbst wenn solche Sätze für den Fachmann nicht viel mehr sein sollten als Binsenwahrheiten, so bliebe doch ihr Wert unbestritten, weil gerade auf wirtschaftlichem Gebiete, aus einer Art Verhängnis heraus der Glaube sehr verbreitet ist, man bedürfe zu einer Regelung und Beurteilung keinerlei Fachkenntnisse.

Wir sind in Österreich nicht ohne alle Erfahrungen auf dem Gebiete der Sozialisierung und haben im Verhältnisse zu anderen Staaten seit langer Zeit verhältnismäßig sehr viel bereits sozialisiert. Diese Sozialisierungs-versuche sind keineswegs ein sozialistisches Monopol gewesen. Es soll zweifellos dort sozialisiert werden, wo eine Überlegenheit des sozialisierten Betriebes gegenüber dem nichtsozialisierten mit Sicherheit zu erwarten ist. Im Zweifelsfalle versuche man es eben mit dem Nebeneinanderbestehen beider Arten, mit gemischtwirtschaftlichen Betrieben, mit einer Art Musterbetrieben, ähnlich wie sie sich in der Landwirtschaft sehr bewährt haben.

Wir sind arme Leute, die jeden Groschen nur sehr wohlüberlegt ausgeben und vorher zweimal umdrehen müssen. Man könnte nicht die riesigen Opfer der bereits erfolg-• ten und noch durchzuführenden Währungsreform und der noch zu erwartenden Steuerreform und Vermögensabgabe verlangen und gleichzeitig etwa eine leichte Hand in Ausgaben zu Versuchszwecken oder Maßnahmen überwiegend doktrinärer Natur zeigen.

Man muß sich gerade unter diesem Gesichtspunkte immer voll darüber- im klaren sein, daß Steuerstaat und sozialisierter Staat letzten Endes einander widersprechende Begriffe sind. Man kann entweder Gewinne durch Steuern abschöpfen oder man muß sie aus verstaatlichten Unternehmen in Form von Gewinnen direkt herauswirtschaften. Sonst erhält man ein Budgetdefizit, das den Staatshaushalt, die Währung, die Wirtschaft jedes einzelnen umwerfen muß. Die finanzielle Seite jedes Sozialisierungsversuches muß daher auf konkreter und exakter wirtschaftswissenschaftlicher Berechnung vorwiegend auch betriebswirtschaftlicher Natur und keineswegs auf irgendeiner unechten Wundergläubigkeit aufgebaut sein.

Die Erfahrung spricht durchaus für die Erhaltung gesunder und lebensfähiger kleinerer und Mittelbetriebe. Wo immer aber sozialisiert wird, mag dies nun in der Industrie, im Großgrundbesitz, in der Finanz oder in den Bergwerken der Fall sein, eines der wichtigsten Probleme ist und bleibt das der Schaffung und Erhaltung der optimalen Betriebsgröße ! Und letztlich und schließlich: Wir sind arme Leute! Das Ziel aller Wirtschaftsmaßnahmen, also auch der Sozialisierung, muß, darf und kann nur eines sein, wenn nicht ein schrecklicher Katzenjammer die Folge sein soll:

Die Erhaltung, wenn irgend möglich die Erhöhung des Sozialproduktes, wenn möglich aber Verstärkung und Verbesserung der Produktionsgrundlagea. Wir kämpfen um ein besseres Dach, einen anständigen Anzug, ein größeres Stück Brot für alle. Das ist zunächst das Kriterium der nächsten Wirtschaftsmaßnahmen in bezug auf Erfolg oder Mißerfolg.

Der am 30. Jänner im Nationalrat von sozialistischer Seite eingebrachte Sozialisie-rungsantrag wählt die Methode der „V e r-s t a 11 i c hu n g“, die er auf die Unternehmungen des Bergbaues, der Energiewirtschaft, Erdölproduktion, Eisenhüttenindustrie, Elektroindustrie, des Fahrzeugbaues, der Zement-, der Zucker- und die Großbetriebe der Lebens-mittielindustrie, soweit sie nicht im Besitz von Genossenschaften oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften sind, sowie die Banken und Versicherungsgesellschaften ausgedehnt wissen will. ,

Von grundsätzlicher Bedeutung ist, daß der Antrag eine „angemessene Entschädigung“ an die abzulösenden Eigentümer in Aussicht nimmt und für diese Ablösung der Besitzrechte die Zahlung in Staatsobligationen vorsieht.

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