Wenn Geld die Arbeit ablöst

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Der "Föhrenbergkreis", eine Gruppe politisch engagierter Führungskräfte, kritisiert in seinem Bericht eine von den Realitäten losgelöste "träumende" Finanzwirtschaft - und gibt eine "Anleitung zum Aufwachen".

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Der "Föhrenbergkreis", eine Gruppe politisch engagierter Führungskräfte, kritisiert in seinem Bericht eine von den Realitäten losgelöste "träumende" Finanzwirtschaft - und gibt eine "Anleitung zum Aufwachen".

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Die Finanzwirtschaft ist in den letzten Jahren jährlich über 70 Prozent gewachsen, während das weltweite Wachstum der Realwirtschaft (Güter, Dienstleistungen) nur 1,8 Prozent betrug. Auf den internationalen Finanzmärkten wird täglich ein Gesamtvolumen von drei Billionen Dollar bewegt. 95 Prozent davon existieren nur auf dem Papier, und nur der minimale Rest betrifft die durch Produkte oder Dienstleistungen geschaffenen realen Werte. Vor allem die Regeln der Finanzwirtschaft (die Pensionsfonds, Investitionsfonds, Versicherungen und Währungsspekulanten als ihre neuen Spieler) und nicht mehr die Unternehmer allein bestimmen die Logik heutigen Wirtschaftens. Die erwirtschafteten Gewinne kommen nicht vorrangig der Produktion und Schaffung von Arbeitsplätzen zugute. So sind zum Beispiel die gewinnträchtigsten Sparten der Banken nicht mehr das Privat- und Firmenkundengeschäft, sondern die Finanzierung der Staatsschuld und das Spiel im Finanzkasino. Die Derivatprodukte (heute vorwiegend als Instrumente der Finanzspekulation verwendet) der größten österreichischen Bank haben das österreichische Bruttosozialprodukt bereits überholt und die gesetzliche Eigenkapitalvorsorge spricht dieser Dimension Hohn.

Die Problemstellung, die sich aus diesen Fakten ergibt, machte der "Föhrenbergkreis" zum Thema interdisziplinärer Überlegungen. Der "Föhrenbergkreis" ist eine offene Gruppe von politisch engagierten Fachleuten aus verschiedenen Bereichen. Die Ergebnisse der Überlegungen zur Finanzwirtschaft sind im Mai im Haus der Industrie präsentiert und diskutiert worden, und jetzt als Veröffentlichung nachzulesen.

Im Laufe der Geschichte sind gesellschaftliche Katastrophen immer wieder auch durch Versagen von Wirtschaftsmechanismen hervorgerufen worden. Die wesentlichste These der vorliegenden Arbeit ist, daß es sich dabei nicht immer um Politikversagen oder menschliches Versagen, sondern sehr oft um ein Systemversagen handelt, das von der herkömmlichen Ökonomie tabuisiert wird. Die Autoren der Broschüre stellen fest, daß mit zunehmendem Alter einer Volkswirtschaft (in Mitteleuropa sind seit dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 50 Jahre vergangen) die Geldvermögen rascher wachsen als das Bruttosozialprodukt, die Kapitaleinkommen rascher als die Arbeitseinkommen. Die Kapitalgütermärkte expandieren gewaltig und die Preise der Aktien steigen exponentiell.

Realwirtschaft verliert Bedeutung Die realwirtschaftlichen Faktoren verlieren an Bedeutung und ökonomische Krisen können nicht durch Maßnahmen am Realgütersektor beherrscht werden. Es wird netto mehr Geld von den Realgütermärkten zu den Finanzgütermärkten transferiert als umgekehrt, was sinkende Nachfrage und sinkendes Angebot auslöst. Im bestehenden Wirtschaftssystem gibt es - außer durch unerwartete Zusammenbrüche ("crash"-Ereignisse) keinen Rückkoppelungsmechanismus zum Abbau von Guthaben.

Je älter eine Volkswirtschaft ist, desto größer werden wegen der Zinseszins-Wirkung die zins- und gewinnbringenden Vermögen. Dadurch steigt der relative Anteil der Kapitaleinkommen am gesamten Volkseinkommen und damit die Ungleichheit in den Gesamteinkommen. Die Einkommensverluste der breiten Masse, die durch die Umverteilung hin zu den Kapitaleinkommen hervorgerufen werden, werden zunächst durch ein ausreichendes Wirtschaftswachstum ausgeglichen. Eine konstante (bzw. sogar noch zunehmende) Wachtumsrate würde aber exponentielles Wachstum bedeuten, was real grundsätzlich unmöglich ist. (Das bekannte Beispiel dafür ist die unfaßbare Summe, die zusammenkäme, hätte jemand am Beginn unserer Zeitrechnung 1 Groschen zu Zinseszins angelegt.) Eine mögliche und derzeit praktizierte Folge ist die Investition der verfügbaren Mittel in die Entwicklung der Finanzmärkte. Dabei entstehen - nicht zuletzt durch die gegenwärtige Bilanzierungspraxis - hohe Buchgewinne, die in Wahrheit eine inflationäre Entwicklung der Finanzmärkte sind. Beim Platzen der Spekulationsblase werden durch das Einschreiten zum Beispiel des Internationalen Währungsfonds Buchgewinne in reale Gewinne verwandelt, was eine Privatisierung der Gewinne durch Sozialisierung der Verluste bedeutet.

Die Autoren entwickeln eine Vision einer gerechten Finanzwirtschaft für das Jahr 2007 und stellen dann mögliche (und unvollständige) Maßnahmen zur Realisierung dieser Realutopie zur Diskussion: * An ein nachhaltiges Finanzsystem stellen sie die Forderung, daß Guthaben und Kapitaleinkommen nicht rascher wachsen als das Bruttosozialprodukt, was zum Beispiel durch Besteuerung der Kapitalvermögen bzw. -erträgen, durch eine "Tobin-Steuer" auf Finanztransaktionen, durch Förderung von Pensionsfonds zugunsten der breiten Masse der Bevölkerung, durch die Hintanhaltung von Verselbständigung und Abkoppelung des Geldes aus der Realwirtschaft durch Tauschringe (zum Beispiel "Talente") und Modelle von Freigeld im lokalen Bereich (nach dem Beispiel von Sylvio Gesell) erreicht werden soll.

* Als Stabilisierungsmaßnahmen schlagen sie eine steuerliche Gleichbehandlung von Real- und Finanzwirtschaft, eine Entlastung bzw. Förderung der Realwirtschaft (wenn Gewinne im Unternehmen investiert werden), sowie regulierende Eingriffe zur Zurückdrängung der Geldschöpfung durch Finanzspekulation und Entschuldung im privaten, nationalen und internationalen Bereich vor. In diesem Zusammenhang wird übrigens auch die Initiative Entschuldung 1996 und die Erlaßjahr 2000-Kampagne vorwiegend kirchlicher Organisationen zitiert.

Grundeinkommen vorgeschlagen * Die Autoren wiederholen den Vorschlag eines Grundeinkommens in der Übergangsphase von einer monetär zu einer wieder stärker lebensweltlich organisierten Gesellschaft, das durch Steuer- und Abgabenpolitik ermöglicht werden soll.

* Für das durch neue Informationstechnologien ermöglichte Risikomanagement wird die Erarbeitung von Standards verlangt.

Es ist im Rahmen dieser kurzen Besprechung nicht möglich, im Detail auf die Argumente und Schlüsse des "Föhrenbergkreises" einzugehen. Wem der hier vorliegende Abriß zu Recht zu punktuell und plakativ erscheint, der sollte unbedingt die Originalarbeit nachlesen und sich damit auseinandersetzen. Wenngleich dies für Nicht-Ökonomen nicht leicht ist, sind die Hauptpunkte der Analyse und die Richtung einer notwendigen Systemänderung (besser Systembesserung aufgrund neuer Werteprioritäten) durchaus verständlich und regen zum Nachdenken an. Für die Fortschreibung des Sozialhirtenbriefs im Rahmen des "Dialoges" der Katholischen Kirche ist die Broschüre zweifellos eine wichtige Grundlage.

Der Autor ist Entwicklungspolitischer Konsulent der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission.

GELD STATT ARBEIT. Die Träume der Finanzwirtschaft. Anleitungen zum Aufwachen. Hg. vom Institut für Wirtschaft und Politik. Wien 1999.

Die Broschüre kann bezogen werden bei: Inst. f. Wirtsch. u. Politik, Reisnerstraße 40, 1030 Wien, Tel.

Information Den "Föhrenbergkreis" gibt es seit 1992. Eine Runde von Führungskräften, Politikern verschiedener Parteien, Freiberuflern "stellt sich aus der Sorge um das Unternehmen Österreich Fragen, die nicht überall gestellt werden". Die Fachleute kommen aus verschiedensten Bereichen. unter anderem gehören Umweltminister Martin Bartenstein, Lorenz Fritz von der Industriellenvereinigung, LIF- Abgeordneter Helmut Peter, die Grazer Management-Theoretikerin Ursula Schneider sowie die Wirtschaftsberater Günther Robol und Helmut F. Karner zum Föhrenbergkreis. Ziel der Gruppe ist, Verantwortliche in Politik und Wirtschaft anzuregen, ihre Positionen neu zu überdenken.

Bestellung der Broschüre: Institut für Wirtschaft und Politik, 1030 Wien, Tel.: 01/7183177

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