Die USA: Kein Modell für Europa

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dieFurche: Sie haben Montag Ihre neue Studie vorgestellt. Worum geht es?

Stephan Schulmeister: Sie betrifft die Arbeitslosigkeit. Ich sehe in der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung den Reflex eines ineffizienten Wirtschaftsystems: Was die privaten Haushalte von Periode zu Periode sparen und auf die Bank tragen, wird nicht über Kreditaufnahme der Unternehmer, der "Realkapitalisten", in Maschinen, Ausrüstungen und damit auch in Arbeitsplätze verwandelt, sondern die Unternehmen selbst betätigen sich als "Finanzkapitalisten".

dieFurche: Was heißt das?

Schulmeister: Seit etwa 20 Jahren agieren Unternehmen, die traditionell auf den Gütermärkten ihre Gewinne machten, immer stärker als Akteure der Finanzmärkte. Das bekannteste Beispiel ist Siemens. Seine Bilanzstruktur ähnelt eher der einer Bank als der eines Industriekonzerns. Dies ist eine Folge der Wirtschaftspolitik. Sie bewirkte, daß Finanzmarktaktivitäten relativ profitabler als Aktivitäten auf den Gütermärkten sind.

dieFurche: Wie kam es dazu?

Schulmeister: Das hat viel mit der Notenbankpolitik seit den siebziger Jahren zu tun: Bis dahin lag das Zinsniveau unter der Wachstumsrate der Wirtschaft. Ende der siebziger Jahre ist aber die Profitabilität der Finanzvermögen dramatisch gestiegen. Zusätzlich wurden, salopp gesagt, immer neue "Casinos" auf den Finanzmärkten eröffnet.

dieFurche: Was heißt "Casinos"?

Schulmeister: Neue Techniken, um zum schnellen Geld zu kommen. Das sind Finanzinstrumente, die oft in sehr komplizierten Kombinationen immer neue Formen spekulativer Spiele mit Casino-Charakter ermöglichen. Es kommt dabei nur zu Umverteilungen des Vermögens. Wer heute auf Dollaraufwertung spekuliert, wird gewinnen, wenn sie eintritt, und wer auf Abwertung gesetzt hatte, verlieren. Aber das System an sich kann nicht Wohlstand schaffen. Das "Realakkumulationsspiel" läßt den Kuchen wachsen. Die ersten 25 Jahre der Nachkriegszeit waren ein "Kuchenwachstumspiel". Man schaute gemeinsam darauf, daß der Kuchen größer wird. Daher auch Kooperation Unternehmer-Gewerkschaft. Heute hingegen schaut jedes Land, jedes Unternehmen nur darauf, wie es sein Kuchenstück vergrößern kann.

dieFurche: Ein Vorwurf an die Unternehmen?

Schulmeister: Nein. Sie sind Spieler, deren Rolle es ist, ihre Interessen zu wahren. Es versagt das übergeordnete System. Bis Anfang der siebziger Jahre wurde beispielsweise der internationale Devisenmarkt geregelt. Im Falle einer wirklich schweren Wirtschaftskrise wird auf dieser Ebene wieder etwas gemacht werden.

dieFurche: Wie könnte man die Lage auf den Arbeitsmärkten verbessern?

Schulmeister: Das Ablenken des Gewinnstrebens der Unternehmer von den Güter- auf die Finanzmärkte hat uns sowohl sehr hohe öffentliche Verschuldung wie auch Arbeitslosigkeit eingehandelt. Hier muß die Therapie ansetzen. Die Europäische Zentralbank könnte erkennen, daß die Relation zwischen Wachstumsrate und Zinssatz wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft ist. Daher müßte das Euro-Zinsniveau auf der Höhe des erwarteten Wachstums liegen. Konkret: Bei 2,5 Prozent Inflation und einem mittelfristigen Wachstum von zwei Prozent, müßten die Zinsen bei vier und die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank nicht viel über einem Prozent liegen. Also eine Zinssenkung von zwei bis drei Prozentpunkten. Man müßte auch den Unternehmern vertrauenswürdig versichern, daß sie mittelfristig mit gleichbleibenden Zinsen rechnen können. Gerade produktive langfristige Investitionen sind davon abhängig. Ein weiterer Punkt: Der künftige Euro ist gegenüber dem Dollar etwa um 20 Prozent überbewertet. Man muß versuchen, ein faires Kursniveau zu finden. Fair ist es, wenn es das Preisniveau in Europa an das der USA angleicht.

dieFurche: Also nur monetäre Maßnahmen?

Schulmeister: Durchaus nicht. Steuerliche Veränderungen sind erforderlich. Heute ist die relativ unproduktive Finanzinvestition auch steuerlich besser gestellt. Ein Beispiel: Wer in Österreich ein Unternehmen gründet und ein steuerpflichtiges Einkommen von einer Million Schilling nach einiger Zeit hat, zahlt 36 Prozent Steuern. Hat er eine Million Zinserträge, so zahlt er nur 25 Prozent, und hat nichts zur Innovation beigetragen. Das sind falsch gesetzte Anreizsysteme.

dieFurche: Kann es sich ein Staat leisten, an der Steuerschraube zu drehen?

Schulmeister: Ein einzelnes Land könnte die Zinsertragssteuer nicht etwa auf 40 Prozent erhöhen. In Europa insgesamt aber wäre es machbar. Ganz wichtig aber wäre eine flexible Form der Arbeitszeitverkürzung. Das Modell von Volkswagen ist da sehr radikal: eine Absenkung von 37 auf 29 Stunden, verbunden mit einem Gehaltsverzicht, der allerdings nicht aliquot war, sondern etwa 50 Prozent betrug. Die Arbeitnehmer verzichteten auf das Weihnachtsgeld und bekamen dafür eine Arbeitszeitverkürzung um 20 Prozent. Sie hat das Unternehmen deswegen nichts gekostet, weil bei einer Vier-Tages-Woche auch am Samstag gearbeitet und damit das Realkapital besser ausgelastet wird. In diesen Modellen stecken alle Ingredienzien eines europäischen Weges zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Der europäische Weg soll und kann nicht das amerikanische Modell kopieren. Wir dürfen keinen Niedriglohn-Arbeitsmarkt aufmachen, auf dem Millionen Menschen etwa um 50 Schilling in der Stunde arbeiten. Der europäische Weg sollte hohes Produktivitätswachstum und steigende Beschäftigung sein. Die Amerikaner haben in den letzten 20 Jahren das Produktivitätswachstum auf fast null gedrückt und zusätzliche Jobs geschafft.

dieFurche: Kein Produktivitätswachstum in den USA - das klingt unglaublich.

Schulmeister: Die Amerikaner haben eine gespaltene Wirtschaft. In der Industrie wächst die Produktivität weiter. Die Beschäftigung verlagert sich in Bereiche unterdurchschnittlicher Produktivität (Einzelhandel, Gastgewerbe, die "Mac-Jobs"...), sodaß es insgesamt keine Steigerung gibt. Die Alternative wäre das Volkswagenmodell: Ein hypermodernes Unternehmen steigert die Produktivität und sichert die Beschäftigung, indem ein erheblicher Teil der Produktivitätszuwächse in mehr Freizeit ausbezahlt und die Arbeit stärker geteilt wird. Mir kommt es langfristig effizienter vor, wenn wir in Europa weiterhin die Produktivität steigern und dafür etwas weniger arbeiten und so die Arbeitslosigkeit senken.

dieFurche: Funktioniert das in Konkurrenz mit den USA?

Schulmeister: Sicher. Das Beispiel von Volkswagen und BMW beweist es. Die besten deutschen Konzerne wissen: Topprodukte lassen sich nur mit einer motivierten Belegschaft herstellen. Deutschland ist ein Hochlohnland, hat eine überbewertete Währung - und trotzdem reüssieren Werke wie Volkswagen, BMW und mit etwas Abstrich auch Mercedes exzellent. Das rührt daher, daß der technische von einem sozialen Innovationsprozeß ergänzt wird. Es ist ein Riesenirrtum zu glauben, daß man das Prinzip der Konkurrenz (jeder gegen jeden) aus der Sphäre der Märkte auf die innerbetriebliche Organisation übertragen kann und dann mehr Effizienz herausbekommt.

dieFurche: Produziert der technische Fortschritt, der so stark arbeitssparend ist, auf gesättigten Märkten nicht zwangsläufig "Mac-Jobs"?

Schulmeister: So gesättigt sind die Märkte gar nicht. Sättigung gibt es vielleicht bei der heutigen Einkommensverteilung, wenn die Reichen reicher, die Armen ärmer werden. Das zusätzliche Einkommen der Reichen erzeugt keine zusätzliche Nachfrage. Insgesamt geht es um eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Europa muß seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den USA ablegen.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

Zur Person: Der gesellschaftlichen Dynamik auf der Spur Dr. Stephan Schulmeister ist 1947 in Wien geboren. Hier absolviert er auch seine Schulzeit und studiert nach der Matura Rechtswissenschaften und Ökonomie.

Ein halbes Jahr verbringt er an der Johns Hopkins- Universität in Bologna. Sein Jusstudium schließt er 1970 ab, das wirtschaftswissenschaftliche 1972. Von da an ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung tätig. Dort ist er für die grundsätzlichen Fragen des Funktionierens des Wirtschaftssystems zuständig: "Ich arbeite seit 15 Jahren an dem Versuch, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik zu begreifen. Am vergangenen Montag wurde seine jüngste Studie: "Die Beschäftungsdynamik in den USA im Vergleich zu Deutschland und Japan vorgestellt.

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