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Der Papst auf der Seite der Indios
Ein Höhepunkt der jüngsten Papstreise war die Begegnung Johannes Pauls II. mit einem Sprecher der Indios, der recht kritisch gegenüber der Kirche auftrat.
Ein Höhepunkt der jüngsten Papstreise war die Begegnung Johannes Pauls II. mit einem Sprecher der Indios, der recht kritisch gegenüber der Kirche auftrat.
Ein Kurzschluß, durch geschickte Steinwürfe auf Hochspannungsleitungen erzeugt, hatte am Ende der Kolumbien-Reise des Papstes in Cartagena einige Minuten lang Dunkelheit verbreitet: „Der Papst ist da, aber wir auch“, riefen Terroristen der „M19“-Untergrundorganisation ins Polizeitelefon.
Es war wie ein symbolisches Zeichen für das, was Johannes Paul II. in der Hafenstadt Baran-quilla vor dem Rückflug nach seiner einwöchigen Kolumbien-Reise als düstere Liste der Probleme aufzählte, die diesem Land nach wie vor bleiben: ungerechte Verteilung des Reichtums, ungenü-
gender Schutz der Schwachen, Gewalt, Terror, Guerilla, Torturen und Entführungen, Machtmißbrauch und nicht zuletzt, wie der Papst sagte, „das abscheuliche Verbrechen des Drogenhandels“.
An dieses Kolumbien, wo ihn Millionen Menschen in diesen Tagen mit stürmischer Begeisterung gefeiert hatten, appellierte er noch einmal, sich christlich zu versöhnen, den Haß zu begraben, die Waffen niederzulegen und die Furcht zu verbannen. Im letzten Augenblick fügte er in den Text seiner Abschiedsrede einen bedeutsamen Appell ein: „Ich habe den Schrei nach Frieden aus Euren Kehlen vernommen, ich fordere alle, besonders jene, die zu den Waffen greifen, ehrlich auf, an der Suche nach Frieden teilzunehmen, an den Initiativen, die es dafür schon gab und künftig geben wird.“
Kirchenmüde, aber auch fromme Europäer mögen ihre Zweifel am Sinn von Papstreisen äußern, in einem Land wie Kolumbien aber hat Johannes Paul II. in diesen sieben Tagen wieder so viele Menschen begeistert, ermutigt, getröstet und - sei es auch nur für Stunden - dem Bewußtsein ihrer Misere entrissen, daß allein dies schon seinen Reisen einen Sinn gibt.
Mehr noch gilt das für die Augenblicke, in denen das hektische Programm ihm doch auch direkte menschliche Begegnungen erlaubt, ein spontanes Reden ohne Papier oder eine ruhige Reflexion. So etwa beim Gebet für die 23.000 Menschen, die 1985 mit ihrer Stadt Armero vom Vulkan Neva-do del Ruiz begraben wurden. Zu diesen Brüdern, die Opfer der „entfesselten Naturkräfte wur-
den, möge der himmlische Vater barmherzig sein, von dem alles Gute kommt“ — so das Gebet des Papstes.
Freilich, Johannes Paul IL, nicht nur Weltreisender, auch Wanderer zwischen den Welten, vermag offenkundig den Ansturm der Übel und Widersprüche, mit denen er immer wieder hautnah konfrontiert wird, nur zu verkraften, indem er sie verinner-licht, sie in theologisch-philosophischen Betrachtungen aufzuheben sucht. So sah man ihn auf dem Flug nach Armero nicht von
ungefähr ein Buch lesen, das Kardinal Josef Ratzinger über Escha-tologie, also über die letzten Dinge des Menschen und der Welt, geschrieben hat...
In Popajan, einer Stadt im Südwesten Kolumbiens, zum größten Teil von Indios bewohnt, breitete ein Sprecher der Eingeborenen von der Kanzel des Freialtars dramatische Anklagen aus, die auch die Kirche nicht verschonten:
JDie bald 500 Jahre seit der spanischen Eroberung Kolumbiens seien für die Indios eine Geschichte schmerzlichen Schweigens und stillen Martyriums“ gewesen. Mitleidlos sei die Eingeborenenkultur vernichtet worden, und die jüngsten Versuche, sie wieder zu beleben und Formen der Selbstverwaltung zu entwickeln, seien von den Grundbesitzern mit Verfolgung, Militarisierung, ja Ermordung von Frauen und Kindern beantwortet worden. „Auch Teile des Klerus haben unseren Freiheitskampf als subversiv verleumdet und uns vom Gottesdienst ausgeschlossen“, so rief der
Sprecher der Eingeborenen dem Papst zu und erinnerte auch an einen vor zwei Jahren ermordeten Indio-Priester.
In diesem Augenblick gab es Pfiffe, und ein kolumbianischer Prälat unterbrach den Redner, weil dieser „einen nicht genehmigten Text“ gelesen hatte. Doch der Papst sagte: „Ich weiß nicht, warum er unterbrochen wurde, aber ich werde seinen Text aufmerksam lesen“. Im eigenen Redetext des Papstes stand zum Glück der Satz: „Ich weiß, daß Ihr für die Verteidigung Eurer Kultur, Eurer Sprache und Eures Lebensstils kämpft. Die Kirche unterstützt dies.“
Aber da gab es auch die weniger glückliche, von dem Indiosprecher gerade widerlegte Behauptung, die Missionare hätten einst den Indios das Christentum in Ubereinstimmung mit deren Kulturmodellen bekundet. Der Papst spürte wohl, daß er damit dem gespannten Augenblick nicht gerecht wurde. So ließ er am Ende unter dem Beifall der Menge den
Indiosprecher auffordern, seine unterbrochene Anklagerede wei-terzulesen. Und die dramatische Szene endete mit einer versöhnlichen Umarmung.
Der Papst war auch in Kolumbien mit seinem immer wiederkehrenden Dilemma konfrontiert, daß er politische Übel anprangern muß, sich aber eigentlich politisch nicht einmischen, sondern nur moralisch-religiös verstanden sein will. Die Strukturen als solche könne die Kirche nicht ändern, nur um ihre moralischen Wurzeln könne sie sich kümmern und so auf die Menschen einwirken, sagte er schon auf dem Flug nach Bogota zu uns mitreisenden Journalisten.
Gegen den praktischen wie den ideologischen Materialismus predigte er, doch das Reizwort „Marxismus“ vermied er in Kolumbien, wohl auch, weil dort die politisch-ideologischen Fronten unübersichtlich sind. Wo das Praktische, das menschenwürdige Leben und Uberleben, erkämpft werden muß, verblaßt oft jede Theorie.
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