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Zwei Augenzeugen waren in El Salvador

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Wahltag in El Salvador: Kann man, wenn man dabei war, ihn unterschiedlich erlebt haben? Man kann. Die FURCHE kapituliert vor dem Versuch, „die Wahrheit” zu berichten. Schon das Ringen um Wahrhaftigkeit scheint unlösbar.

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Wahltag in El Salvador: Kann man, wenn man dabei war, ihn unterschiedlich erlebt haben? Man kann. Die FURCHE kapituliert vor dem Versuch, „die Wahrheit” zu berichten. Schon das Ringen um Wahrhaftigkeit scheint unlösbar.

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Es ist Sonntag, der 28. März, in San Salvador, und ich will in der Kathedrale die Predigt des Bischofs hören. Aber an diesem Sonntag, da die Menschen von El Salvador wählen, sind die Kirchen leer.

Als ich auf den Stufen stehe, bekomme ich Angst. Vor mir liegt der menschenleere Platz; die Stufen der Kathedrale sind mit roten Farbflecken bemalt: sie zeichnen das Blut der Menschen nach, die beim Begräbnis des Erzbischof s Romero auf der Flucht in die Kirche massakriert wurden.

Als ich am Nationalpalast vorbeigehe und sehe, wie mir Gewehrläufe folgen und wie diese Gewehre das Bild des Erlösers verdecken, da wird eine christliche Binsenweisheit greifbar: in diesem Land ist Christus nur mehr in den Opfern der Gewalt, in den Gequälten, in den Armen. Er ist niemals hinter den Gewehren. Er ist gegangen und hat sich vor die Gewehrläufe gestellt.

Ich gehe an jenem Sonntagmorgen hinüber in eine andere Kirche, „El Rosario”. Sie steht am Hauptplatz der Stadt. Jedermann kennt sie. Es ist eine Wallfahrtskirche; aber sie ist auch deswegen bekannt, weil an ihrer' Fassade weiße Friedhofskreuze angebracht sind. '

Denn in der Kirche, unter dem Kirchenboden, ist das anonyme Massengrab der Opfer eines anderen Massakers. Es durften damals keine Begräbnisse stattfinden; in der Nacht, unter Bewachung des Militärs, waren die Toten in der Kirche begraben worden.

Ich zelebriere in „El Rosario” die 12-Uhr-Messe. Anstatt der üblichen 1000 Meßbesucher kommen an jenem 28. März nur zwölf Leute. Während der Messe höre ich vom Platz Schüsse; weiter entfernt detoniert eine Bombe. Nachher sagen mir die Leute: Heute haben wir alle Angst! Deswegen kommt niemand.

Und dann sehe ich in einer Seitenkapelle der riesigen, leeren Kirche das Bild des Schmerzensmannes, in diesem drastischen Stil des lateinamerikanischen Realismus. Der Schmerzensmann ist das Bild dessen, was diese Menschen in El Salvador erleiden. Ich begegne Ihm immer wieder, so am Nachmittag jenes Sonntags, als ich ins Priesterseminar der Erzdiözese gehe.

Im Garten des Seminares leben zur Zeit 1800 Flüchtlinge. Wenn sie das Refugium verlassen, werden die Soldaten, die das Seminar umstellen, sie töten. Sie sind rechtlos; der einzige Rechtstitel, den sie haben, ist das Asylrecht, das der Bischof für sie beansprucht.

Wie prekär dieses Recht ist, zeigt sich daran, daß das „refugio” immer wieder vom Militär und den rechten Mörderbanden bedroht wird. Bedroht durch tätliche Ubergriffe: so wurde das Lager am Sonntag früh vom Reklamehubschrauber der rechten Partei .Arena” aus beschossen. Bedroht wird das Asylrecht auch deswegen, weil Armee und Privatarmeen die Versorgung des Lagers behindern: Ärzte dürfen das Refugium nicht betreten; Krankenschwestern wurden so eingeschüchtert, daß sie es nicht mehr wagen, im „refugio” zu arbeiten.

Das ist eine tödliche Bedrohung der Flüchtlinge: denn sie sind alle krank und unterernährt. Unterernährt nicht nur, weil Arme das immer sind, sondern auch, weil die Lebensmittelversorgung des Lagers behindert wird.

Mitleid ist auch eine politische Kategorie, denn vor dem Leid des Menschen muß der Christ Partei ergreifen: Mit dem Leidenden leidet Gott.

Der Autor ist Pressesprecher der Caritas Osterreich. Diese erbittet weitere Hilfe: PSK 7,700.004 „El Salvador”.

Wir wissen aus Geschichte und Erfahrung, wie leicht es ist, Menschen durch einseitige Information zu emotionalisieren, ja zu radikalisieren. Das drängt sich mir auf, wenn ich an die Situation in Mittelamerika und an die jüngsten Wahlen in El Salvador und an die Berichterstattung darüber denke...

Seit einigen Jahren übt die Guerilla den Aufstand gegen die staatlichen Machthaber in El Salvador. Zunächst verständlich, weil die Ungerechtigkeit der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung offenbar nur durch radikale Maßnahmen angegangen

Von WOLFGANG BLENK werden kann: Landflucht, Wachsen des Städteproletariats, Arbeitslosigkeit, Massenelend, Hunger, Analphabetismus — sie alle gehören zum betrüblichen Alltag vieler lateinamerikanischer Staaten.

Da hat vor zwei Jahren in El Salvador eine Junta aus Christdemokraten und Militärs diese Dinge radikal, revolutionär zu ändern begonnen: Enteignung des Großgrundbesitzes und Aufteilung an Kleinbauern, Verstaatlichung des Kreditapparates und der Exportwirtschaft: ein fürwahr revolutionäres Programm mit unerwarteten Erfolgen und Ergebnissen.

Und die Guerilla: War sie froh über diesen Schritt? Nein, der Kampf wurde verschärft, Uberfälle, Terror, Gewalt und Gegengewalt nahmen zu. Präsident Duarte und die Junta gingen den Weg eines Versuches der Demokratisierung des Landes weiter.

Ein Parteiengesetz wurde erlassen, Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung angesetzt. Alle Kräfte des Landes wurden nachdrücklich eingeladen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Die Guerilla, eine Vereinigung aus Kommunisten und

Sozialisten, lehnte ab. Trotzdem fanden die Wahlen statt.

Duarte lud alle Regierungen der westlichen Welt und alle Parteien und internationale Organisationen ein, Wahlbeobachter zu entsenden, die die Korrektheit dieser Wahl prüfen sollten. Die Guerilla wollte die Wahl mit allen Mitteln verhindern: mit Drohungen („Wir werden den Wählern die Finger mit Wahlfarbe abhak-ken”), mit Einschüchterungen („Wer morgens wählt, ist mittags tot”), mit blutigen Uberfällen auf die Wahllokale.

Trotzdem: Die rund 250 Wahlbeobachter, darunter ein Dutzend europäische Abgeordnete, bekamen ein Bild massiver Wahlbeteiligung. Mehr, als 80 Prozent der Wahlberechtigten ließen sich nicht einschüchtern. Angesichts der Drohungen und Uberfälle der Terroristen wurden Wahllokale und Knotenpunkte durch Militär abgeschirmt: zum notwendigen Schutz vor den angekündigten Terror-Uberfällen.

Ich sprach mit mehr als 200 Wählern in verschiedenen Städten und Landesteilen. Auf die Frage nach dem Warum ihres Wählens kam fast immer die gleiche Antwort: „Weil wir gegen Gewalt sind, gegen Terror; weil wir für den Frieden, für die Demokratie sind.”

Das war keine „Farce”, das waren bestmöglich korrekte Wahlen, eine massive Demonstration des Volkes gegen Gewalt und Terrorismus, für Frieden und Demokratie. So habe ich es erlebt, so haben es alle Beobachter aus den Ländern der Welt erlebt, mit denen ich sprach. Aber sicher: Auch das kann man ins Gegenteil verkehren, wenn es einem nicht ins vorgefaßte Bild paßt...

Die innenpolitischen Folgen der Wahl sind noch nicht voll erkennbar. Aber das, was die Bischofskonferenz von El Salvador in ihrer einstimmigen Befürwortung der Wahl am 29. Jänner gesagt hatte, wird stimmen: Die Wahlen waren ein erster Schritt in Richtung Demokratie und Befriedung des Landes.

Unter dem Eindruck dieser demokratischen Kundgebung hat nach der Wahl der Erzbischof von San Salvador, Rivera, die Terroristen aufgefordert, nunmehr die Waffen niederzulegen. Der Apostolische Nuntius von El Salvador sagte mir in einem längeren Gespräch: Dieses Land und diese Wahlen seien ein Opfer des „Terrors der Desinformation”. Leider trifft das viele, die nicht dort waren, vor allem weite Teile der Presse, und auch einzelne, die es erlebt haben und beurteilen könnten.

Der Autor ist OVP-Abgeordneter zum Nationalrat

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