Sie haben ihnen die Gesichter zerschlagen

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Vor 20 Jahren fand das Massaker an der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador statt: Sechs Jesuiten und zwei Mitarbeiterinnen wurden von Militärs bestialisch exekutiert. Doch der Mord vom 16. November 1989 brachte die Wende im salvadorianischen Bürgerkrieg – und ebnete den Weg zu Friedensverhandlungen.

Zum Christentum gehört die „Memoria passionis“ (J. B. Metz): die Erinnerung an die Leidensgeschichten von Männern, Frauen und Kindern, die mit ihrem Lebenszeugnis die Lebens- und die Leidensgeschichte Jesu von Nazaret weitergeschrieben haben. Es hat auch mit Erinnerungskultur zu tun: wieder und wieder zu erinnern – um präsent zu halten, was war.

Vor 20 Jahren, am 16. November 1989, wurden sechs Jesuiten, ihre Köchin und deren 15-jährige Tochter an der Zentralamerikanischen Universität der Jesuiten (UCA) in El Salvador ermordet. Sie waren Opfer eines seit 1981 tobenden Bürgerkriegs, der über 80.000 Todesopfer forderte, 1,5 Millionen Salvadorianer zur Emigration zwang und eine halbe Million Einwohner innerhalb des Landes zu Flüchtlingen machte. Das brutale Attentat löste weltweit Empörung aus.

Die Folge war, dass die USA (die bereits über drei Milliarden Dollar investiert hatten) ihre Politik änderten und ihre Unterstützung für die salvadorianischen Streitkräfte aufgaben. Damit war der Weg frei für Friedensverhandlungen. 1992 kam es zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags, 1993 wurde eine Generalamnestie erlassen, die der linken Guerilla FMLN ebenso galt wie der Armee. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit unterblieb.

Die Mehrheit der Bevölkerung setzte ihre Hoffnungen deswegen auf die bisherige Opposition. Im März 2009 wurde Mauricio Funes zum Präsidenten gewählt und löste damit die rechte ARENA-Partei ab. Neue Hoffnung auf ein Ende der Ungerechtigkeiten keimte auf. Doch nach wie vor gibt es extreme soziale Gegensätze: 40 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. El Salvador – das „Land des Erlösers“ – hat die höchste Rate an Jugendkriminalität in ganz Lateinamerika, Folge einer verfehlten Bildungs- und Sozialpolitik. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung haben keine Krankenversicherung.

Herbst 1989: Wenige Tage, nachdem in Berlin die Mauer gefallen war, flammte in El Salvador der 1980 ausgebrochene Bürgerkrieg noch einmal auf, der letztlich auch ein Stellvertreterkrieg im West-Ost-Konflikt war: Am 11. November hatte die Guerilla mit einer landesweiten Offensive begonnen. Ein Drittel der Hauptstadt San Salvador war besetzt. Die Armee stand mit dem Rücken zur Wand.

Die Uni sollte ihr Gesicht verlieren

Am 15. November beschloss die Armeeführung, sich die „Köpfe“ der Rebellen vorzuknüpfen und ein Zeichen zu setzen: Eine Eliteeinheit der Armee stürmte in den frühen Morgenstunden des 16. November den Campus der UCA, die dem Militärregime seit Jahren als Keimzelle des intellektuellen Widerstands ein Dorn im Auge war. Sechs Patres wurden aus ihren Zimmern gezerrt, sie mussten im Garten mit dem Gesicht nach unten liegen und wurden aus nächster Nähe mit Maschinengewehrsalven durchsiebt. Danach wurden mit den Gewehrkolben ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Hirnmasse quoll heraus. Die makabre Botschaft dieses nicht einmal eine halbe Stunde dauernden Kommandoeinsatzes war eindeutig: Diese Universität sollte ihr Gesicht verlieren, indem die führenden Köpfe, ihr Geist, ausgeschaltet wurden. Der Jesuit Jon Sobrino, zur Zeit des Massakers im Ausland, sagte: „Sie wollten unser Denken auslöschen, deshalb schossen sie in das Hirn meiner Mitbrüder.“ Da es keine Zeugen geben sollte, wurden auch die Köchin der Kommunität und ihre Tochter umgebracht.

An die Toten erinnert heute eine schlichte Steintafel mit den Namen im Garten der Kommunität: Ignacio Ellacuría, Amando López, Joaquín López, Ignacio Martín-Baro, Segundo Montes, Juan Ramón Moreno, daneben das Datum „16 de noviembre de 1989“. Am Eingang vor der Tür des Zimmers, in das sich die beiden Frauen geflüchtet hatten, steht ein weiterer Gedenkstein: „Elba y Celina Ramos – 16 de noviembre de 1989“.

Das Datum hat sich in die Geschichte der Universität eingegraben, ebenso wie die Fotos vom Morgen danach, als der damalige Erzbischof von Salvador, Arturo Rivera Damas die Leichen der Ermordeten segnete: „Derselbe Hass wie bei Romero hat auch diese hier getötet.“ Damit waren die Toten in eine Reihe gestellt mit Erzbischof Oscar Arnulfo Romero, der 1980 während einer Messe ermordet worden war. Ignacio Ellacuría war einer seiner Berater.

Ellacuría war mit seinen Publikationen und Kommentaren in öffentlichen Debatten präsent. Er wurde nicht müde, für soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten – für die herrschende Oligarchie war er seit Jahren ein rotes Tuch. Der Peruaner Alvaro de Sato, der als Repräsentant des damaligen UN-Generalsekretärs Javier Perez de Cuellar die 1990 begonnenen Friedensverhandlungen leitete, meinte rückblickend: „Die Jesuiten mussten ihr Leben verlieren, um die moralische Empörung hervorzurufen, die die salvadorianischen Streitkräfte in der Defensive hielten und sie am Verhandlungstisch zu Zugeständnissen zwangen, ohne die ein dauerhafter Friede wahrscheinlich nicht erreicht worden wäre.“

Umgesetzt worden ist davon allerdings nur ein Teil. Zwar kam es 1991 zum Prozess, bei dem zwei (von acht) Angeklagten wegen Mordes verurteilt wurden. Doch seit der Generalamnestie 1993 sind sie wieder frei. Man weiß, dass die gesamte Armeeführung in das Massaker involviert war, aber es dauerte bis zum November 2008, als die spanische Menschenrechtsorganisation APDHE und das Zentrum für Justiz und Rechenschaft (CJA) beim Nationalen Gerichtshof in Madrid Anzeige gegen 14 ranghohe Militärs und gegen Ex-Präsident Alfredo Cristiani (ARENA) einbrachten. Begründung: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Nicht umsonst gestorben

Den Jesuiten geht es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit. Als ich im August 2008 eine Woche lang meine Mitbrüder an der UCA besuchte, wohnte ich in einem der Zimmer der Ermordeten – ein seltsames Gefühl. Umsonst sind sie jedenfalls nicht gestorben, denn die Universität hat überlebt. Sie ist ein Faktor geblieben auf dem Weg zur nationalen Versöhnung.

In einem Beitrag für die Stimmen der Zeit schreibt Jon Sobrino über die Toten: „Mit unterschiedlichen Charismen lebten sie wie Jesus: von Mitleid zu den Armen und den Opfern bewegt; für sie haben sie ihre wissenschaftliche Kompetenz und ihre Begabungen eingesetzt; sie haben sie verteidigt gegenüber ihren Unterdrückern in der Oligarchie, der Regierung und der Armee; mit diesen haben sie sich hart konfrontiert; sie sind treu geblieben bis zum Letzten; und sie sind wie Jesus am Kreuz gestorben – im Kugelhagel der Maschinengewehre. Sie sind die ‚jesuanischen Märtyrer‘ von heute.“

Sterben muss, wer an Götzen rührt. Das Zeugnis der ermordeten Jesuiten von El Salvador

Mit P. Martin Maier SJ, München, Gastprof. an der UCA/San Salvador Montag, 16. November, 18.30,

Universität Wien (Hauptgebäude) HS 47.

P. Martin Maier feiert am Sonntag, 15. November, 10.30, in der Wiener Jesuitenkirche einen Gedenkgottesdienst für die Ermordeten (Infos: www.jesuiten.at).

Am Montag, 16. November, hält er bei den Theologischen Kursen ab 15.00 einen Studiennachmittag zum Thema: Erzbischof Oscar Romero – Märtyrer für Glaube und Gerechtigkeit

* Infos: www.theologischekurse.at)

* Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ und leitet das Karl-Rahner-Archiv in München

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