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Acht Massakeropfer klagen an

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Am 16. November 1989 wurden an der Zentralamerikanischen Uni-versität in der Hauptstadt San Salvador sechs Jesuitenpatres und zwei ihrer weiblichen Angestellten grausam ermordet. Das Funkbild ging um die Welt: Erzbischof Rivera y Damas auf dem Campus der Universität vor den von Maschinenge-wehrsalven buchstäblich durch-siebten, zuvor offensichtlich gefolterten, im Gesicht bis'zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen einiger Patres. Die anderen Opfer waren nach der Exekution in ihre Zimmer zurückgeschleppt worden.

Mit einer Ausnahme lehrten die Jesuiten an der 1965 gegründeten Universidad Centroamericana "Josö Simeon Canas" (UCA). Mit Ignacio Ellacuria (59) und Ignacio Martin -Barö (47) wurden der Rektor und der Vizerektor der UCA ausgelöscht. Segundo Montes (56) war mit seinen Studien zur Flücht-lingsproblematik wie Ellacuria zu internationaler Reputation gekommen. Amando Lopez (53) und Juan Ramön Moreno (56) hatten auch in der Diözese wichtige Aufgaben übernommen. Joaquin Lopez y Lopez (71) leitete Fe y Alegrf a, eine Organisation für die Ausbildung der Jugend in Armenvierteln. Mit ihnen kamen Elba Julia Ramos, die 42jährige Köchin der Patres, und deren 16jährige Tochter Celina um.

Der 16. November 1990 ist (k)ein Tag wie jeder andere. Je näher der erste Jahrestag des kaltblütigen Massakers rückt, um so lebhafter steigen in mir die Bilder von damals auf. Ich kann die Trauer darüber genauso wenig unterdrücken, wie ich den Zorn über die Täter nicht verscheuchen kann. Paradox genug: Das Jahr, in dem die Gesellschaft Jesu den 450. Jahrestag ihrer kirchlichen Approbation feiert, ist auch das Jahr eins nach den Morden von El Salvador.

Die gefährliche Erinnerung ist aber nicht nur Privatsache einer Ordensgemeinschaft. Denn die Chronik der angekündigten Untersuchung umfaßt nun schon zwölf Monate. Aber: Es wird mehr verschleiert als aufgedeckt. Anfang Januar mußte Präsident Cristiani erstmals einräumen, daß "gewisse Elemente der Armee" an dem Anschlag beteiligt waren. Angehörige einer Eliteeinheit wurden verhaftet, ein führender Offizier als Mili-tärattache nach Israel abgeschoben. Die einzige Augenzeugin wurde in die USA ausgeflogen, dort einer Gehirnwäsche unterzogen und "umgedreht".

Der Provinzial der Zentralamerikanischen Jesuitenprovinz, Jös6 Maria Tojeira, meinte kürzlich, es sei "verabscheuungswürdig" zu behaupten, das US-Außenministerium sei bei der Aufklärung behilflich. Zwar hatte der US-Kongreß gedroht, die Wirtschaftshilfe drastisch zu kürzen. Aber auch gewählte Abgeordnete wissen stets weniger als Geheimdienstler. In Mittelamerika stehen sogenannte sicherheitspolitische Interessen der USA auf dem Spiel.

Die bisherige Entwicklung verstärkt die Vermutung, daß die zugesagte lückenlose Aufklärung des Verbrechens letztendlich doch verschleppt werden soll. Dreizehn beziehungsweise zehn Jahre reichten nicht aus, um die Morde an dem Jesuiten Rutilio Grande und an Erzbischof Oscar Arnulfo Romero zu klären.

"Nicht Rache, wohl aber Gerechtigkeit" verlangten die Jesuiten in einem noch am Mordtag veröffentlichten Communique\ Dort heißt es: "Der Tod der sechs Jesuiten und der beiden Frauen ist in einer Reihe zu sehen mit den mehr als 70.000 Toten, die der1 ganze Krieg bisher gekostet hat."

Durch Zufall ist der Jesuit Jon Sobrino dem Anschlag entkommen. Er war auf einer Vortragsreise in Thailand. Zwei Wochen nach der Mordnacht hat er das Manuskript eines erschütternden Bändchens abgeschlossen, dessen deutscher Titel das Mordmotiv nennt: "Sterbenmuß, wer an Götzen rührt" (Edition Exodus, Fribourg/Brig 1990, 122 Seiten). Darin porträtiert er die sechs Ermordeten und stellt die UCA vor. "Im Lehrbetrieb der UCA ging es vor allem darum, zu vermitteln, was die Realität des Landes war. Dies war der Unterrichtsstoff. .. Es ging um die entscheidende Wirklichkeit von El Salvador, nicht um einige Randprobleme oder um anekdotenhafte Vorgänge, wie sie gelegentlich an den Universitäten gelehrt werden. Nein: die Realität der breiten Mehrheit des Volkes mit ihren Leiden, aber auch ihrer Hoffnung und Kreativität sollte zu Wort kommen."

Sobrino läßt auch keinen Zweifel daran, daß diese Jesuiten treu zur Kirche und zum Orden standen. Medellin, Puebla und die letzten Generalkongregationen der Gesell-schaft Jesu hätten zu einer wirklichen Bekehrung der Kirche Lateinamerikas und der Jesuiten geführt. Das ignatianische "Kontemplativ in der Aktion" heiße für die 70 Jesuiten El Salvadors "Kontemplativ in der Aktion für die Gerechtigkeit".

Eben jene Jesuitenkommunität, die durch das Attentat einen enormen Aderlaß erlitten hat, wird am 1. Dezember dieses Jahres mit dem Erzbischof-Romero-Preis 1990 durch die Katholische Männerbewegung Österreichs ausgezeichnet werden. Michael Czerny SJ, Direktor des Menschenrechtsinstituts der UCA, soll den Preis in den Räumen der Theologischen Fakultät Innsbruck in Empfang nehmen. Hier hatten Ellacuria und Montes studiert.

Was kann ein Christ Mitteleuropas aus diesem Martyrium lernen? Andreas Schmutz, Pfarrer und Beauftragter für Flüchtlingsfragen der Evangelischen Kirche in Bern, ging dieser Frage in der Zürcher Zeitschrift "Orientierung" nach. Am Umgang mit Flüchtlingen, Asylanten und sozial Schwachen zeigt sich für den Schweizer, was etwa Fremdenangst und Fremden-haß auslösen können: "Dann sind aber die .Armen' in unserer Gesellschaft Opfer des gleichen Hauptgötzen .Kapital' wie die Armen in El Salvador."

Wir europäischen Spätkonvertiten einer "Option für die Armen" können für das Zeugnis jedes Märtyrers auf anderen Kontinenten dankbar sein. "Die Kirche ist verpflichtet, Situationen aufzuzeigen, in denen diese Würde und die Rechte der Menschen verletzt werden. Ihr ist eine vorrangige Option (ein besonderer Einsatz) für die Armen aufgetragen. Die Option ist keine Erfindung sozialer Extremisten, sondern Beispiel und Auftrag Jesu Christi." Diese Worte stehen nir-gendwo anders als im österreichischen Sozialhirtenbrief; von den Bischöfen in ihrem Schreiben zum "Sonntag der Weltkirche" erneut aufgegriffen.

Bekenntnisse in Programmen sind ein erster Schritt. Bekenntnisse können Ansehen kosten. Das Bekenntnis des Lebens hat einen höheren Preis: das Leben selbst. Die "Option für die Armen" kann zu diesem Preisgeld führen.

Sobrinos Folgerung aus dem Martyrium: "Diese Opfer zeigen, daß die Entscheidung, die der Orden getroffen hat (Option für die Armen), richtig war, weil sie christlich motiviert und realitätsbezogen war; und sie zeigen fernerhin, daß diese Entscheidung in die Praxis umgesetzt wurde." Der 16. November ist (k)ein Tag wie jeder andere.

Der Autor ist Vertragsassistent am Institut für Fundamentaltheologie der Universität Innsbruck.

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