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Mit oder gegen uns erwacht das Volk

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Hat uns die Kirche auf den Philippinen ein „leuchtendes Zeugnis“ gegeben? Daß darüber in Mitteleuropa heiß diskutiert wurde, zeigt hier das Vorwort eines ganz neuen Buches.

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Hat uns die Kirche auf den Philippinen ein „leuchtendes Zeugnis“ gegeben? Daß darüber in Mitteleuropa heiß diskutiert wurde, zeigt hier das Vorwort eines ganz neuen Buches.

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Am 25. Februar 1986 ging auf unblutige Weise die in ihrer letzten Phase blutige Marcos-Diktatur zu Ende. Den Anlaß hatten offenkundige Manipulationen bei der Präsidentenwahl gegeben. Die katholische Kirche war bei diesem Schritt von der Diktatur zur Demokratie maßgeblich beteiligt. Sie hatte zu zivilem Ungehorsam und gewaltlosem Widerstand aufgerufen.

Menschenmassen, unter ihnen viele Christen und darunter wiederum Ordensfrauen und Priester, verhinderten mit ihren ungeschützten Körpern, daß die Rebellion des Verteidigungsministers Juan Ponce Enrile und des amtierenden Generalstabschefs Fidel Ramos mit Gewalt niedergeschlagen werden konnte. Marcos mußte aufgeben und das Land verlassen. Die Spannung der wenigen Tage entlud sich in einem Freudentaumel.

Ich selbst habe diese bewegenden Ereignisse mit großer innerer Anteilnahme während der zweiten Sitzungsperiode der Synode der Diözese Rottenburg-Stuttgart mitverfolgt: diese tagte in der Woche vom 22. bis 28. Februar 1986 in Rottenburg unter dem Vorsitz von Bischof Georg Moser.

Viele Bilder stiegen in diesen Tagen in mir auf, die sich in meiner Erinnerung während einer Reise auf den Philippinen im Februar 1982 festgemacht hatten. Wir waren damals eine kleine Reisegruppe gewesen, die (erweitert durch Peter Neuner, der ein Jahr später auf den Philippinen gewesen war, sowie durch Bischof Julio Labayen auf Inf anta) zu den Autoren dieses Buches gehört: Lea Ackermann, Fritz Köster, Eduard Puffer und ich. Hauptziel der Reise war die Prälatur Infan-ta, welcher seit 25 Jahren (so alt ist sie) Bischof Labayen vorsteht.

In den Sinn kam mir während der aufregenden letzten Tage der Marcos-Diktatur Schwester Marianne. Sie leitete das von der Vereinigung der Orden eingerichtete Büro für politische Gefangene. In diesem Büro wurden die Namen und Geschichten von Verfolgten, Inhaftierten, Gefolterten und Verschwundenen gesammelt, und dies, um ihnen durch ein wenig Öffentlichkeit mehr Schutz zu verschaffen. Ich erinnerte mich an Frau Hildegard. Ein halbes Jahr war sie eingesperrt und bedrängt, weil sie dem evangelischen Pastor Schmitt Post nach Europa mitgeben wollte. Schmitt war aber kurz zuvor verhaftet worden, der kommunistischen Umtriebe verdächtigt. Wer ihn in den folgenden Tagen aufsuchte, wurde als möglicher Komplize gleichfalls eingesperrt.

Ich dachte an die Katechistin-nen in Manila und an den warmen Abend, an dem wir im Hof ihres Hauses Gottesdienst feierten. Wir lasen in der Bibel über die Feindesliebe. Wir, die europäischen Besucher, fragten unsere Gastgeber, wie sie es mit den Reichen und den Unterdrückten hielten. Und sie teilten uns ihre gläubige Hoffnung mit, es möge ihnen gelingen, die Reichen und Mächtigen zu bewegen, wie die Kirche auch ihrerseits eine Option zugunsten der Unterdrückten und Armen im Volk zu treffen. Und während wir den eucharistischen Lobpreis anstimmten, fielen in der Umgebung Schüsse.

Dieser Leidensweg nicht nur des philippinischen Volks, sondern auch vieler christlicher Brüder und Schwestern in ihm, geht nun hoffentlich zu Ende. Die Kirche hat dabei eine mutige Rolle gespielt. Sie hat viele Menschen in langjähriger geduldiger Kleinarbeit befähigt, ihre mißliche Lage einzuschätzen und selbst Verantwortung für deren Veränderung zu übernehmen.

„Mit uns, ohne uns oder sogar gegen uns wird das Volk erwachen“, so steht es auf einem Plakat, das im kirchlichen Umfeld entstanden ist und das mich seitdem im Wiener Institut für Pastoraltheologie an die Praxis der Befreiung dieser mutigen Kirche auf den Philippinen erinnert.

Am 26. Februar, einen Tag nach dem umjubelten Tag des Endes der Diktatur, richtete Bischof Georg Moser im Namen der Synode aus Rottenburg folgende Grußadresse an den Kardinal Jaime Sin in Manila:

Eminenz, hochwürdigster Herr Kardinal Sin!

Mit großer Erleichterung und Freude hat die unter meinem Vorsitz tagende Synode der Diözese Rottenburg-Stuttgart die Nachricht aufgenommen, daß ihr Land, die Philippinen, auf unblutigem Weg die Freiheit erringen konnte. Die Kirche Ihres Landes hat dabei, unter Ihrer Führung, eine mutige Rolle gespielt. Viele Schwestern und Brüder waren in den letzten Jahren Opfer der Militarisierung und der wirtschaftlichen Gewalt geworden. Dennoch ist Ihre Kirche nie vom Weg der Gewaltlosigkeit abgewichen.

Wir werden Ihnen auch in den kommenden, gewiß nicht leichten Tagen auf dem Weg Ihrer Verantwortung und der Festigung menschenwürdiger Verhältnisse für das ganze Volk in Ihrem Land in unseren Gebeten verbunden sein. Wir bitten Sie, Herr Kardinal, Ihren Schwestern und Brüdern in der Kirche auf den Philippinen von unserer herzlichen Verbundenheit zu berichten. Mit tiefer Hochachtung und brüderlichen Grüßen, Dr. Georg Moser, Bischof.

Dieser Text war nicht ohne Schwierigkeiten zustande gekommen. Der (von mir einvernehmlich mit dem Bischof) eingebrachte Textentwurf hatte nämlich eine zwar kurze, aber emotional hochgeladene und für die Diskussion um die Praxis der Befreiung in Deutschland nicht untypisehe Diskussion entfacht.

Diese hatte sich an der Aussage des Entwurfs entzündet, daß die Kirche auf den Philippinen durch ihre mutige Rolle auf dem Weg der Freiheit und durch ihr beharrliches Festhalten an der Gewalt-losigkeit auch für die Diözese bedeutsam wurde: „Sie haben auch unserer Diözese ein leuchtendes Zeugnis eines politischen Handelns einer Kirche gegeben, die sich tief im Herrn unserer Kirche, Jesus Christus, verwurzelt weiß“, so hieß es im eingebrachten Textentwurf.

Dazu ein Synodale wörtlich: „Das leuchtende Zeugnis für unsere Diözese: Meine Damen und Herren, dieser Satz steht drin. So geht das nicht. Ich habe Verantwortung zu übernehmen für meine eigenen Kinder, für die Jugend, vor der ich nun dreißig Jahre täglich stehe. Der Transfer, daß sich Kirche nun hier politisch eindeutig betätigt, ist nicht von der Hand Regimes ein. Das muß sozusagen zu weisen. Wir müssen uns da stellen, auch zur Argumentation. Wir haben in unserem öffentlichen Leben immer wieder die Begriffe .die Reichen', ,die Mächtigen', ,die Armen'. Dies sind Ausdrücke der Konfrontation, der Polarisierung und der Begriffsverwirrung. Diese nun gemeinsam ausgesprochene Solidarisierung mit diesem Vorgang halte ich für bedenklich. Aus diesem Grund kann ich meine Unterschrift dazu nicht geben.“

Und ein Prälat stieß unter Berufung auf den in Kirchenkreisen ansonsten nicht beliebten „Spiegel“ nach: „Dieser Text wird politisch mißbraucht werden. Dem können wir nicht vorbeugen. Daß wir dem neuen Regime bestätigen, daß es die Freiheit gebracht hat, ist das, was ich Blankovollmacht nenne. Der Abusus des Papiers findet statt und hat politische Effekte. Natürlich: Ich be-' wundere diese Bischöfe und halte es, wie gesagt, für einen Modellfall. Man probiert das mal aus, wie das ist, wenn die Kirche eine Intervention vornimmt. Intervention ist ein durchgreifender Terminus. Er greift unmittelbar zur Veränderung zum Beispiel eines durchgespielt werden. Wir sollten dazu nicht applaudieren. Das ist... entsetzlich, was da geschehen ist. Ob' das anders wird, wissen wir nicht. Die Kommunisten liegen auf den Philippinen auf Lauer, wie man weiß. Und wir geben die Approbation. Das ist meine Sorge.“

In der Tat, die befreiende Praxis der Kirche auf den Philippinen ist - auf dem Hintergrund unserer vermeintlich unpolitischen Kirche in Europa - ungewöhnlich. Es ist für viele auch gefährlich, für unsere Kirche in Europa Folgerungen zu ziehen, also die Praxis der Befreiung für uns als „leuchtendes Zeugnis“ zu beschreiben. Und bei uns lauert im Hintergrund zwar nicht der Kommunismus, aber die Kommunismusangst. Dabei wird übersehen, daß die mutige Praxis der Kirche der wohl einzige Ausweg war, um die Philippinen nicht noch mehr in die Arme des Kommunismus zu treiben.

Nach der erregten Debatte suchte ich das Gespräch mit dem Prälaten. Ob er die Verhältnisse aus erster Hand kenne oder dort gewesen sei? Er war über diese Frage in lautstarker Weise ungehalten. Dies ist die Schwäche vieler: Sie reden ohne Betroffenheit.

Betroffenheit entsteht aber, so habe ich auf meiner Reise gelernt, durch „immersion“, durch das Eintauchen in die Lage des anderen. Ich und meine Freunde, die wir zusammen dieses Buch herausbringen, aber eine erste Betroffenheit dann gewachsen ist, wenn wir anderen von unseren Erfahrungen erzählt haben.

Eben dies erhoffen wir auch von diesem Buch. Es erzählt von der Praxis der Befreiung auf den Philippinen. Im Mittelpunkt steht dabei eine erst fünfundzwanzigjährige Prälatur (was soviel ist wie eine Diözese während der Schwangerschaft): Infanta und ihr Bischof Julio Labayen. Wir hoffen, daß es uns mit dem Buch gelingt, der Kirche auf den Philippinen und ihrer mutigen Praxis der Befreiung weitere Freunde zu gewinnen. Zugleich bleibe ich bei meiner Einsicht, daß uns die Kirche auf den Philippinen durch die befreiende Praxis ein leuchtendes Zeugnis gegeben hat. Wofür wir ihr danken.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

Aus: MACHT UND OHNMACHT AUF DEN PHILIPPINEN. Kirche der Befreiung als einende Kraft. Herausgegeben von Fritz Köster und Paul M. Zulehner. Walter Verlag, Ölten 1986. 180 Seiten, kart, öS 17730.

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