"Interreligiöser Dialog ist gottgewollt"

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Jesuitengeneral Peter-Hans Kolvenbach über Nachwuchssorgen des Ordens, den Einsatz der Jesuiten für Flüchtlinge, Chancen und Schwierigkeiten des interreligiösen Dialogs, den erst 1946 aufgehobenen ordensinternen "Arierparagraphen", sowie das Verhältnis zum Papst und zum Opus Dei.

Die Furche: Welche Aufgaben hat der Jesuitenorden im säkularen Europa der Gegenwart?

Peter-Hans Kolvenbach: Von Anfang an war es der Schwerpunkt für die Gesellschaft Jesu, mit Christus als Diener seiner Sendung und mit den Menschen zu sein, besonders wenn sie Christus überhaupt nicht oder nur mangelhaft kennen. Als Pilger in der Sendung Christi in der ganzen Welt unterwegs, sind wir bereit, uns an alle kulturellen Situationen anzupassen, damit Christus gepredigt wird. In Europa bedeutet das meistens, in Ländern, die zunehmend säkularisiert werden, apostolisch - das heißt: wie die Apostel - zu arbeiten. Es ist darum wichtig, durch Erziehung aller Art - Unterricht und Forschung in Theologie und Philosophie, Exerzitien und Gespräche mit Einzelpersonen und Gruppen, Zeitschriften und Massenmedien - den Glauben und die kirchliche Gemeinschaft nicht nur lebendig zu erhalten, sondern überall zu gelegener und zu ungelegener Stunde zu verkünden.

Das bedeutet auch, im Namen der frohen Botschaft jene zu begleiten und zu verteidigen, die - wie etwa die Migranten - am Rande der Gesellschaft leben. In den Straßen Europas gibt es heutzutage eine Vielzahl an Religionen. Interreligiöser Dialog ist deswegen in Europa ein von Gott gewolltes Tun, ein wesentliches Element der Sendung zur Evangelisierung.

Die Furche: Mit den Migranten sprechen Sie jenen Schwerpunkt an, durch den sich die Jesuiten in den letzten Jahrzehnten besonders profiliert haben: der Option für die Armen und für die Gerechtigkeit.

Kolvenbach: Die Zuwendung zu den Armen ist für die Jesuiten eine Dimension der Begegnung mit dem Herrn. Wir können uns niemals Gefährten Jesu nennen, wenn wir nicht mit dem Herrn seine Option für die Armen teilen. Er hat nicht nur gepredigt und gesprochen; das Evangelium beschreibt, wie der Herr heilt und speist, unterrichtet und mit den Armen lebt, ihre Rechte verteidigt und jedes Unrecht brandmarkt. In der ganzen Gesellschaft Jesu ist das Bewusstsein gewachsen ohne Ausnahme diese Dimension der Nachfolge Christi zu leben. Darum wurde diese Option für die Armen nicht nur in die Sozialarbeit, sondern auch in die Seelsorge, in die Exerzitien und in die Erziehung und Forschung ganz christlich eingegliedert. Wir widmen uns dieser Aufgabe auf viele verschiedene Weisen. Sehr bekannt ist etwa der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, mit dem wir Flüchtlingen und Vertriebenen helfen, besonders wenn sie von anderen NGOs vergessen oder vernachlässigt werden.

Die Furche: In Mitteleuropa trifft die Nachwuchskrise bei den geistlichen Berufen auch den Jesuitenorden: Wie gehen Sie damit um?

Kolvenbach: Auch wenn die Gesellschaft Jesu auf der internationalen Ebene jedes Jahr Hunderte von Novizen vom Herrn gesandt bekommt, gibt es wie auch in anderen kirchlichen Bereichen Mitteleuropas diese Nachwuchskrise. Ignatius selber ließ sich niemals von Zahlen beeindrucken. Wenn man ihm die Aufnahme von vielen Kandidaten meldete, dann wiederholte er das Wort des Propheten: Der Herr hat sein Volk vermehrt, aber nicht seine Freude. Für Ignatius war die Qualität der Berufungen wichtiger als die Quantität. Andererseits soll man niemals vergessen, dass wir nicht wie ein Unternehmen Leute anwerben können. Die Novizen empfangen ihre Berufung vom Herrn und unsererseits sollen wir imstande sein, so deutlich und klar als Jesuiten zu leben, dass wir den Kandidaten mit dem Herrn sagen können: Kommt und seht. Wenn wir unsichtbar sind, wie können die Kandidaten, die der Herr uns sendet, uns entdecken?

Wenn wir weniger Novizen als in früheren Zeiten empfangen, dann sollen wir das auch als ein Zeichen Gottes betrachten: Spricht unser apostolischer Eifer, sprechen unsere Kommunitäten für sich selbst, so dass andere auch den Wunsch verspüren, sich für den Dienst Gottes zur Verfügung zu stellen?

Die Furche: Sie haben auch den interreligiösen Dialog als Aufgabe für die Jesuiten angesprochen: Wie geht das aber im Gefolge der Erklärung "Dominus Iesus" aus 2000, die etwa die "Einzigkeit der katholischen Kirche" stark betont?

Kolvenbach: Der Heilige Vater hat uns wiederholt aufgefordert, dem interreligiösen Dialog apostolische Priorität für das dritte Jahrtausend zu geben. Er selber ist uns ein Vorbild: er ist ja der erste Papst, der eine Moschee besuchte oder an Treffen mit den Religionen wie in Assisi teilnahm. Johannes Paul II. hat auch geschrieben, dass der interreligiöse Dialog im Innersten immer ein Dialog des Heils ist, weil er versucht, besser die Zeichen jenes Dialogs zu erklären und zu verstehen, den Gott immer schon mit der Menschheit führt. Es ist leider eine Tatsache, dass der wahre Dialog mit Gläubigen anderer Religionen nicht immer verstanden wird und im Verdacht steht, etwas mit Schachern oder Vereinnahmen zu tun zu haben. Echter Dialog kann nur stattfinden zwischen Gläubigen, die tief verwurzelt sind in ihrer eigenen Identität. Um den Dialog gegen Missverständnisse zu schützen, war ein Dokument wie "Dominus Iesus" nicht überflüssig.

Viele Jesuiten pflegen den interreligiösen Dialog als Dialog des Lebens, wenn sie in einer nachbarschaftlichen Atmosphäre mit Andersgläubigen zusammenleben, um Freude und Leid mit ihnen zu teilen, und als Dialog des Handelns, wenn sie mit allen Menschen guten Willens eine bessere Gemeinschaft in Frieden und Gerechtigkeit aufbauen wollen, im Austausch ihrer gegenseitigen spirituellen Werte. Eine bedeutende Anzahl von Jesuiten bereitet sich auch vor, um als Spezialisten den Dialog des theologischen Austauschs mit anderen Religionen weiterzuführen.

Die Furche: Derzeit gibt es hierzulande eine Diskussion über den kirchlichen Antijudaismus und das Verhalten der Kirche zur NS-Zeit: Dabei wird am Jesuitenorden kritisiert, dass es einen "Arier-Paragraphen" bei der Aufnahme in den Orden gab.

Kolvenbach: Es ist eine Tatsache, dass im Jahre 1593 die fünfte Generalkongregation der Gesellschaft Jesu entschied, dass niemand Jesuit werden kann, der von jüdischen oder muslimischen Eltern abstammt. Diese Entscheidung war überhaupt nicht der Spiritualität des heiligen Ignatius entsprechend.

In seiner Leidenschaft, mit Christus und seiner Mutter eins zu werden, hätte Ignatius es vorgezogen, Jude zu sein. Andererseits war er sich bewusst, dass es in Spanien schwierig war, so genannte "neue Christen" - jüdischer oder muslimischer Abstammung - in die Gesellschaft Jesu aufzunehmen. Darum ließ der judenfreundliche Ignatius diese Kandidaten nach Italien kommen, wo es viel leichter war, sie aufzunehmen. Schon im Jahr 1605 hat die sechste Generalkongregation den so genannten "Arierparagraphen" bei der Aufnahme geändert und gemildert. Aber erst 1946 wurde dieser endgültig gestrichen. Die letzte Generalkongregation 1995 freute sich, dass das II. Vatikanum den jüdisch-christlichen Dialog radikal erneuert hat, nach Jahrhunderten der Polemik und Verachtung, an denen auch die Gesellschaft Jesu beteiligt war.

Die Furche: Der Jesuitengeneral wurde wegen seines behaupteten Einflusses auch als "Schwarzer Papst" bezeichnet. Heute gelten andere Organisationen - wie das Opus Dei - als die "Mächtigen" in der Kirche: Wie ist das Verhältnis der Jesuiten zum Papst heute? Wie stehen Sie zu Organisationen wie dem Opus Dei?

Kolvenbach: An und für sich hat sich das Verhältnis der Jesuiten zum Heiligen Vater nicht geändert und kann sich auch nicht ändern, weil alle Jesuiten die grundlegende Aufgabe haben, "allein dem Herrn und der Kirche, seiner Braut, unter dem Papst zu dienen", wie es in unserem Gründungsdokument heißt. Wie in der Zeit des heiligen Ignatius ist die Gesellschaft immer gewillt, die vom Heiligen Vater gegebenen Sendungen zu erfüllen und auf seine Weisungen und Wünsche zu antworten. Die Dialektik der Veränderung bringt vielfältige Probleme hervor, gegen die auch die Jesuiten nicht gefeit sind. In dieser Lage verlangen der Dienst der Kirche und das Verhältnis zum Heiligen Vater Mut und Integrität. Sie können schmerzvoll werden, wenn wir unvermeidlich in manchmal explosive Konflikte hineingezogen werden.

Schließlich wird die Haltung des Jesuiten letztlich von den ignatianischen Grundzügen bestimmt, etwa der Einstellung, alles Gute zu loben, das in der Kirche wächst: Dazu gehören die zahlreichen neuen Bewegungen in der Kirche, wie die Fokolare, die Charismatiker, das Neokatechumenat und das Opus Dei. Es gibt in dieser neuen kirchlichen Wirklichkeit mehr gegenseitige Anerkennung und Mithilfe als man manchmal glauben möchte. Öfters sind diese Organisationen in unserem säkularisierten Kontinent die einzige Lebendigkeit der Kirche.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Der Schwarze Papst

Der Generalobere des Jesuitenordens steht dem größten Männerorden der katholischen Kirche vor: 21.000 Mitglieder gehören heute weltweit der "Gesellschaft Jesu", wie der 1540 von Ignatius von Loyola gegründete Orden offiziell heißt, an.Neben den "klassischen" Ordensgelübden (Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam) leisten die Jesuiten ein besonderes Treueversprechen gegenüber dem Papst. Jesuiten galten deswegen seit der Gegenreformation als besondere "Stoßtruppe" des römischen Pontifex, der Jesuitengeneral wurde deswegen auch als "Schwarzer Papst" bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten veränderte sich dieses Image grundlegend: Mit ihrem Einsatz für Arme und Gerechtigkeit, in den letzten Jahren auch für den interreligiösen Dialog, machten sich die Jesuiten in Rom nicht nur beliebt.

Der derzeitige Jesuitengeneral Peter-Hans Kolvenbach ist seit 1983 im Amt. Er wurde 1928 in den Niederlanden geboren. Nach dem Ordenseintritt und Studien in Nijmegen und Den Haag ging er in den Libanon, wo er 1961 nach armenischem Ritus zum Priester geweiht wurde. Kolvenbach spezialisierte sich auf orientalische Linguistik und lehrte dies an der St.- Josephs-Universität in Beirut. 1981 wurde er nach Rom als Rektor des Päpstlichen Orientalischen Instituts berufen, zwei Jahre später wählte ihn die 33. Generalkongregation des Jesuitenordens zum General.

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