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Das letzte Geheimnis

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Man kann sich nicht genug wundern, wenn man das Sterben des hl. Ignatius von Loyola betrachtet: In der größten Stille und geradezu in Verlassenheit ist der Stifter der Gesellschaft Jesu von hinnen geschieden, dessen Leben für die Kirche doch von großer Bedeutung war. Wie der Docht einer bereits abgebrannten Kerze schließlich lautlos in das flüssige Wachs sinkt, und die Flamme selbst erlischt, ohne noch Rauch zu entwickeln — so ist Ignatius hinübergegangen.

Er fühlte, daß sein Ende bevorstand. Deshalb bat er am Vorabend seinen Sekretär, Pater Polanco, er möge ihm den Segen des Hl. Vaters erbitten. Aber Polanco wies auf die überseeische Post hin, die unbedingt noch erledigt werden müsse, solle sie das Schiff rechtzeitig erreichen. „Es wäre mir lieber“, erwiderte Ignatius, „wenn Sie heute und nicht erst morgen meine Bitte erfüllten. Aber tun Sie, wie es Ihnen gut scheint. Ich gebe mich ganz in Ihre Hände.“ Es waren die letzten Worte, die er 2U Menschen sprach. Um Mitternacht hörte ein Bruder in der Kammer nebenan noch den Gebetsseufzer: „O mein Gott!“, ohne jedoch Schlimmes zu befürchten. Als man aber im Morgengrauen des 31. Juli nach ihm schaute, lag er schon in den letzten Zügen. Ganz allein hatte er seinen Todeskampf durchgefochten ...

Man hat gesagt, daß jeder Mensch seinen Tod sterbe; den Tod, der seinem Wesen entspricht. Man wird dieses Wort recht verstehen müssen, weil oft nach außen hin nicht offenbar wird', was im Inneren vor sich geht. Aber bei manchen, besonders bei großen Menschen, wird das Innere im Aeußeren faßbar. Hier bei Ignatius ist es ergreifend, zu sehen, wie er seinen letzten so berechtigten Wunsch den augenblicklichen, alltäglichen Geschäften seines Ordens nachstellt und wie die Person zum letztenmal — und damit ganz — hinter das Werk zurücktritt.

Dieses lautlose Sterben mit dem demütigen Zurückstellen der eigenen Wünsche gewährt einen wichtigen Zugang zum Wesen des heiligen Ignatius. In seinem geistlichen Streben ist es ihm letztlich immer gerade darum gegangen. Jede Betrachtung seiner „Geistlichen Uebungen“ hatte er begonnen mit der Bitte, daß alle seine Gedanken, Pläne und Taten nur auf den Dienst und das Lob und die Verherrlichung Gottes hingeordnet seien. In der Betrachtung „Von zwei Fahnen“ bittet er, unter das Banner Christi aufgenommen zu werden, „und zwar zuerst in der größten geistlichen Armut“. Wie aufschlußreich und wie grundlegend ist diese Bitte gerade an dem Punkte, wo er sich der Kampftruppe Christi einreiht und des Herrn Programm sich zu eigen nimmt gegen das des Teufels! „Größte geistliche Armut“ bedeutet, daß der Mensch vor Gottes Majestät sein geschöpfliches Nichts einsieht; daß er sich von allem Eigenen entleert und keine Regung, ja nicht einmal einen eigenen Gedanken in den

Vordergrund; schiebt; daß er die Erfolge, die er im Kampf für Christi Reich erzielt, nicht dem eigenen Vermögen zuschreibt, sondern der Gnade von oben.

„Nicht als ob wir tüchtig wären, von uns selbst etwas zu ersinnen wie aus eigener Kraft, sondern unsere Tüchtigkeit ist aus Gott“, sagte der hl. Paulus. Wenn die „größte geistliche Armut“ erreicht und der Mensch durch sie „reines Werkzeug“ und sein Tun „reine1 Durchgabe“ geworden ist, dann ist der Weg frei für die wunderbaren Wirkungen von Gottes Kraft.

Und wahrlich: Wunderbare Taten und „Tüchtigkeit aus Gott“ fehlen bei Ignatius nicht! Die eigene Person zurückstellen war für ihn das gleiche, wie das Werk Gottes vorantreiben und sich selbst in seinem Dienste ganz verbrauchen. „Den Nagel, den Ignatius einschlägt, zieht niemand mehr heraus“, sagte ein Kardinal über ihn. Der Heilige hat viele derartige „Nägel“ eingeschlagen: Er schenkte der Kirche das Exerzitienbüchlein; er formte in den Exerzitien seine ersten Gefährten, insbesondere den großen hl. Franz Xaver; er gründete mit diesen Gefährten die Gesellschaft Jesu; er verfaßte die Satzungen des Ordens; er leitete das Werk in einer Unsumme von Kleinarbeit, wovon allein zwölf Briefbände Zeugnis geben. Und neben diesen seinen bekanntesten Werken steht noch eine Menge anderer: Die Gründung eines Hauses für Juden und Mauren, die konvertieren wollten; eines Hauses für gefallene Mädchen und für gefährdete Mädchen; die Gründung des deutschen Kollegs und des römischen Kollegs in der Ewigen Stadt; die Beratung von Kardinälen und Fürsten samt vielem anderen. Obwohl seine Gesundheit stets schwächlich war, verzehrte ihn ein niemals rastender Eifer, den Seelen zu helfen zur größeren Ehre Gottes.

All dies zusammengenommen ist nur erklärbar aus der Kraft von oben. Leider hat man Ignatius allzu oft mißdeutet. Man sah in ihm den Menschenkenner, den Organisator, den Diplomaten, den Offizier. Gewiß hat er diese Vorzüge; sie können jedoch für sich allein betrachtet sein letztes Geheimnis nicht erklären. Um wieviel richtiger zeigt ihn das herrliche Deckengemälde der Kirche S. Ignazio in Rom: Das Licht geht vom ewigen Vater aus und fällt durch das Herz des kreuztragenden Gottessohnes herab zu Ignatius; dieser strahlte es weiter in alle vier (damals bekannten) Erdteilen. Die Psychologie, von der wir heute so viele Aufschlüsse erwarten, kommt gerade bei Ignatius sehr rasch an ihr Ende. Sein Geheimnis liegt in der „größten geistlichen Armut“ einerseits und dem glutvollen Einsatz für die Sache Christi anderseits, wobei Gott selbst nicht zurückhielt, seine eifrige Demut und seinen demütigen Eifer in Fülle zu segnen, wie uranfänglich auch Gott selbst es gewesen ist, ihn auf seinen Weg und zu seinem Werk zu rufen.

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