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Jesuiten werden Demokraten

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Lob und Anerkennung kamen von höchster Stelle. Der Papst bestätigte den in der Sixtinischen Kapelle zur Meßfeier versammelten 225 Delegierten der XXXI. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu: „Die Söhne des Ignatius, die sich mit dem Namen Jesuiten schmücken, sind auch heute noch sich selbst und der Kirche treu. Sie sind bereit und stark.“ Und solange die Gesellschaft bestrebt sei, den eigenen Glanz in der gesunden Lehre und in der Heiligkeit des Ordenslebens zu suchen, solange sie sich als wertvolles Instrument zur Verteidigung und Ausbreitung des katholischen Glaubens anbietet — solange, versicherte Paul VI. in dieser Ansprache am 16. November, werden die Jesuiten dem Heiligen Stuhl und sicherlich auch der ganzen Kirche lieb und teuer sein.

Dunkle Wolken hatte der Papst zuvor über den Jesuiten aufziehen sehen. Es war ihm zu Ohren gekommen, in „einigen Winkeln“ der größten Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche werde bezweifelt, daß die Gesellschaft Jesu heute noch das sein und bleiben kann, was der heilige Ignatius vor mehr als 400 Jahren aus ihr gemacht hat. Die Mehrheit der XXXI. Generalkongregation jedoch war nicht dieser Meinung, wie der Papst jetzt mit großer Freude feststellen konnte: „Nach umfassender und aufrichtiger Prüfung der Geschichte, der Berufung, der Erfahrung“ des Ordens hat sie sich entschlossen, „den fundamentalen Konstitutionen treu zu bleiben und die Tradition nicht aufzugeben“, die Ordensregeln also nur insoweit zu modifizieren, als es die vom Konzil gewünschte Erneuerung des Ordenslebens verlangt.

Diese Papstansprache vom 16. November hat übrigens in weiten Kreisen, vor allem innenhalb des Ordens selbst, Erstaunen und Kritik entfacht. Man sprach davon, Paul VI. sei schlecht informiert worden und diese seine Ansprache sei ein Erfolg der Konservativen. Der Wahrheit näher kommt wahrscheinlich die Interpretation, der Papst halbe (wie er das seit Monaten bei vielfachen Gelegenheiten getan hat) nicht speziell die Jesuiten und sie allein, sondern alle Ordensfamilien vor einem nachkonziliaren Extremismus warnen wollen. Jesuitengeneral Arrupe betonte dazu auf einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag, es handle sich hier um Einzelerscheinungen, die sieh jedoch, wenn sie unwidersprochen bleiben, weiter ausbreiten könnten. Deswegen habe der Papst zur Wachsamkeit aufgerufen, wobei er den Jesuiten nicht als Richter, sondern als Vater erschienen sei.

Zwei Perioden

Die XXXI. Generalkongregation ist am Abend des 17. November abgeschlossen worden. Zum erstenmal in der Ordensgeschichte hatte dieses oberste gesetzgeberische Organ in zwei Perioden getagt: vom 7. Mai bis 15. Juli 1965 und vom 8. September bis 17. November dieses Jahres.

Schon vor ihrem Zusammentreten wußte man, daß diese Generalkongregation für den Orden von größter Bedeutung sein würde. Nahezu 2000 Postulate — Wünsche, Anregungen, Forderungen — waren ihr mit auf den Weg gegeben worden. Hauptergebnisse der ersten Sitzungsperiode waren (neben einer Abschwächung der Geheimnispflicht, die bislang diese Versammlungen umgeben hatte, und vollkommener Diskussionsfreiheit) die Wahl des neuen Ordensgenerals sowie die Strukturänderungen in der Ordensleitung mit der Möglichkeit, daß der General zurücktritt und der Einsetzung von vier Generalassistenten. Außerdem wurden in der ersten Session einige Bestimmungen für die Ausbildung des Ordensnachwuchses und für die Praktik des Armutsgelübdes erlassen sowie die Einfachheit des Lebens in der Ordensgemeinschaft und der Wert der Arbeit als eines dem menschlichen Dasein eigenen Elements unterstrichen. Ferner verpflichtete sich der Orden auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes,

insbesondere dem Phänomen des zeitgenössischen Atheismus näherzutreten.

Das Intervall zwischen der ersten und der zweiten Session gehörte den Experten. Nach dem Vorbild der Konzils-Periti bereiteten die Mitglieder der verschiedenen Kommissionen und eine Gruppe von Experten in Theologie, Kirchenrecht, Soziologie und Geschichte die Dokumente für die zweite Sitzungsperiode vor. Zu dieser Vorarbeit zählte vor allem auch das eingehende Studium der Konzilsdokumente, insbesondere jenes über die Erneuerung des Ördenslebems, das inzwischen erst promulgiert worden war.

Die Leitung der Ordensprovinzen

Wie in der ersten Session die Reformen der Zentralleitung des Ordens zu den bedeutsamsten und bezeichnendsten Beschlüssen zählten, so in der zweiten Session die Strukturänderungen in der Leitung der Ordensprovinzen. Das oberste Organ dieser territorialen Unterteilungen des Ordens ist, analog zur Generalkongregation, die Provinzialkongregation. Mitglieder dieses Organs waren bisher die ältesten Patres und die Amtsträger. Künftig werden die Delegierten jedoch frei gewählt, wobei jedem Ordensangehörigen, gleich ob Priester oder Laienbruder, der seine Ausbildung vollendet und die feierlichen Gelübde abgelegt hat, aktives und passives Wahlrecht zukommt. Die einzige Einschränkung dabei bleibt, daß die Profeßpriester zumindest die Hälfte der Delegierten stellen müssen. Die Provinzialkongregationen verfügen zwar auch in Zukunft nicht über irgendeine Jurisdiktion, sollen sich jedoch fortan einer viel größeren Diskussionsfreiheit erfreuen.

Diese neuen Bestimmungen beinhalten ebenso eine Aufwertung der nichtpriesterlichen Ordensmitglieder, der sogenannten Laienbrüder, wie ein am 12. Oktober 1966 verabschiedetes Dekret, das sich direkt mit Stellung und Funktion der „Fratres Coadiutores“ befaßt. Das Dokument unterstreicht, daß die derzeit rund 6000 Laienbrüder, die mithin rund ein Sechstel der Ordensmitglieder ausmachen, an der apostolischen Aktivität der Societas vollen Anteil haben. Sie sollen künftig zu allen Ämtern und Aufgaben Zugang haben, die ihrer persönlichen Begabung am besten entsprechen.

Ein paar Tage zuvor, am 7. Oktober, hatte die Mehrheit der Generalkongregation anderseits den Antrag zurückgewiesen, die Unterscheidung zwischen Professen und Nichtprofessen bei den priester- lichen Mitgliedern abzuschaffen. Seit den Zeiten des Ordensgründers legt ein Teil der Priester des Ordens nach der langen Ausbildungszeit feierliche Gelübde ab, während ein anderer Teil nur in einfacher Form Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt. Nur die Jesuiten mit feierlichem Gelübde konnten bisher zu höheren Ämtern aufsteigen und zu Delegierten bei der Generalkongregation gewählt werden. Eine sehr starke Minderheit plädierte in der Generalkongregation für die Abschaffung dieser Unterscheidung zwischen Professen und Nichtprofessen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Man einigte sich darauf, eine Studienkommission einzusetzen, die über alle Aspekte dieses Problems innerhalb von drei

Jahren einen detaillierten Bericht vorlegen soll.

Ignatianische Inspiration

Die XXXI. Generalkongregation hat in ihrer zweiten Session ferner eine Reihe anderer Dekrete erlassen. In ihnen wird Nachdruck gelegt auf den apostolischen Charakter beziehungsweise die apostolische Zielsetzung aller jesuitischer Tätigkeit sowie ihres gemeinsamen Lebens. Die Generalkongregation ist der ignatianischen Inspiration gefolgt, nach der ein lebhaftes religiöses Innenleben Voraussetzung eines apostolischen Wirkens ist.

In der delikaten Frage des Gehorsams hat sich die Generalkongregation ebenfalls an die Konzilsaussagen angelehnt, die auf die theologischen Grundlagen des ordensinternen Gehorsams verweisen und darin für den einzelnen Ordensangehörigen eine Möglichkeit sehen, viel inniger dem Beispiel Christi und seinen evangelischen Räten zu entsprechen. Anderseits aber mahnt das entsprechende Dekret die Ordensobern, sich sowohl bei den Entscheidungen in Personalfragen wie auch bei der praktischen Durchführung solcher Entscheidungen von klugen, gereiften und verantwortungsbewußten Überlegungen leiten zu lassen. Dennoch: es wird kein Zweifel daran gelassen, daß der absolute Gehorsam ein Zentralpunkt des jesuitischen Lebens ist.

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