Romeros Chance

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Märtyrer: Einmal getötet, sind sie nicht mehr umzubringen. Ein Besuch in El Salvador am 20. Todestag Erzbischof Romeros.

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Märtyrer: Einmal getötet, sind sie nicht mehr umzubringen. Ein Besuch in El Salvador am 20. Todestag Erzbischof Romeros.

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Romero? Die heute 34jährige Salvadorianerin Sandra Rodriguez wußte bis vor kurzem mit dem Namen nicht viel anzufangen. Er habe, sagte man ihr damals, seine Nase in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen. Ihre Mutter hingegen holte sich damals einen Wattebausch, den Karmelitinnen in das Blut des Ermordeten getaucht hatten. In der Kapelle des Krankenhauses "Divina providencia" war der Erzbischof von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, am Altar gestanden, als ihn der Schuß eines Attentäters mitten ins Herz traf.

"Wenn sie mich töten, werde ich im Volk von El Salvador auferstehen". Diese fromme Ankündigung Romeros war auch eine Warnung an die Mächtigen, die seine Ermordung planten. So ist das mit Märtyrern: Einmal getötet, sind sie nicht mehr umzubringen.

Die sogenannte Romero-Kirche erbrachte Ende März in San Salvador einen Beweis ihrer Lebendigkeit: Christliche Gemeinden in Städten und Dörfern feierten ihren Monsenor, den sie längst heiliggesprochen haben. Hunderttausend, vielleicht weit mehr Menschen zogen am Abend des 24. März 2000 nach einem Freiluftgottesdienst zur Kathedrale der Hauptstadt. Beliebtester Sprechchor: "Se siente, se siente, Romero esta presente". (Man spürt es: Romero ist da.)

Die Regierung trat bei den Feierlichkeiten zum 20. Todestag Romeros nicht in Erscheinung. Nach wie vor ist das Thema heikel; die Feinde des Erzbischofs sind nicht verstummt. Immerhin war es der rechtsextreme Major und spätere Gründer der regierenden ARENA-Partei, Roberto d'Aubuisson, der das Komplott zur Ermordung des Erzbischofs geschmiedet hatte. Eine Wahrheitskommission der UNO hat das festgestellt, kaum jemand zweifelt ernsthaft daran, auch wenn rechte Parteigänger gern von "Unschuldsvermutung" sprechen und den Mord der Guerilla in die Schuhe schieben. Menschenrechtsorganisationen wollen das Verbrechen vor Gericht bringen. Bisher ohne Erfolg: Ein Amnestiegesetz schützt die Täter von damals.

Für die Herrschenden war Romero eine Enttäuschung. Der Mann, der schnell Karriere gemacht hatte, galt als konservativ. Er stammte zwar aus ärmlichen Verhältnissen, die Kaffee- und Zuckerrohr-Barone betrachteten ihn dennoch als Einen der Ihren.

Es war eine politisch brisante Zeit. Angestoßen durch das Konzil und durch die politischen Bewegungen des Jahres 1968, hatten die Bauern begonnen, ihre Armut nicht länger als Schicksal hinzunehmen. Sie organisierten sich. Die lateinamerikanische Bischofsversammlung von Medellin hatte die "Option für die Armen" zur Maxime der katholischen Kirche erhoben. Die Theologie der Befreiung entstand, an vielen Orten bildeten sich christliche Arbeiter- und Bauernorganisationen unter der Führung engagierter Priester. Romero betrachtete das mit großer Skepsis. Nicht, daß es ihm an Verständnis für die Armen gemangelt hätte: Er befürwortete eine Agrarreform, aber er teilte die Marxismus-Angst seiner reichen Freunde.

Das Regime reagierte mit Gewalt. Die Todesschwadronen begannen ihr Mordhandwerk. Als Bischof von Santiago de Maria mußte Romero einen Gottesdienst für zwölf Campesinos halten, die einem Massaker zum Opfer gefallen waren. Noch redete der Bischof in der Predigt von "Toten" nicht von "Ermordeten". Aber es dämmerte ihm: Das Problem des Landes war nicht der Kommunismus, sondern die Armut.

Als er 1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt wurde, galt er noch immer als Liebkind der Oberschicht. Das sollte sich rasch ändern. Sein Freund Rutilio Grande, der Pfarrer von Aguilares, wurde in seinem Auto erschossen. Daraufhin brach Romero die offiziellen Kontakte zur Regierung ab und stellte sich demonstrativ auf die Seite der Unterdrückten. Er verwendete viel Zeit, um bei den Armen in dem Dörfern zu sein. Der bald erhobene Vorwurf, er sei ein Marxist und unterstütze die Guerillabewegung, ging bei ihm völlig ins Leere. Romero war kein Befürworter der Gewalt. Seine Waffe war die Predigt. Sonntag für Sonntag legte er das Evangelium aus und behandelte in einem zweiten Teil die "Fakten der Woche": Entführungen, Folterungen und Morde, von denen er Kenntnis erlangt hatte. Schonungslos deckte er die Hintergründe der Ungerechtigkeit auf. Seine direkt übertragenen Predigten aus der Kathedrale wurden zum meistgehörten Radioprogramm des Landes. Zu sagen gab es genug. Die Gewalt macht vor den Kirchentüren nicht Halt: Priester, Ordensleute, Katechisten starben.

Morddrohungen häuften sich. Romero steckte dennoch nicht zurück. Mit seiner konsequenten Haltung eckte er aber nicht nur bei seinen Feinden an. In der Bischofskonferenz hatte er bald - mit Ausnahme seines Freundes und Nachfolgers, Rivera y Damas - alle Bischöfe gegen sich. Bei einer Audienz im Vatikan forderte Papst Johannes Paul II. Romero nach dessen eigenem Bericht auf, sich in seinen Predigten zu mäßigen und "allgemeiner" zu sprechen. "Heiligkeit", soll Romero geantwortet haben, "wenn das Unrecht konkret ist, muß auch die Anklage konkret sein." Genau das verziehen ihm seine Mörder nicht.

... lebt im Volk weiter 20 Jahre später: In der Predigt zum offiziellen Gedenkgottesdienst befürwortet Erzbischof Saenz Lacalle eine Seligsprechung des Märtyrers. Gleichzeitig aber zeichnet er ihn vor allem als frommen Mann Gottes, der Kirche und des Papstes. Romeros Kampf gegen die Unterdrückung bleibt weitgehend ausgeblendet. Auch bei einem Empfang für ausländische Gäste wird der Erzbischof nicht konkreter. "Frommes Zeug", kommentiert ein Priester aus San Francisco. Lacalle, der mehrfach gegen Befreiungstheologen vorgegangen ist, mahnt gern ein, Bischöfe und Priester sollten sich aus der Politik heraushalten, die sei Aufgabe der Laien. Hat Romero seine Nase in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen?

"Romero lebt im Volk weiter", sagt ein Ex-Jesuit, "aber sicher nicht in der Hierarchie." Seine Kritik teilen viele. Manche Bilder stimmen in der Tat nachdenklich: Während der eigens eingeladene Prediger, Kardinal Roger Mahoney aus Los Angeles, beim großen Freiluftgottesdienst viel Allgemeines über die "injusticia", die Ungerechtigkeit, und über die erlaubten Mittel ihrer Bekämpfung sagt, flattert dahinter ein riesiges, aber verblassendes Romero-Bild im Wind. Romero war konkret. Er hat das Wort Gottes auf die Situation angewendet, ohne dabei Bibel und Lehre preiszugeben. Deshalb sagen viele: Er war ein Prophet. Ob er heute noch eine Chance hat?

Im Bürgerkrieg, der nach Romeros Ermordung begann und erst verebbte, als die Großmächte aus Ost und West ihr Interesse verloren hatten, starben 76.000 Menschen. Die ehemalige Guerilla FMLN ist seit den Wahlen vom 12. März stimmenstärkste Partei und eine starke Opposition für den regierenden Präsidenten. Aber die Armut bleibt himmelschreiend, von Gerechtigkeit ist keine Rede. Die christlichen Basisgemeinden leiden auch an schwindender Motivation. Ein Priester meint: "Zu Romeros Zeiten stand der Kampf gegen die Unterdrückung im Zentrum. Heute ist es der Kampf gegen Entmutigung und Hoffnungslosigkeit."

Dennoch: Romero bewegt, nach wie vor. Die Begeisterung der Menschen für ihren "San Romero" spricht Bände. Massen auch junger Menschen, die friedlich durch die Stadt zogen, um ihn und die anderen Märtyrer zu feiern, zeugen davon, daß Romero tatsächlich "presente" ist. "Das Blut der Märtyrer ist der Same des Glaubens", war auf Transparenten zu lesen. Wenn das wahr ist, darf man gespannt sein, was in El Salvador noch alles wächst.

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Fernsehen.

FERNSEH-TIP Eine Zukunft, die uns nicht gehört Tod und Lebendes Oscar Arnulfo Romero.

Feierabend von Christian Rathner.

Karfreitag, 21. April, 19.50 Uhr, ORF 2

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