Todeskommando Gewerkschaft

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In den vergangenen 25 Jahren haben kolumbianische Paramilitärs 25.000 Menschen getötet. Finanziert werden sie nach eigenen Angaben auch von internationalen Konzernen.

Nach seiner Entlassung von der Nestlé-Milchpulverfabrik Cicolac in Valledupar im Norden Kolumbiens hatte der Gewerkschaftsfunktionär Luciano Romero als Taxifahrer gearbeitet, um sich, seine Frau und die drei Kinder über die Runden zu bringen. Dennoch hatte er seine gewerkschaftlichen Aktivitäten fortgesetzt. Das wurde ihm, wie so vielen anderen Menschen zuvor in dem südamerikanischen Land, zum Verhängnis. Am Abend des 11. September 2005 kehrte er von seiner Arbeit nicht zurück. Seine Leiche wurde am nächsten Morgen auf einer Wiese hinter der örtlichen Armeegarnison aufgefunden. Sie wies an die 50 Stichwunden auf. Er war von einem Kommando der Paramilitärs entführt und in derselben Nacht bestialisch ermordet worden - an einen Baum gebunden, wurde er mit über 50 Messerstichen langsam hingerichtet.

Romero wäre kurze Zeit später nach Europa gereist; Schweizer Nichtregierungsorganisationen hatten ihn zu einer Konferenz gegen den Nestlé-Konzern eingeladen, wo er aussagen sollte.

Finanzierung von Paramilitärs

Salvatore Mancuso, früherer Oberkommandierender des paramilitärischen Dachverbandes AUC und später wegen Drogenhandels in die USA ausgeliefert, hatte 2007 ausgesagt, dass seine Einheiten von verschiedenen Unternehmen finanziert worden seien, darunter auch von der Nestlé-Fabrik Cicolac. Die Paramilitärs haben in Kolumbien in den letzten 25 Jahren über 25.000 linksgerichtete Aufständische, AktivistInnen von sozialen Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen, Bauernvereinigungen, Gewerkschaften usw. ermordet, häufig in Zusammenarbeit und Komplizenschaft mit den staatlichen Sicherheitskräften. In diesem Zeitraum wurden über 2500 GewerkschafterInnen liquidiert.

Die Nestlé-Beschäftigten sind in der Lebensmittelarbeitergewerkschaft SINALTRAINAL organisiert. Seit ihrer Gründung 1982 wurden an die 20 AktivistInnen wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeiten ermordet, zwei sind bis heute verschwunden. 13 von ihnen waren in Nestlé-Betrieben aktiv. Immer wieder erhalten Funktionäre der Gewerkschaft und ihre Familienangehörigen Morddrohungen.

Der Mord an Luciano Romero ist einer der bekanntesten Fälle in der Kontroverse um Nestlés Verstrickungen mit den Paramilitärs. Zum einen, weil es im Mordprozess bereits mehrere Urteile gab, zum anderen, weil die Aufklärung des Verbrechens relativ weit fortgeschritten ist - u.a. durch die Nachforschungen des in Berlin angesiedelten "European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR). Romero war von Nestlé 2002 entlassen worden, weil er an einem Streik teilgenommen haben soll - der allerdings nie stattgefunden hat.

Im Fall Romero gibt es bis jetzt fünf Urteile. Vier ehemalige Paramilitärs und ein Informant des Geheimdienstes DAS erhielten hohe Haftstrafen. Ein Prozess gegen zwei DAS-Agenten läuft in den nächsten Wochen an. Es war dieser direkt dem Staatspräsidenten unterstellte Geheimdienst, der durch das Abhören des Handys von Romero von dessen Reiseplänen nach Europa erfuhr. Wegen zahlreicher Skandale, u.a. illegale Abhörungen und Bespitzelungen bis hin zu Mordaufträgen - wurde der DAS Ende vergangenen Jahres aufgelöst - und seine Agenden werden nunmehr auf andere Geheimdienste aufgeteilt. Ändern wird sich dadurch nichts, wie dem Autor dieses Berichts kürzlich der namhafte Menschenrechtsanwalt Alirio Muñoz in Kolumbien mitteilte, der schon mehrmals von diesem direkt dem Staatspräsidenten unterstellten Geheimdienst bedroht worden war. Und nicht nur das: Bei einer Einsicht in seinen Akt stellte er fest, dass sich dort sogar genaue Daten über seine Töchter befanden, darunter Kopien der Schulzeugnisse!

Die Rolle von Nestlé-Cicolac

Auch gegen sechs leitende Angestellte von Nestlé wurden Untersuchungen eingeleitet, doch kam es noch zu keiner Einleitung von Strafverfahren. Im Verfahren gegen die verurteilten materiellen Täter im Mordfall Romero hatte Richter José Nirio Sánchez die Staatsanwaltschaft angewiesen, gegen führende Manager von Nestlé-Cicolac Ermittlungen aufzunehmen. "Der Konzern hat mittlerweile die meisten von ihnen auf hohe Posten in anderen Ländern befördert“, erklärte dem Autor gegenüber Edgar Paéz, internationaler Sekretär von SINALTRAINAL. Der Eingang zu der in einer einstöckigen ehemaligen Villa in Bogotá untergebrachten Gewerkschaftszentrale ist ständig von robusten Männern der Organisation bewacht.

Das ECCHR hat bei der Klage bewusst nicht eine direkte Mittäterschaft von Nestlé in den Mittelpunkt gestellt, sondern die "fahrlässige Tötung durch Unterlassung von Schutzmaßnahmen“. Ersteres wäre in Kolumbien nur äußerst schwierig zu beweisen gewesen. Bei Gewaltverbrechen gegen Gewerkschafter, Menschenrechtsverteidiger, AktivistInnen von sozialen Bewegungen usw. gehen die intellektuellen Täter, also die Drahtzieher, fast in allen Fällen straflos aus.

Der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt gab sich nach der Anklageerhebung betont gelassen. "Wir weisen die Anschuldigungen der Kläger und des European Center for Constitutional and Human Rights kategorisch zurück und werden uns entschieden dagegen verteidigen. Wir verurteilen jegliche Form von Gewalt und weisen alle Anschuldigungen zurück, die beabsichtigen, Nestlé in Verbindung zu Gewalttaten zu bringen.“

Der Schweizer Multi war schon in den 1970er- und 80er-Jahren wegen seiner aggressiven Milchpulverwerbung in Entwicklungsländern ins Zwielicht internationaler Kritik gekommen. Geklagt hatten damals die Nichtregierungsorganisation "Erklärung von Bern“ und einige Entwicklungshelfer. Diese wurden zwar wegen übler Nachrede verurteilt - der Kampagnenslogan lautete: "Nestlé tötet Babys“ -, doch der Image-Schaden für das Unternehmen war wesentlich größer.

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