"Wir wollen eine Debatte anstoßen“

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Ein Gespräch mit Wolfgang Kaleck, Experte für internationales Strafrecht und Mitbegründer und Leiter des auf Menschenrechtsfragen spezialisierten deutschen Rechtsanwaltskollektivs ECCHR.

FURCHE: Wie lange habt ihr denn an der Ausarbeitung der über 100 Seiten umfassenden Anklageschrift gearbeitet?

Wolfgang Kaleck: Wir haben vor zwei Jahren damit angefangen und dabei eng mit der kolumbianischen Gewerkschaft SINALTRAINAL zusammengearbeitet sowie mit den Anwälten der Familie Romero. Das hat es uns auch ermöglicht, Zugang zu kolumbianischen Gerichtsakten zu bekommen.

FURCHE: Was ist nun der genaue Anklagepunkt gegen den Schweizer Multi, den größten Lebensmittelkonzern der Welt?

Kaleck: Wir erheben nicht den Vorwurf, dass Nestlé aktiv mittäterschaftlich an der Ermordung von Luciano Romero mitgewirkt hat. Wir sagen, das Schweizer Mutterunternehmen hatte eine rechtliche Verpflichtung zum Schutz ihres ehemaligen Mitarbeiters Luciano Romero, der ist sie nicht nachgekommen, und das muss die Schweizer Staatsanwaltschaft nun prüfen.

FURCHE: Ist eine Dauer des Verfahrens in der Schweiz absehbar?

Kaleck: Wir rechnen damit, dass die Staatsanwaltschaft innerhalb der nächsten Wochen entscheidet, ob sie das Verfahren eröffnen will oder nicht. Wir sind da guter Dinge. Danach kann es aber noch lange dauern. Das ist ein Auslandssachverhalt, der ist nicht leicht zu ermitteln. Und der Konzern selbst wird wahrscheinlich auch nicht ohne Weiteres dazu Auskunft geben.

FURCHE: Was ist Ihnen als Anwalt bei dieser Klage gegen einen Weltkonzern eigentlich am wichtigsten?

Kaleck: Der Erfolg in so einem Fall bedeutet für uns nicht ausschließlich, dass sich die Staatsanwaltschaft in der Schweiz unserer Auffassung anschließt, es zu einem Verfahren und einer Verurteilung kommt. Darauf arbeiten wir hin, aber das ist nicht unser einziges Ziel. Wir wollen damit auch eine Debatte anstoßen und weiterführen. Selbst wenn die Staatsanwaltschicht zur Ansicht kommt, die Rechtslage reiche nicht aus, um das Unternehmen verantwortlich zu machen, ist damit ja noch nicht das Problem vom Tisch. Und dieses lautet: Wenn Unternehmen in sehr ausgeklügelten Organisationsstrukturen, Produktionsketten, zum Teil in ausgelagerten Einheiten in Konfliktregionen im Süden produzieren, so gibt es internationale Standards, und die müssen in unseren europäischen Regeln gesetzlich verankert werden. Das ist jetzt noch nicht ausreichend der Fall, da besteht noch großer Handlungsbedarf, und wir wollen, dass diese Frage in den Mittelpunkt der Diskussion rückt.

(Das Gespräch führte Werner Hörtner.)

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