Schlüssel - für eine Büste von Monsenor

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Zwei Jahre nach der Ermordung des guatemaltekischen Bischofs Juan Gerardi sind fünf Personen in Haft: drei Militärs, ein Pfarrer, die Haushälterin der Pfarrkirche. Die Regierung von Präsident Alfonso Portillo steht unter enormen Druck, Verurteilte zu präsentieren. Ein Justiz-Krimi.

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Zwei Jahre nach der Ermordung des guatemaltekischen Bischofs Juan Gerardi sind fünf Personen in Haft: drei Militärs, ein Pfarrer, die Haushälterin der Pfarrkirche. Die Regierung von Präsident Alfonso Portillo steht unter enormen Druck, Verurteilte zu präsentieren. Ein Justiz-Krimi.

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Monatelang waren die Behälter neben der Portiersloge im Menschenrechtsbüro der Erzdiözese von Guatemala-Stadt gestanden. Als würde hier jemand Müll trennen, Metall, Tausende von Schlüsseln. "Für eine Büste vom Monsenor", hatte der Portier erklärt, "nicht nur Katholiken bringen welche vorbei."

In der Nacht des 26. April 1998 war Weihbischof Juan Gerardi, Gründer und Leiter des kirchlichen Menschenrechtsbüros ODHA, mit einem Betonblock erschlagen worden. 47 Trümmerbrüche zählten die Gerichtsmediziner an seinem Leichnam, viele davon am Kopf. Soviele, daß ihn Pfarrer Mario Orantes, Gerardis Mitbewohner an der Pfarrkirche San Sebastian im Zentrum der Hauptstadt, "erst gar nicht wiedererkannte, weil sein Gesicht so zerstört war." "Memoria, verdad, esperanza", schreiben zwei Jahre später die Kerzenlichter der Mahnwache vor der Kathedrale in die Nacht: Gedächtnis, Wahrheit, Hoffnung.

Niemals wieder ...

Zwei Tage vor seinem Tod hatten Gerardi und seine Bischofskollegen bei einem Versöhnungsgottesdienst ein vierbändiges Memorandum präsentiert. Der Bericht "Guatemala: Niemals wieder", in drei Jahren von den Mitarbeitern des kirchlichen Projektes "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses - REMHI" erarbeitet, nennt mehr als 55.000 Menschen beim Namen, die im Bürgerkrieg zwischen 1978 und 1995 ums Leben kamen, verschwanden oder gefoltert wurden. Das Dokument benennt als Verantwortliche: die Streitkräfte zu 80 Prozent, die damalige Guerilla zu neun Prozent, die übrigen Täter sind unbekannt. "Versöhnung gibt es nur, wenn die Wahrheit anerkannt wird", hatte Bischof Gerardi im Gottesdienst gemeint. Die Bedingungen schienen günstig: Im Dezember 1996 war der Friede unterzeichnet worden.

Der Guerilla-Dachverband URNG versuchte erste Schritte als politische Linkspartei; der damalige Präsident Alvaro Arzu widmete sich seinem Regierungsprojekt der "33.000 Bauten", ließ zerstörte Brücken neu errichten und durchzog das Land mit Straßen, elektrischem Strom und Plänen zur Privatisierung von Post und Telekom.

Warum ein Mord in diesen Zeiten der Modernisierung, und warum ausgerechnet Bischof Juan Gerardi?

Daß es ein politisch motiviertes Verbrechen war, glaubten die meisten Guatemalteken. Ein Verdacht, der wuchs, je skurriler die publizierten Ergebnisse der Nachforschungen wurden, die sich verbreiteten, wie es Gerüchte tun: selbständig und irgendwann trägt jeder ein wenig Schuld - selbst Baloo, der Hund von Pfarrer Orantes, dessen Bißspuren vermeintlich am Kopf des Bischofs entdeckt wurden. Oder: Eine Bande von Reliquienräubern sei vom Bischof auf frischer Tat ertappt worden. Ein Verbrechen aus Leidenschaft hieß es dann; vermutlich war der Bischof verpönten Neigungen des Pfarrers auf die Schliche gekommen. Jeder wußte eine neue Version, wer sie erzählte wurde zum Insider, Nestbeschmutzung ist Teil der Gerüchtestrategie. "Erst dachte ich, es sei ein Gerücht der FRG (Republikanische Front)", erzählt ein hochrangiger Katholik mit sarkastisch gekräuselten Lippen. "Aber nun hat es sich bestätigt: ein Nacktphoto von Orantes und Diego Arzu, dem Sohn des damaligen Präsidenten, ist gefunden worden ..."

"Es ist sehr schwer zu glauben, daß es nicht die Streitkräfte waren, die am Verbrechen gegen den Monsenor beteiligt waren", sagte der Nachfolger Gerardis als Leiter des Menschenrechtsbüros, Weihbischof Mario Rios Montt im vergangenen Oktober. Ihre Beteiligung sei eine Tatsache, die Regierung weigere sich, die Wahrheit zu sagen. Fortschritte in den Nachforschungen gab es erst, als das Tatmotiv "politisches Verbrechen" konkreter untersucht wurde. Zu dieser Zeit mußte der mit dem Fall beauftragte Staatsanwalt Celvin Galindo wegen Todesdrohungen ins Ausland flüchten. "Kurioserweise begannen die Drohungen, als Galindo davon sprach, nun Beweise zu haben," sagt der Anwalt des Menschenrechtsbüros, Nery Rodenas.

Neue Regierung Fortschritte gab es auch mit der neuen Regierung von Alfonso Portillo, der die Aufklärung des Falles Gerardi ins Zentrum seiner Rede zum Amtsantritt im vergangenen Dezember stellte. Vieles hatte der ehemalige Linke und Ex-Kandidat der Christdemokraten, nunmehriger Bündnispartner der rechten Republikanischen Front, FRG, versprochen. Kaum etwas ist für den Links-Rechts-Pendler ohne Regierungsprogramm erfüllbar. So versucht der eloquente Populist seine eigenen Maßnahmen hinterher zu kitten. Enorme Gehaltserhöhungen für die Abgeordneten, ein Trostpflaster für alle, die Mindestlöhne beziehen, ein wenig später Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Transport. Schon gehen die Gewerkschaften, die dem Links-Rechts-Kabinett Portillos bislang einen "Vertrauensvorschuß im Zweifel" zollten, auf die Straße.

Nun macht auch noch Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu Probleme. Dem chilenischen Beispiel folgend, hat sie in Spanien Klage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen drei Militärs, darunter den jetzigen Parlamentspräsidenten Efrain Rios Montt erhoben. Efrain, der evangelikale Bruder des katholischen Bischofs Mario Rios Montt, war in der Zeit der Massaker Anfang der achtziger Jahre Staatschef. Im Bericht des REMHI wird er als einer der Schuldigen erwähnt. "Mein Bruder ist mein Bruder", sagt General Efrain, der gerne mit kryptischen Aussagen verwirrt "er ist katholisch, ich bin christlich, so einfach ist das. Er hat seinen Beruf, ich habe meinen."

Ein wenig ähnelt der alternde Ex-Diktator seinem chilenischen Kollegen Augusto Pinochet, der Demenz vorgab, um der Justiz zu entgehen.

Die angekündigte Osterurlaubsreise an die französische Küste sagte Rios Montt - vielleicht weil ihm die Gefahr, wie Pinochet verhaftet zu werden, doch zu groß war - kurzfristig ab. "Ich fahre dennoch ans Mittelmeer", brüstete er sich vor Journalisten, "aber ans karibische". Mit Dreistigkeit und autoritärem Durchgreifen ist der General und Pastor der freikirchlichen Sekte "El Verbo" immer noch durchgekommen.

Für Alfonso Portillo, den gegenwärtigen Präsidenten, wird es ein wenig enger: Da käme ein gelöster Fall gerade recht. Die Beweislage ist günstig: Zeugen haben die Militärs Byron Lima Oliva, seinen Sohn Byron Lima Estrada und Obdulio Villanueva am Tatort gesehen. Erst in der Karwoche hat das US-amerikanische FBI die Analyseergebnisse von Blutflecken bekanntgegeben, welche die Zeugenaussagen erhärten und alle fünf, nunmehr verhafteten, kompromittieren. Auch Salesianerpater Mario Orantes scheint nicht entlastet: Er ist der einzige, der seit dem 26. April 1998 - in unterschiedlichsten Versionen zwar - immer wieder als tatverdächtig galt.

Wilde Spekulationen Der Dreifach-Magister in Philosophie, Theologie und Pädagogik verwickelte sich in immer unglaublichere Widersprüche: Er habe zur Tatzeit geschlafen, nein, im Internet gesurft, oder eigentlich Musik gehört. Er habe den Leichnam des Bischofs um Mitternacht entdeckt. Der Zeuge Ruben Chanax sah ihn eine halbe Stunde nach der Tat um zehn Uhr abends. "Seine Aussagen sind widersprüchlich", räumt Nery Rodenas ein, der sich als Vertreter des Menschenrechtsbüros als Privatkläger dem Fall angeschlossen hat, "das Gericht muß die Wahrheit finden". Das Gericht soll auch klären, warum die Haushälterin Margarita Lopez noch vor Eintreffen der Polizei das Blut des Bischofs vom Boden schrubbte.

Die fünf Beschuldigten werden demnächst vor Gericht stehen. Unklar ist, wer den Stein in der Hand hielt und wer den Befehl dazu gab. Schon gibt es Spekulationen über den Ausgang der Geschichte: Die Militärs Lima und Villanueva werden demnach verurteilt, der Sohn Limas freigesprochen. Vielleicht bekennen sie sich sogar schuldig. Ein Fluchtversuch werde dann inszeniert, wenn international Ruhe um den Fall Gerardi eingetreten ist, danach werden zwei unkenntliche Leichen gefunden ...

Vielleicht leben die wirklichen Lima und Villanueva - mit monetärem Trost versehen - unter neuer Identität dann im Ausland. Vielleicht sind es tatsächlich ihre eigenen Leichen. Um ihr Leben fürchten sie bereits jetzt. Sie haben, wie auch sämtliche Zeugen, Todesdrohungen erhalten. "Der Staat will uns beseitigen", sagten sie bei einer Gegenüberstellung mit dem Zeugen Chanax in der Karwoche.

Präsident Portillo habe gute Absichten, den Fall zu klären, meint der Erzbischof von Guatemala-Stadt, Prospero Penados del Barrio. Aber es gebe Personen in der Regierung, die die Wahrheit nicht ans Licht ließen. Das Antlitz von Bischof Juan Gerardi, aus der Bronze von tausenden von Gläubigen gesammelten Schlüsseln, wurde am 26. April 2000, dem zweiten Jahrestag des Mordes zur Uhrzeit der Tat, feierlich enthüllt. Die zusätzlichen Materialkosten werden aus dem Verkauf des REMHI-Berichtes "Guatemala: Niemals wieder" gedeckt - übersetzt für den japanischen Markt.

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