Stichwahl zwischen Gentlemen

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Nach fast vier Jahrzehnten Krieg zwischen Regierung und Guerilla ist Guatemala auf dem Weg in eine stabile Demokratie.

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Nach fast vier Jahrzehnten Krieg zwischen Regierung und Guerilla ist Guatemala auf dem Weg in eine stabile Demokratie.

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Vor drei Jahren, im Dezember 1996, unterzeichneten in Guatemala Regierung und Guerilla ein Friedensabkommen und beendeten damit eine 36 Jahre andauernde Zeit gewaltsamer Auseinandersetzungen. Am 7. November dieses Jahres fanden Präsidenten- und Parlamentswahlen statt, bei denen erstmals Mitglieder der ehemaligen Guerilla in der Parteienkoalition Alianza Nueva Nacion (ANN) teilgenommen haben. Parallel dazu wurden die Abgeordneten zum zentralamerikanischen Parlament und die Gemeinderäte gewählt. Es waren historische Wahlen, an deren ordnungsgemäßen Verlauf die internationale Staatengemeinschaft interessiert war und viele Beobachter entsandte. Da keiner der Präsidentschaftskandidaten im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit erhielt, wird am 26. Dezember eine Stichwahl durchgeführt.

Insgesamt elf Kandidatinnen und Kandidaten bewarben sich um das Amt des Präsidenten, drei von ihnen kamen in die engere Wahl: Die Stichwahl wird zwischen Alfonso Portillo von der oppositionellen Frente Republicano Guatemalteco FRG (fast 48 Prozent der Stimmen) und dem ehemaligen Bürgermeister der Hauptstadt, Oscar Berger von der Regierungspartei PAN (Partido de Avanzada Nacional, rund 30 Prozent der Stimmen) ausgetragen. Alvaro Colom vom Wahlbündnis ANN erzielte mit zwölf Prozent einen Achtungserfolg, die verbleibenden zehn Prozent verteilen sich auf die übrigen acht Kandidaten.

Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei den Parlamentswahlen, wo die FRG knapp über die Hälfte der Abgeordnetensitze erzielen konnte, gefolgt von der PAN mit etwas mehr als dreißig Prozent und der ANN mit rund neun Prozent.

Oscar Berger, Spitzenkandidat der Regierungspartei PAN, mußte die Rechnung für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der abtretenden Regierung bezahlen. Die Frustration über Privatisierungen, verschärft durch Korruptionsvorwürfe und die angespannte wirtschaftliche Situation, führten dazu, daß Berger im zweiten Wahlgang nur mehr Außenseiterchancen hat.

Mörder als Präsident?

In einer rechnerisch besseren Ausgangsposition ist Alfonso Portillo von der oppositionellen FRG. Portillo scheint es auch nicht geschadet zu haben, als zwei Monate vor der Wahl bekannt wurde, daß er in den achtziger Jahren im mexikanischen Exil zwei Männer umgebracht hat (die New York Times berichtete darüber unter dem Titel "Ein Mörder als Präsident?"). Portillos Rechtfertigung, daß es Notwehr war, genügte seinen Wählern.

Betrachtet man als Mitteleuropäer einige ausgewählte Daten, so fragt man sich, ob man in Guatemala von demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten sprechen kann: 44 Prozent der Bevölkerung können weder lesen noch schreiben. Die Meinungsbildung über die zustehenden demokratischen Rechte und Möglichkeiten ist daher für viele Menschen sehr schwer. Die Mehrheit der Bevölkerung ist indianischer Abstammung, im Parlament sind Indigenas hingegen eine Seltenheit.

Nur etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat den langwierigen Prozeß der Eintragung in das Wählerverzeichnis vollzogen und ist damit zur Wahl berechtigt; es besteht ein deutlicher Überhang von Männern gegenüber Frauen, der sich am Wahltag noch verstärkt, weil viele Frauen zu Hause bleiben und auf Kinder und Haus aufpassen. Wählen kann man nur am Ort der Registrierung. Viele Menschen müssen stundenlange Wege zum Wahllokal auf sich nehmen; größere Parteien sehen Transportmöglichkeiten für Mitglieder und Sympathisanten vor, kleinere Parteien scheitern an diesen Transportmöglichkeiten aufgrund ihrer finanziellen Voraussetzungen; Die Transportfrage ist mit ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung von rund 53 Prozent.

Diese Fakten sind ernüchternd. Betrachtet man sie aber im Kontext der Entwicklung der letzten Jahre, so zeigt sich, daß der Friedensprozeß eine positive Entwicklung in Gang gesetzt hat: In vielen Orten wurden vor den Wahlen politische Foren abgehalten, bei denen sich die Parteien präsentierten und ihre Spitzenkandidaten "Pactos de Caballeros" (Gentlemen's Agreement) verkündeten, in denen sie sich verpflichteten, fair zu kämpfen und die Wahlergebnisse anzuerkennen. Von der Wahlbehörde wurde viel in die Ausbildung der Wahlbeisitzer investiert. Am Wahltag herrschte eine gelöste Stimmung, die Parteienvertreter arbeiteten zusammen, und von der Polarisierung vergangener Jahre war weniger zu spüren. Gab es Zweifel oder Probleme, so wurde die Autorität der Vertreter der Wahlbehörde anerkannt.

Die Entwicklung der letzten Jahre gibt Anlaß zur Hoffnung. Von der neuen Regierung wird aber noch viel Arbeit zu leisten sein: Stärkung des Bildungs- und Gesundheitswesen, Reform der Verfassung hin zu mehr Bürgerbeteiligung, Aufklärung und Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen der Vergangenheit.

Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefordert, Guatemala bei dieser Entwicklung nicht im Stich zu lassen. Sie kann und soll ihre Unterstützung aber auch an die Erfüllung der Bedingungen knüpfen, die im Rahmen des Friedensvertrages in Guatemala vereinbart und unterschrieben wurden.

Der Autor ist Generalsekretär der Katholischen Aktion Steiermark. Für die EU nimmt er an den Wahlen in Guatemala als internationaler Wahlbeobachter teil.

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