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Verkrustete Revolution

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Mit der Manipulation der Wahlergebnisse vom 7. Juli versuchte Mexikos Staatspartei die Krise zu überspielen, in der das Land derzeit steckt. Die riesigen Probleme werden damit vielleicht aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben.

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Mit der Manipulation der Wahlergebnisse vom 7. Juli versuchte Mexikos Staatspartei die Krise zu überspielen, in der das Land derzeit steckt. Die riesigen Probleme werden damit vielleicht aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben.

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Die Ergebnisse der Wahlen vom 7. Juli in Mexiko zeigen, daß sich an den Unsitten der staatstragenden und machthabenden „Partei der institutionalisierten Revolution”, PRI (Partido Revolucionario Institucional), nichts geändert hat: Wie so oft in der Geschichte der knapp 60 Jahre umfassenden Regierungszeit der Partei wurden die Wahlresultate gefälscht, um einen überwältigenden Sieg zu belegen.

Die demokratische Öffnung, die Präsident Miguel de la Madrid Hurtado nach seinem Amtsantritt versprochen hatte, erwies sich als bloße Rhetorik. Zu schwierig ist die wirtschaftliche Lage, als daß der mächtige Parteiapparat im spanischsprachigen Riesen südlich der USA ein Experiment des Neubeginns zugelassen hätte. Es bleibt also beim „PRI-Stalinis-mus”.

Gewählt wurden die Governeu-re von sieben der 31 Bundesstaaten Mexikos, die Vertreter des Abgeordnetenhauses und zahlreiche Bürgermeister. Die Wahl hatte diesmal einiges Gewicht, weil sich zum ersten Mal in der Geschichte des PRI — er wurde 1929 ins Leben gerufen — eine erfolgreiche Opposition zu formieren begann.

Im PAN (Partido de Accion National), ursprünglich eine katholische Bewegung, finden sich unter der Führung des Revolutionärsenkels Pablo Emilio Madero zunehmend marktwirtschaftlich und liberal-konservativ orientierte Gruppen zusammen. Die Trends der letzten Jahre zeigten, daß der PAN in drei der neu zu besetzenden Gouvernate (in Sonora, Nuevo Leon und in San Luis Potosi) gute Chancen auf Gewinn hatte.

Aber bereits am Wahlabend -bevor noch alle Wahllokale in den Bundesstaaten geschlossen waren — erklärten Vertreter des PRI den üblichen überwältigenden Sieg ihrer Kandidaten. Erbittert erhoben noch am selben Abend die PAN-Kandidaten den Vorwurf der Manipulation.

Die (für Lateinamerika) ungewohnt hohe Wahlbeteiligung in den Bundesstaaten Sonora und Nuevo Leon belege, so die PAN-Politiker, daß sie den Sieg davongetragen hätten. Inzwischen gingen mehr als 300 Beschwerden bei der Bundeswahlbehörde ein, die wohl wenig fruchten werden, da diese doch von PRI-Vertretern dominiert wird ...

PAN-Beobachter, Agenturen und unabhängige Korrespondenten berichten, daß am Wahlsonntag Urnen gestohlen wurden, daß bei der gewaltsamen Öffnung einer Urne durch Wahlberechtigte eines Bezirkes in Monterrey, der

Hauptstadt Nuevo Leons, ein Berg von vorher hineingelegten Stimmen für den PRI herausflatterte, daß die Zusammenstöße zwischen PRI- und PAN-Anhän-gern (wobei das eingreifende Militär die Interessen des PRI vertrat) noch schärfer als üblich waren.

Wie immer: Die PRI verbuchte ihren großen Sieg und ließ keinen der wichtigen Posten an die Opposition fallen. Wiederum erreichten die professionellen Manipulatoren — wie immer in der PRI-Geschichte - ihre satten 80-Prozent-Ergebnisse.

Ein Kommentar im angesehenen „Latin American Newsletter”: „Letztlich hat es die PRI nicht gewagt. Eine Niederlage wurde im Gouverneursrennen vom 7. Juli nicht zugegeben. Alte Taktiken wurden ausgegraben, um auch nur die geringste Außenseiterchance einer Gewichtsverlagerung zu verhindern.”

Außerdem ist die wirtschaftliche Lage im Aztekenstaat kritischer denn je. Im dritten und letzten Jahr einesharschenBeistands-programmes des Internationalen Währungsfonds sah sich die PRI zum ersten Mal in ihrer 56jähri-gen Parteigeschichte leicht gefährdet.

Ein sauberer Wahlgang hätte das Maß dieser Gefährdung ebenso gezeigt wie das Maß der Unzufriedenheit der Mexikaner mit dem harten Sparprogramm, das Finanzminister Silva Herzog unter IWF-Auf sieht seinen Landsleuten auferlegt hat.

Erleichterung ist nun keine in Sicht. Zwar konnte die Inflationsrate im 80 Millionen Menschen zählenden Staatenbund auf vorübergehend 50 Prozent gedrückt und die Industrie aus dem Tief geholt werden, aber der stärkste Exportartikel, Erdöl, mußte 1984 einen Einbruch von 16 Prozent in Kauf nehmen.

Selbst wenn mengenmäßig heuer aufgeholt werden kann, bedeuten die immer noch sinkenden 01-preise keine Erholung. Auch die Nichterdölexporte gingen 1984 im selben Maß zurück, und ob die neuen Exportanreize greifen, wird sich erst zeigen.

Mit den verfälschten Wahlergebnissen vom 7. Juli ist jedenfalls das Prestige, das sich Präsident Miguel de la Madrid Hurtado in den bisherigen drei Jahren seiner Amtszeit mit dem Feldzug gegen die Korruption erwerben konnte, dahin.

Ob die durch Manipulation erreichte Zementierung der brök-kelnden Macht der Staatspartei helfen wird, die wirtschaftlichen und parteiinternen Probleme der längst verkrusteten institutionalisierten Revolution zu bewältigen, oder ob sich der erste ernste Riß in einem längst überholten System auftut, werden die kommenden Monate zeigen.

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