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Ein Dissident mit Erfolg

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Erstmals seit fast 60 Jahren hat die regierende Staatspartei PRI einen ernstzunehmenden Herausforderer. Kommt es damit zu einer Öffnung der Politik Mexikos?

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Erstmals seit fast 60 Jahren hat die regierende Staatspartei PRI einen ernstzunehmenden Herausforderer. Kommt es damit zu einer Öffnung der Politik Mexikos?

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Sogar das Wetter, meinen abergläubische Mexikaner, unterstreiche das Besondere dieser Kampagne für die Präsidentschaftswahl, die verfassungsgemäß im kommenden Juli stattfinden wird. Im März schob eine Kaltfront aus dem Norden finstere Unwetter über das Aztekenland. In Mexiko-Stadt schneite es. “ Zwar putzten die Schneewolken für ein paar Tage den bösen Smog über der mexikanischen Kapitale mit ihren 20 Millionen Bewohnern aus, aber die Verunsicherung ob der merkwürdigen Kampagne hält an.

Mexikos Revolution, die 1910 begann, durchlief zwei chaotische Dekaden, bis die neue Stabilität zu greifen begann. 1929 kam es zur Gründung der Staatspartei PRI (Partido Revolucionario Institu-cional), die Mexiko seither regiert, wenn notwendig mit harscher Hand.

Was mit zur Verunsicherung dieser Monate beiträgt, ist die Erinnerung an das Massaker an protestierenden Studenten der Kulturrevolution vor 20 Jahren: Am Tlatelolco-Platz starben im Oktober 1968 an die 400 Demonstranten im Kugelhagel von Armee und Polizei.

Seit 1929 küren die Führungskader des PRI in einem byzantinischen Verfahren („destape“) den offiziellen Anwärter auf die jeweils sechs Jahre dauernde Präsidentschaft. Es gehört zur mexikanischen Politik-Tradition, daß der offizielle Kandidat daraufhin monatelang mit einem großen Troß das Land bereist, Wahlreden hält, um dann mit einer Mehrheit zwischen 70 und 80 Prozent gewählt zu werden.

Kleine Oppositionsparteien zwischen links und rechts mit eigenen Kandidaten wurden immer toleriert, spielten allerdings nie eine Rolle.

Diesmal ist alles anders: Seit Oktober 1987 kandidiert als PRI-Mann mit dem üblichen Riesenaufwand (so stehen drei Düsenflugzeuge zur Verfügung) Carlos Saunas de Gortari, ein gescheiter Technokrat aus der Staatsbürokratie, der Mexikos drakonische Sanierungspolitik verläßlich weiterführen wird.

Da Mexikos 84 Millionen Bürger in den fünf bisherigen Regierungsjahren von Staatschef Miguel de la Madrid Hurtado — er übergibt im Dezember 1988 - Einkommensverluste bis 50 Prozent einstecken mußten, schlägt dem offiziellen Kandidaten erstmals nicht nur Jubel entgegen.

Insgesamt kämpfen fünf Oppositionelle gegen den PRI-Mann. Die Trotzkistin Rosario Ibarra und der Konservative Gumersin-do Magafia bleiben marginale Figuren. Heberto Castillo, 1968 als Teilnehmer der Studentenrevolution eingekerkert, wirbt als Sammelkandidat für die „Mexikanische Arbeiterpartei“ auf sozialdemokratischer Linie, kommt jedoch nur bei Intellektuellen an.

Die eigentlichen Herausforderer sind zwei weitere Kandidaten. Einerseits Manuel Clouthier. Er kämpft für die erstarkende PAN-Partei (Partido de Accion Nacio-nal), die sich christdemokratisch zu profilieren versucht. Und andererseits Cuauhtemoc Cärdenas. Sein Vater, Läzaro Cärdenas, Präsident von 1934 bis 1940, hat die Revolution institutionalisiert und verkörpert daher einen Helden im mexikanischen Pantheon.

Sein Sohn Cuauhtemoc - er trägt den Namen des letzten Aztekenherrschers, den Cortes zu Tode folterte — gehörte natürlich dem PRI-Establishment an. Angesichts der Gärung in der Bevölkerung, die zum Teil zu hungern beginnt, setzte Cuauhtemoc sich als Dissident ab und kandidiert jetzt auf eigene Faust. Und zwar mit Erfolg.

Mexiko kennt immer noch keine Wahlprognosen. Aber unter der Hand wird kolportiert, Cärdenas könnte 26 Prozent und Clouthier 21 Prozent der Stimmen erzielen; angesichts der Stimmen für die restlichen Oppositionellen bleiben für den PRI-Kandidaten vielleicht weniger als 50 Prozent — was für Mexiko ein politisches Beben bedeuten würde.

Geht alles gut, könnte dies in den kommenden Jahren die überfällige Öffnung der mexikanischen Politik bringen. Reagiert die PRI-Führung in Panik, droht ein „stalinistischer“ Rückschlag.

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