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Atomprotest in Mexiko

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Der scheidende Staatschef Mexikos muß noch eine schwierige Entscheidung treffen: Soll der Reaktor Laguna Verde in der Nähe von Vera Cruz an der Karibikküste in Betrieb genommen werden oder nicht?

Seit dem Wahlgang Anfang Juli hat es Mexikos Staatspartei der „Institutionalisierten Revolution“ PRI nicht mehr so einfach wie in den vergangenen sechs Jahrzehnten gemacht. Zwar konnte der PRI-Kandidat noch einmal eine Mehrheit für sich gewinnen, aber die amtliche absolute Mehrheit (bisher um 80 Prozent und mehr) konnte trotz Manipulationen nur noch mit 50,4 Prozent angegeben werden. Die Partei wird sich unter dem neuen Staatschef Carlos Sahnas de Gortari (ein Ökonom mit Harvard-Ausbildung und Regierungserfahrung) der ungewohnten Situation — keine absolute Macht im Staate — anpassen müssen.

Dem erst Ende November aus dem Amt scheidenden bisherigen Präsidenten Miguel de la Madrid Hurtado fällt jedoch traditionsgemäß noch die Aufgabe zu, während der Uber gangszeit einige unangenehme Entscheidungen zu treffen, um dem künftigen Staatschef den diesmal besonders schweren Start zu erleichtern.

Eine der schwelenden Fragen ist die Eröffnung des Reaktors Laguna Verde, der seit Jahresbeginn fix und fertig dasteht. Damit wollte der PRI seine wirtschaftliche Fortschrittlichkeit unter Beweis stellen. Seit Dekaden auf Modernisierung um jeden Preis eingestellt, wurde die Staatspartei durch das plötzlich angewachsene Protestpotential in der Bevölkerung unangenehm überrascht.

Mexikos Kernkraftprogramm wurde Anfang der siebziger Jahre in großen Dimensionen entworfen, als noch nicht klar war, daß gigantische Kohlenwasserstoffreserven zur Verfügung stehen würden. Der ursprüngliche Entwurf sah 20 (!) Reaktoren vor. Der erste sollte 1985 in Betrieb gehen. Begonnen wurde mit dem Bau von Laguna Verde 1972.

16 Jahre und fast vier Milliarden Dollar später ist Laguna Verde fertig - als Sackgasse eines nicht rechtzeitig geänderten Programms, dessen Kosten die mexikanischen Energiekritiker erbittert, weil das Geld für die alternative Planung von sanfteren und billigeren Energieversorgungen fehlt.

Erbittert sind auch die Intellektuellen, die — ohne geschlossene grüne Bewegung — Mexikos Umweltschützer stellen, und die Bewohner im Umkreis von Laguna Verde. Sie alle bilden eine eigenwillige Allianz, die auch große Viehzüchter, Kleinbauern, Mütter und Hausfrauen umfaßt, um gegen den Reaktor in einer der fruchtbarsten Regionen des Landes zu protestieren. Als geprüfte Bürger wissen sie obendrein um die Berechtigung des Mißtrauens gegen die PRI-Staatspartei, das beim Wahlgang so deutlich wurde: Der Mechanismus von Schlamperei, Korruption und Verschleierung kann beim Betrieb eines Atommeilers katastrophale Folgen haben; besonders bei einem, der von aktiven Vulkanen umgeben ist...

Mexikos Bürgerbasis hält Laguna Verde für einen Technik-Luxus, der ausschließlich einer arroganten Staatsbürokratie dient. Das ist die Stimmung, in der der scheidende Präsident sein „Ja“ oder sein „Nein“ zur Kernkraft sprechen muß.

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