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Reif oder unreif

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(Auch diesmal veröffentlichen wir den Bericht unseres portugiesischen Mitarbeiters unter fingierten Autorennamen. Repressalien gegen alle, die sich nicht im Sinne der regierenden Junta gleichschalten lassen, sind in Portugal auch nach den “Wahlen an der Tagesordnung.)

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(Auch diesmal veröffentlichen wir den Bericht unseres portugiesischen Mitarbeiters unter fingierten Autorennamen. Repressalien gegen alle, die sich nicht im Sinne der regierenden Junta gleichschalten lassen, sind in Portugal auch nach den “Wahlen an der Tagesordnung.)

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Was die westliehen und östlichen Agenturen über die Ergebnisse der protugiesischen Wahlen und übet die Mandats Verteilung in der Konstituierenden Versammlung gemeldet haben, mag für einzelne Redaktionen unübersichtlich und verwirrend gewesen sein; das Resultat waren Kommentare, die einander nicht selten widersprachen. Dafi zahlreiche Portugiesen von der Ausübung ihres Stimmrechts ausgeschlossen waren, dürfte allgemein bekannt sein, weniger die Tatsache, daß die Möglichkeit einer echter Entscheidung zwischen verschiedenen Regierungsformen von vornherein nicht gegeben war. Hiei jedenfalls das genaue Ergebnis dei Stimmenzählimg:

Die Sozialistische Partei dei Mario Soares erhielt, wie berichtet, die relative Mehrheit mit 1,472.24( Stimmen 37,50 Prozent; mit 1,031.486 Stimmen erreichte die Demokratische Volkspartei (PPD) 26,27 Prozent; für die Kommunisten stimmten 499.407 Wähler und reduzierten damit den kommunistischen Machtanspruch (wenn auch nicht die tatsächlich ausgeübte Macht) aui 12,72 Prozent; die (konservative) Soziale Zentrumspartei (CDS) erhielt 290.107 Stimmen und 7,39 Prozent; die kommunistische Splittergruppe, die sich Portugiesische Demokratische Bewegung nennt (MDP-CDE) gewann mit 165.540 Stimmen 4,27 Prozent; die Volkssozialistische Front (FSP) mit 49.578 Stimmen 1,26 Prozent; die Linkssoziailistische Bewegung (MBS) mit 40.876 Stimmen 1,04 Prozent; die Volksdemokratische Union (UDP) mit 31.665 Stimmen 0,81 Prozent; die vom Prin-

zen von Beira für seinen Vater, den Herzog von Braganca geführten Sozialen Monarchisten gewannen 21.576 Stimmen und 0,55 Prozent; die Marxisten-Leninisten (FEC-ML) 20.305 Stimmen und 0,52 Prozent; die Partei der Volkseinheit (PNP)

8723 Stimmen und 0,22 Prozent; und die Trotzkisten erhielten mit 7688 Stimmen 0,20 Prozent.

Die Aufforderung der Junta, weiße Stimmzettel einzuwerfen, wurde lediglich von 4 Prozent der gesamten Wählerschaft befolgt. Dies bei einer 90prozentigen Wahlbeteiligung und einem Gesamtergebnis von 6,176.559 abgegebenen Stimmen.

Für die Konstituierende Versammlung, die der Junta untergeordnet ist und die nur „beratende“ Funktionen ausüben kann, ergibt

sich damit die folgende Mandatsverteilung: Soares-Sozialisten 80 Sitze; Demokratische Volkspartei 70 Sitze; Kommunisten 30 Sitze; konservative Soziale Zentrumspartei 16 Sitze; Portugiesische Demokratische Bewegung 5 Sitze; Volksdemokratische Union 1 Sitz.

Wie verzerrt in Wirklichkeit das Bild ist, das sich damit der Welt bietet, dürften Teilergebnisse anzeigen, die dort erzielt wurden, wohin der Arm der Junta nicht reicht, geschweige denn die Wirksamkeit linker Schlägertrupps, die Lissabon

und Oporto beherrschen. So erzielten auf den Azoren die Demokratische Volkspartei 75.577 Stimmen, die Soares-Sozialisten jedoch nur 35.699, die Konservativen 3411, die Kommunisten 2726, die Linkssozialistische Bewegung 1024. Die Portugiesische Demokratische Bewegung aber immerhin auch 2930.

Ähnliche Ergebnisse auf Madeira: Hier erhielten die Demokratische Volkspartei 78.320 Stimmen, die Soares-Sozialisten 24.519, die Konservativen 12.657, die Kommunisten

2053, die Portugiesische Demokratische Bewegung 1630 und die Marxisten-Leninisten 1454.

Wer ist Mario Soares, der in allen Massenmedien Vielgenannte? Als Historiker und Rechtsanwalt wurde er 1946 leitendes Mitglied des portugiesischen Movimento de Unidade Democrätica Juvenil (Demokratische Jugendbewegung). 1949 gründete er die Acgäo Socialista Portuguesa und kandidierte 1965 für die Opposition unter Salazar. Die damalige Geheimpolizei verhaftete ihn am 13. Dezember 1967; er blieb bis zum ll.März 1968 politischer Häftling und wurde nach seiner Freilassung auf Säo Tome konfiniert. Nach dem Tode Salazars wieder heimgekehrt, kandidierte er 1969 neuerlich für die Oposition unter Caetano. 1970 begab er sich freiwillig nach Frankreich, wo er als Gast der Sozialistischen Internationale lebte und sich mit Mitterrand befreundete. Portugals

Situation unter der Junta bezeichnete er kürzlich als einen „prädemokratischen“ Zustand; unter der Junta werde sich eine pluralistische Demokratie mehr oder weniger von selbst entwickeln.

Sein Gegenspieler von den Konservativen, Adelino Amaro da Costa, ist ein Mann des „Opus Dei“. Er war unter Caetano im Ministerium für Unterricht tätig. Das Programm der Konservativen entspricht jenem der britischen Tories, mit denen sehr enge Kontakte

bestehen. Die Konservativen streben eine echte Integration Portugals in die westliche Welt an.

Alvaro Cunhal, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Portugals, ist aktives Parteimitglied seit 1927. Im Jahre 1937 wurde er Generalsekretär und sogleich darauf von der damaligen Geheimpolizei verhaftet. Er entkam, wie bekannt, und nicht ohne stillschweigende Zustimmung des Regimes, in den Osten, wo seine Einschulung zum Parteiführer eigentlich erst begann. Sein Kommentar zu den Wahlen, diese hätten keineswegs den wahren Willen des Volkes zum Ausdruck gebracht, das nach 50 Jahren Diktatur sich als noch ziemlich unreif erwiesen habe, dürfte auch außerhalb Portugals kolportiert worden sein. Immerhin hält Cunhal die Wahlergebnisse für einen Schritt auf dem Wege zu einem siegreichen Klassenkampf.

Der Eindruck, den die portugiesischen Wahlen auf den demokratischen Westen, vor allem auch auf die USA gemacht haben, dürfte nicht ungünstig sein. Jedenfalls erhofft man sich in Portugal, gleichgültig welcher Parteireichtung man angehört, daß es nicht bei freundlichen Worten von amerikanischer und EWG-Seite bleibe, sondern daß dem binnen Jahresfrist an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds geratenen Land rasche und wirksame Hilfe gewährt wird.

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