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Poker in Lissabon

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Portugals Wähler haben eine entscheidende Prüfung im Fach Demokratie glänzend bestanden. Sie erwiesen sich, wie man so schön zu sagen pflegt, als politisch reif. Sie erteilten, trotz des kommunistischen Gewinnes von ganzen zwei Sitzen, den potentiellen Diktatoren eine klare Abfuhr. Aber schon die nächste Prüfung, die dem Land bevorsteht, könnte einen Schwierigkeitsgrad erreichen, den auch so manche ältere Demokratie nicht gerade spielend bewältigt'hat* Denn das portugiesische Wahlergebnis brächte keine klare Entscheidung und spielt somit eher die Rolle des großen Kartenmischens im Poker um die Regierungsbildung. Allerdings handelt es sich hier um ein Poker, bei dem jeder jedem in die Karten schauen kann.

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Portugals Wähler haben eine entscheidende Prüfung im Fach Demokratie glänzend bestanden. Sie erwiesen sich, wie man so schön zu sagen pflegt, als politisch reif. Sie erteilten, trotz des kommunistischen Gewinnes von ganzen zwei Sitzen, den potentiellen Diktatoren eine klare Abfuhr. Aber schon die nächste Prüfung, die dem Land bevorsteht, könnte einen Schwierigkeitsgrad erreichen, den auch so manche ältere Demokratie nicht gerade spielend bewältigt'hat* Denn das portugiesische Wahlergebnis brächte keine klare Entscheidung und spielt somit eher die Rolle des großen Kartenmischens im Poker um die Regierungsbildung. Allerdings handelt es sich hier um ein Poker, bei dem jeder jedem in die Karten schauen kann.

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Die Sozialdemokraten unter Soa-res wurden zwar mit 106 Sitzen stärkste Partei, aber im portugiesischen Parlament mit seinen 159 Sitzen wird für eine regierungsfähige Mehrheit ein absolutes Minimum von 130 Sitzen benötigt. Rein theoretisch könnte sich Soares nun aussuchen, mit wem er in eine Koalition geht Er hätte gemeinsam mit der liberalen PPD 177 Sitze, mit dem christlichen „Demokratisch-Sozialen Zentrum“ 147, mit den Kommunisten 146 Sitze, den einsamen linken Splitter-Albgeordneten der Volksdemokratischen Union kann man /ergessen.

Leider sind die portugiesischen Sozialdemokraten alles andere als eine geschlossene, in sich einige Partei. Und der innerparteiliche Druck von links, sich gegenüber allem wirklich oder vermeinitliich Rechten abzugrenzen, dürfte sehr stark sein. Das hat unter anderem auch der Eiertanz gezeigt, den Soares bei der Beantwortung einiger unibequemer Fragen in Wien aufgeführt hat (wobei freilich manches Sichquälen wahltaktischen Bedenken entsprungen sein könnte).

Nun braucht das Land nichts so sehr wie eine breite Regierungsmehrheit, um seine wirtschaftlichen Probleme, die längst jenes katastrophale Ausmaß, das radikale Entwicklungen befürchten läßt, erreicht hat, angehen zu können.

Auf den ersten Blick bietet sich

sehen Nachfahren Otto Bauers im innersten ihres währungspolitischen Herzens in ihrer Mehrzahl auch nicht viel anders denken als jener es seinerzeit getan hat. Angesichts der noch zu finanzierenden Milliardenlücken der öffentlichen Haushalte dieses und der nächsten Jahre ist die Notenpresse eine permanente Versuchung für jede sozialistische Regierung. Dagegen kann nur eine standfeste Nationalbank, unterstützt von der Wachsamkeit des Parlaments und der Öffentlichkeit, schützen.

eine breite Koalition zwischen Soa-res-Sozialisten, Liberalen und christlichen Demokraten an, die nicht nur über eine absolute, sondern über weit mehr als die Zweidrittelmehrheit verfügen könnte. Diese Kombination hätte für Soares aber den gewaltigen Schönheitsfehler, daß seine Partei in der Regderungskoalition mit 106 gegenüber 112 Sitzen der beiden Partner in der Minderheit bliebe. Soares geht mit der Annahme^, daß seine Koalitionspartner auf den Gebrauch dieses ihres demokratischen Übergewichts kaum verzichten würden, bestimmt nicht fehl, denn die beiden bürgerlichen Parteien verstehen sich miteinander wesentlich besser als mit den Sozialisten.

Nur so ist Soares' Sympathie für eine AUparteienregierung zu verstehen — hier wären Sozialdemokraten und Kommunisten gegenüber PPD und Demokratisch-Sozialem Zentrum im Übergewicht Ebenso begreiflich, daß PPD und Demokratisch-Sozialem Zentrum eine “,olche Kombination nicht gefällt. Aber gerade diesen beiden Parteien wäre die Zusammenarbeit in einer Regierung mit den Kommunisten nach dem nicht sehr lange zurückliegenden Uberlebenskampf nicht zuzumuten.

Ist sie Soares zuzumuten, der ja den kommunistischen Griff an seiner Gurgel auch noch spüren muß? Die Mehnheitsverhältnisse im neuen Lissabonner Parlament machen es leicht, sich auszurechnen, was das Ziel von Soares sein muß. Er hat es mit Sicherheit darauf angelegt, die enge Bindung zwischen Liberalen und den demokratisch-sozialen Christen aufzubrechen und nur mit einer dieser beiden Parteien in eine Koalition zu gehen, die auf jeden Fall eine absolute Mehrheit hätte — in der aber Soares den Part des stärkeren Partners spielen könnte.

Unter dieser Hypothek ist die Regierungsbildung eine schwere Aufgabe. Soares hat schon in der Wahlnacht, als er noch nicht einmal sein

Blatt vollständig in der Hand hatte, mit dem Pokern begonnen, und er wird das Spiel fortsetzen. Er wird weiter mit der Forderung nach einer Allparteienregierung, ja vielleicht sogar, aber eher doch wohl sehr vorsichtig, mit der Drohung einer Koalition nur mit den Kommunisten bluffen. (Käme es zu einer solchen, wäre das die beste Gai antie für eine regierungsfähige Mehrheit der Bürgerlichen bei den nächsten Wahlen, das muß Soares nur zu genau wissen.)

Seine Lage hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Ecevit: Stärkste Partei, aber trotzdem zu schwach Aber Portugals Armee ist auch heute noch nicht, wie die türkische, im Notfall ein Fangnetz für die Demokratie. Daher kann Portugal seine entscheidendste Prüfung im Fach Demokratie nur bestehen, indem es zu einer Einigung zwischen Sozialisten und Bürgerlichen kommt.

Sie könnte erhebliche Ähnlichkeit mit Österreichs Großer Koalition von 1945 haben. Das hieße: Lösung aller Fragen, in denen ein Konsensus hergestellt werden kann. Vertagung des Restes auf den Sankt Nimmerleinstag. Sollte Soares seinen Freund Kreisky um Rat fragen — Kreisky sollte ihm einen solchen Weg dringend ans Herz legen. Auch wenn er davon in Österreich selbst nichts hält.

Reden wir einmal nicht vom Inhalt der jüngsten wehrpolitischen Auseinandersetzung, in der Lütgendorf wieder einmal eine so unvergleichlich schöne Figur gemacht hat, sondern von den Spielregeln, nach denen da vorgegangen wurde. Nicht der Verteidigungsminister, sondern Regierung, Regierungschef und Regierungspartei haben da, dem gelernten Brigadier ins Handwerk pfuschend, eine neue Strategie entwik-kelt und glanzvoll angewendet. In einem großangelegten Umgehungsmanöver wurde der Heeresminister von der eigenen Mannschaft abgeschnitten, durch eine geschickte Finte aus der Reserve und geradenwegs in die doch angeblich dem Feind zugedachten Salven gelockt. Das war großartig. Clausewitz könnte da noch allerhand lernen. Oder hat etwa der Brigadier seinen Clausewitz verschlafen — der große Zivilist hingegen beim großen Klassiker der Kriegskunst gelernt?

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