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Überleben um jeden Preis

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Ich bin dagegen, der FDP eine Art ökologische Uberlebensnische zu überlassen. Das macht eine liberale Partei kaputt." In Aussage und neuem Amt steht Wirtschaftsminister Martin Bangemann für die primären Sorgen der kleinen Koalitionspartner in Bonn und Wien.

Die Großparteien schicken ihre Denker nach vorne, um schon jetzt die Zukunft visionär zu vereinnahmen. Die Herbst-Alternative der Liberalen erschöpft sich in einer zeitgemäßeren Neudefinition, der „klaren Formulierung

der liberalen Komponente und einer modernen gesellschaftspolitischen Aussage" (FPÖ-Obmann Norbert Steger). Denn ihnen ist nur eine Beschäftigung erlaubt: mit sich selbst.

Die Umweltnische, von den politischen Verantwortlichen lange vernachlässigt und daher ideal für Protest, ist längst grün besetzt. Profilgebende Schlupflöcher, die eigenständige Grundsatzpositionen markieren, sind rar. Praktizierter Liberalismus ist zu einer Uberlebensfrage verkümmert: Was könnte uns schaden, welche Taktik ist zu empfehlen?

Die Etikettierung „liberal" gilt heute nur noch als unausgesprochener selbstverständlicher Nebenaspekt.

„Wir als Liberale", gern benutztes Einleitungsstatement von Vertretern der kleinen Koalitionspartner, ist mehr als eine flüchtige Floskel. Es ist der krampfhafte Versuch, jedwedes Thema für eine ideologiearme Partei ohne Stammwählerreservoir zur Grundsatzfrage hochzustilisie-ren.

Schwer zu verkaufende Zukunftsphantasien haben keinen Platz im täglichen Existenzkampf. Die Gesetze der Marktwirtschaft sind nicht nur politisch

verinnerlicht, sondern auch Maßstab eigener Aktivitäten.

Beginnend beim jeweiligen großen Koalitionspartner: der Schulterschluß ist abhängig von dessen aktueller Marktposition und dem attraktiven Angebot. Gerechnet wird in Prozenten und Posten.

Das Augenmerk schielt nach Trends und aktuellen Bedürfnissen: ein flexibles opportunistisches Angebot, bei mangelnder Nachfrage reicht die Produktpalette bis zur Ware Mensch.

Steger entdeckt sogar die Kinder deutscher Streikfamilien als Zielgruppe. Wie sein Kollege Hans Dietrich Genscher ist er Minister und Parteichef in Personalunion. Nicht nur wegen übermäßig vieler Amtsverpflichtungen agieren sie weit mehr auf internationalem Parkett. Die stete Medienpräsenz wird der notwendigen und mühseligen Parteikoordination vorgezogen.

Inhaltliche Kurskorrekturen werden durch bloße Strategiedebatten ersetzt. Genscher hat den „Wende"-Begriff bis zur Un-glaubwürdigkeit ausgedehnt, sein Rücktrittsversprechen als Vorsitzender ist jedoch ein rein personelles Zugeständnis. Die nach Amnestie-Debakel und verschärftem Demonstrationsrecht notwendige Diskussion in der FDP wurde tunlichst vermieden. Verteidigung des Rechtsstaates galt einmal als letzte liberale Bastion, in der man fast schon übersensibel reagierte.

Mit dem Amtswechsel im Bonner Wirtschaftsressort verläßt mit Otto Graf Lambsdorff der letzte freidemokratische Minister die Politik, dem selbst die schärfsten Kritiker eines nicht absprechen wollten: Standfestigkeit und Mut zu unpopulären Maßnahmen. Zivilcourage gilt nur noch

als Ausnahme von der liberalen

Regel.

Forsche Forderungen in der Opposition, dann ein gemäßigter Harald Ofner im Regierungskorsett — der Gegensatz von Wunsch und Wirklichkeit ist nichts Spezifisches für eine liberale Partei.

Die deutschen Sozialdemokraten können ein langes Lied davon singen. Das Düemma der oft beklagten Sachzwänge jedoch trifft eine kleine Wahl- und Uberlebensgemeinschaft ungleich härter.

Wie keine andere Partei ist sie vom Wohlwollen des großen Koalitionspartners abhängig, dessen taktisches Kalkül sich schon morgen gegen sie richten kann. Am mächtigen Partner muß man sich zumindest in Scheinkämpfen reiben, will aber anderseits nicht mit dem Makel des unsicheren Kantonisten behaftet sein.

Auch die Regeneration in der Opposition, von frustrierten Idealisten der Großparteien gern als Allheilmittel gepriesen, ist für liberale Kleinparteien eine allzu unsichere Perspektive.

Den einmal gewonnenen Machtanteil verdankt man historischen Zufällen, ideologieverdrossenen Urnengängern und dem günstigen Verhältniswahlrecht.

Die Folgen der liberalen Zitterpartie sind programmatische Bescheidenheit und ideologische Defensive. So schöpften die deutschen Freidemokraten ihre ausschließliche Legitimation durch eine Verhinderung des ungestümen Papiertigers Franz Josef

Strauß. Stegers einjährige Regierungsbilanz: „Wir haben mehr Sozialismus verhindert."

Innerhalb der Koalition ist man ein zahmer, manövrierbarer Spielball. Selten zu vernehmende laute Töne werden exakt kalkuliert. So reitet der Handelsminister Steger heftiger Attacken gegen den Verbund-General Walter Fremuth („Halbwahrheiten und Propaganda"), wohlwissend um das Mißtrauen vieler Bürger gegenüber der E-Wirtschaft. Auffälliges Schweigen dagegen im Fall Hannes Androsch: Bei deutlichen Stellungnahmen hätte man womöglich auf das falsche Pferd gesetzt.

Die Krise des Liberalismus wird von anderen analysiert. Die FPÖ ist unterdessen noch mit ihrem rechts-nationalen Ballast beschäftigt, die deutschen Kollegen haben eine (rapide fallende) links-liberale Klientel zu versorgen. Diesen Gruppen wird gelegentlich eine Geste der Anerkennung zuteil oder eine kurze Prozedur des aufmurrenden Widerstands vorgeführt. Halbherzigkeiten und faule Kompromisse: der Widerspruch wird zum gewohnten Ritual.

Traditioneller liberaler Ungehorsam ist nur außerhalb der Fraktionsdisziplin erlaubt. Ein Jörg Haider darf an alte Privilegienforderungen erinnern. Auf FDP-Parteitagen ertönt stets frenetischer Beifall, wenn ihr Re-nommier-Ideologe Ralf Dahrendorf intelligente Zukunftsphantasien erläutert.

Für die kurzen Stunden eines Wochenendes ist aufbegehrender Wille spürbar. Im nüchternen politischen Alltag merkt man sehr rasch, daß der Weg von anderen beschritten wird. Nur das Tempo darf korrigiert werden.

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