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Zusammenarbeit - wo?

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Ein Gespenst geht um in der österreichischen Innenpolitik, weht mal blaß und kaum erkennbar vorbei, spielt sich dann wieder um Greifen deutlich in den Vordergrund. Es ist das Gespenst der 1966 unsanft entschlafenen großen Koalition, das nunmehr unter dem Namen Zusammenarbeit seine Auftritte hat. Der Geist der großen Koalition kann nicht zur Ruhe kommen, und die Frage ist berechtigt, ob er so ganz, und wieweit er zur Ruhe kommen soll.

Es ist keineswegs nur die ÖVP, die den hochgeehrten Geist zitiert, wobei sie sich dann regelmäßig nachsagen lassen muß, sie tue es ja nur, weil sie sich nicht zutraue, anders, nämlich per Wählervotum, zur Macht oder wenigstens Machtteilhabe zu gelangen. Auch die SPÖ spricht recht gerne von Zusammenarbeit, wenn es gelegentlich doch ohne die Zweidrittelmehrheit nicht geht oder wenn die Legitimation durch einen sogenannten breiten Konsensus wünschenswert erscheint.

Honi soit qui mal y pense. Die Hoffnung, eine klare Oppositionsrolle mit dem Image staatsbewußter Willigkeit zur Zusammenarbeit auf einen wahlwirksamen Nenner bringen zu können, mag Illusion sein - anderseits wäre es kaum angebracht, die Regierung zu schelten, wenn sie einen breiteren Konsensus sucht. Soweit sie beliebt, es zu tun...

Hier soll eine Frage formuliert, aber keineswegs beantwortet werden. Es ist die Frage, ob es unbedingt so sein und immer so bleiben muß, daß die Regierung absteckt, wo der breitere Konsensus, sprich: das Einverständnis der großen Oppositionspartei, jeweils wünschenswert, und das heißt: ihr im Augenblick und nicht zuletzt tagespolitisch-taktisch wünschenswert, erscheint. Und ob die jeweilige große Oppositionspartei darauf angewiesen Bein und bleiben muß, auf Abruf für das Konsensus-Liebeswerben der Regierung bereitzustehen.

Was aber die vielzitierte, angebliche Allmacht einer Alleinregierung betrifft: ihr sind picht nur von der Verfassung, sondern ebensosehr von der Kürze der Legislaturperiode enge Grenzen gesetzt. Die Alternative zur großen Koalition mit ihrer institutionalisierten Entscheidungshemmung ist nicht unbedingt das mit klaren Befugnissen ausgestattete Einparteienkabinett. Vielmehr droht, sollte es sich der Wähler gelegentlich alle vie r Jah re anders überlegen - was in Zukunft durchaus der Fall sein kann - die Springprozession (drei Schritte vor, zwei zurück, im günstigeren Fall) oder der Zickzackkurs zum längerfristigen politischen Entscheidungsmodell zu werden.

Es mag einen weiten Bereich politischer Entscheidungen geben, der dadurch kaum beeinträchtigt wird. Es mag einen anderen Bereich geben, nämlich den der vom Grundsätzlichen einer Partei bestimmten Entscheidungen, in denen eine Einigung oder ein Kompromiß nicht in Frage kommt. Die Frage, die hier zur Diskussion gestellt werden soll, ist die Frage nach Bereichen, in denen eine gemeinsame Willensbildung von Regierung und Opposition wünschenswert und möglich und als Garantie für Kontinuität iri ebendiesen Bereichen ins Auge zu fassen wäre. Das Wesentliche dabei wäre eine gemeinsame Festlegung über den nächsten Wahltag hinaus. Anders wäre ein solcher Ausbau der Demokratie ja auch zumindest vom Standpunkt der regierenden Mehrheitspartei wenig sinnvoll.

Wir haben ein Beispiel für die gemeinsame Arbeit an für lange Zeit bindenden Entschlüssen - nichts anderes ist ja das neue Strafrecht, wenn man von dem einen, allerdings sehr schwerwiegenden, weil zumindest für den einen Verhandlungspartner vom Prinzipiellen her bestimmten Punkt absieht. Es gibt aber keinen Grund, warum die positiven gemeinsamen Erfahrungen bei der Schaffung eines „Jahrhundertgesetzes“ nicht auch eine (oder mehrere) Etagen (in der Wertigkeit) tiefer dazu benützt werden sollten, unsere Demokratie zu perfektionieren, nach demselben Rezept in anderen Fragen zu mittel- und langfristigen Entscheidungen und zur gemeinsamen Bindung an sie über den nächsten Wahltag hinaus zu gelangen. Zum Beispiel auf bestimmten wirtschaftspolitischen, auf plötzliche Änderungen von Bestimmungen empfindlich reagierenden Gebieten.

Die Beeinträchtigung der politischen Entscheidungsfähigkeit durch die Kürze der Legislaturperioden wird heute allgemein als das größte Handikap der westlichen Demokratie empfunden. Eine Verlängerung der Wahlperioden würde nicht nur eine schwerwiegende Beeinträchtigung der demokratischen Substanz bedeuten, sondern vor allem auch an der Verfassung scheitern. Gemeinsame und freiwillige Bindungen von Regierung und Opposition in bestimmten Fragen - etwa der Außenpolitik oder bestimmter Ausgabenplanungen - für mehr als eine Wahlperiode könnten nicht nur dieses Handikap unseres politischen Systems verringern, sondern auch der Verbesserung des Vertrauensklimas zwischen den Parteien dienen und jene, die sich gerade in der Opposition befinden (und in einer echten Demokratie wird dieses Schicksal jeder Partei zuteil) in sinnvoller Weise am politischen Prozeß beteiligen.

Es wäre wichtig, was die Praktiker und die Theoretiker unseres modernen Parteienstaates von einer Institutionalisierung solcher Formen von Zusammenarbeit (vergleichbar vielleicht der Sozialpartnerschaft) halten. Wer weiß, ob so das hochgeehrte Gespenst der Großen Koalition nicht endlich zur wohlverdienten Ruhe käme.

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