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Zeitgenosse

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Erlebt die europäische Demokratie neue Impulse vom äußersten Westen des Kontinents her, der sich ein halbes Jahrhundert lang von der resteuropäischen Entwicklung abgekapselt und erst in den letzten zwei Jahren einen turbulenten Neubeginn gesetzt hat? ÖVP-Generalsekretär Busek ließ diese, leicht staunende Hoffnung durchscheinen, als er am Montag seinen portugiesischen Gast begrüßte. Den Sprecher jenes Landes, dessen Menschen bewiesen, daß es doch noch spontane Erhebungen, Widerstände gegen ungewollte Entwickluntgen, daß es eine echte „Macht des Volkes“ gibt — wer erinnerte sich hiebei nicht an den August 1968 in der Tschechoslowakei? —, die nicht nur ferngelenkt einsetzt, wenn es den Drahtziehern dies- oder jenseits der Grenzen richtig erscheint.

Diogo Freitas do Amaral, einst Studentenführer in der Zeit der Diktatur, dann international anerkannter Rechtswissenschafter und — ob-

wohl erst 35 Jahre alt — seit dem Neubeginn an der Spitze der Christdemokraten seines Landes, wußte sehr wohl hervorzuheben, daß es diese Abfolge der Ereignisse in Portugal nicht gegeben hätte, stünde die Sowjetarmee im Land oder wenigstens an ihren Grenzen. Die turbulenten Phasen der Demokratisierung vom Sturz der Diktatur bis zur Minderheitsregierung der Sozialisten unter Soares brachten so manche kritische Lage, in der die Beobachter im übrigen Europa vielleicht schon zu rasch bereit schienen, eine kommunistische Diktatur im westlichsten Eck zur Kenntnis zu nehmen.

Nicht aber 'die Portugiesen selbst, die sich schon bei den ersten freien Wahlen zur konstituierenden Natio-ntalversaimmlunig zu fast drei Vierteln für die Demokratie und gegen, die Extremen ausgesprochen hatten, und die auch in der weiteren Folge nicht bereit waren, die eine Diktatur gegen eine andere zu tauschen. 14 Prozent Kommunisten — was sollten sie tatsächlich aufstecken können gegen über 70 Prozent in den drei demokratischen Parteien? Weder der kommunistische Terror bei den ersten Wahlen, gegen alles, was — ihrer Meinung nach — rechts der

Mitte stand, weder ihr Übergewicht in den Massenmedien der ersten Ze^t, noch die massive Unterstützung durch Teile des Heeres konnten die Menschen einschüchtern, für die der Sturz der Diktatur ein ähnliches Hochgefühl der Freiheit bedeuten mußte, wie einist der „Prager Frühling“ für die Menschen in Böhmen, Mähren und- der Slowakei.

Der gemeinsame Widerstand geigen die extreme Linke, die gemeinsame Not von 300.000 Flüchtlingen aus Afrika, von 15 Prozent Arbeitslosen, von 25 bis 30 Prozent Inflationsrate, einer darniederliegenden Wirtschaft ohne Investitionsanreize und mit sinkender Produktivität — alle diese Schwierigkeiten zwingen die Portugiesen dazu, das Trennende in den (wiedererstandenen und neugewordenen Parteien zu vergessen und gemeinsame Wege aus dem Elend zu suchen.

Der Führer der zweitstärksten Oppositionspartei billigt nicht den AEeinigang des Sozialistenchefs in die Minderheitsregierung — aber er versteht ihn, er gibt seine Argumente wieder: das Nein zu einer starken Linksregierung unter Einschluß der Kommunisten, die von der Mehrheit der Wähler nicht gebilligt würde,

aber auch das Nein zu einer Koalition der Mitte, die den linken Flügel der sozialistischen Partei stören und den Kommunisten Anlaß zu Streiks

und Unruhe liefern würde. So kann tsich Soares mit nur 34 Prozent der Wähler auf eine breite Duldung, ja Unterstützung der großen Oppositionsparteien verlassen, die bereit Bind mitzuhelfen, das Land aus der gegenwärtigen Krise herauszuholen.

Aus der wirtschaftlichen Krise — denn politisch ist die Lage gut in Portugal, versichert Freitas do Amaral, auch wenn seine Partei nicht lan der Regierung beteiligt ist (welcher Oppositionsführer im übrigen (Europa wäre bereit, dies für sein Land zuzugestehen?). Die Demokratie in Portugal scheint ihm konsolidiert, so jung, so gärend, so ungewohnt sie auch noch sein möge. (War es bei uns in den schweren Jahren nach dem Krieg nicht genauso?) Von links außen kann Unruhe kommen; Streiks, Demonstrationen sind möglich — für echte Gefahren sieht er dort keine Anzeichen. Eher schon auf der Rechten, bei denen, die ihren Posten in der Zeit der Diktatur nachtrauern, in Teilen des Militärs, des Großgrundbesitzes. Das aber dürfte muh wieder eine portugiesische Spezialität sein, die — aus der jüngsten Vergangenihedt erklärbar — nicht für das übrige Europa übersetzbar erscheint,

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