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Am Vorabend eines kurzen und totalen Wahlkampfs

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Die innenpolitische Entwicklung Spaniens hat sich während der letzten Wochen weiter beschleunigt. Ein außerordentlicher Ministerrat hat, wie bekannt, das Wahlgesetz in seiner de- finitifen Form beschlossen. Vom linksextremen Sektor der Sozialisten abgesehen, wurde dieses in Zusammenarbeit mit den großen politischen Gruppierungen ausgearbeitete Gesetz von der gesamten spanischen Öffentlichkeit günstig aufgenommen. Im wesentlichen geht es auf eine im Jahr 1909 unter der damaligen Monarchie geschaffene Wahlordnung zurück und enthält eine Drei-Prozent-Klausel für die in der ersten Kammer vertretenen

Parteien. Die Verteüung der 350 Mandate erfolgt, wie beispielsweise in der Bundesrepublik, in Belgien und Portugal, nach der d’Hont’schen Formel. Für den Senat güt das Majoritätsprinzip in dem Sinne, daß der Wähler sich für drei von vier Kandidaten seiner Provinz entscheiden kann. Dies garantiert die Wahl wenigstens eines Minderheitenvertreters aus jedem dieser Wahlkreise. Der Bevölkerungsdichte entsprechend, stellen sieben der spanischen Provinzen drei Senatoren, acht Provinzen deren vier, dreizehn Provinzen deren fünf und drei Provinzen deren sechs. Die Zahl erhöht sich bei den Großstädten entsprechend. Madrid wird mit 32, Barcelona mit 33 Mandataren im Senat vertreten sein. Die derzeit amtierenden Regierungsmitglieder, die höheren Verwaltungsbeamten und die Heeresangehörigen besitzen ein aktives, aber kein passives Wahlrecht, Ministerpräsident Suärez und Cortesvorsitzender Miranda ausgenommen. Die Dauer des Wahlkampfes ist auf drei Wochen beschränkt, gerechnet von der Wahlausschreibung.

Die Endreaktion des Gesetzes stammt vom gegenwärtigen Justizminister Landelino Lavilla, der sich für den demokratischen Ablauf sowohl der Wahl selbst, als auch des Wahlkampfes persönlich verbürgt hat. Radio, Fernsehen und alle sonstigen Medien werden den politischen Parteien ohne Einschränkung zur Verfügung stehen, was insofern von besonderer

Wichtigkeit ist, als es sich vor allem bei der Television um einen Staatsbetrieb handelt.

Dieser bisherige Höhepunkt der politischen Reform hat während der letzten Wochen alle anderen in- und ausländischen Ereignisse überschattet, darunter auch das im Ausland so hoch bewertete Treffen der Eurokommunisten in Madrid zu Beginn des Monats März. In einem Hotel der Hauptstadt besprachen sich die Gäste des Parteisekretärs der immerhin offiziell noch illegalen spanischen KP, Santiago Ca- rülo, der Franzose Georges Marchais und der Italiener Enrico Berlinguer. Es ging ihnen im wesentlichen darum,

die demokratische Glaubwürdigkeit des Partido Comunista Espanol vor aller Welt unter Beweis zu stellen - ein Ziel, das insofern nicht zur Gänze erreicht wurde, als Moskau seinen Einfluß durch Marchais geltend machte. Im Schlußkommunique unterblieben demnach die ursprünglich vorgesehenen ausdrücklichen Zensuren an die Adresse der osteuropäischen Diktaturen und man beschränkte sich ganz allgemein auf eine Bestätigung der Grundsätze von Helsinki: Grundsätze, die auf jedwedes Land von jedweder sozialpolitischen Struktur anwendbar sind. Abschließend läßt sich also sagen, daß der eigentliche, wenn auch indirekte Nutznießer des Madrider Eurokommunistengipfels die Regierung Suärez war.

Wie bekannt, brachte die Teilamnestie zahlreichen politischen Häftlingen die Freiheit, auch solchen, die wegen öffentlicher Gewalttätigkeit verurteilt worden waren. Bei Blutverbrechen aus politischen Motiven hat sich die Regierung eine Überprüfung jedes einzelnen Falles Vorbehalten. Allem Anschein nach zielen die bisherigen Begnadigungen auf eine Totalamnestie hin, die zu einer Beruhigung vor allem in den baskischen Provinzen beitragen könnte, wo einerseits der extreme Nationalismus zu anarchistischen Exzessen neigt und wo die Exekutive anderseits mit besonderer Härte und korporativ auf Polizistenmorde reagiert hat.

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