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Meine Begegnung mit Martin Bormann im Urwald Chiles

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Düsteres Zwielicht umgibt die Gestalt Martin Bormanns, der sich als langjähriger Akteur der nationalsozialistischen Partei erst in den letzten Kriegsjahren ganz in den Vordergrund gespielt hat. Reichsleiter, General der SS, Leiter der Partel-kanzlei, Sekretär Hitlers waren seine offiziellen Amtstitel. Sein Konto ist mit besonderer Verantwortung für die Verfolgung der Kirche, die Ausrottung der Juden und die Versklavung der besetzten Gebiete belastet. Je mehr der Stern der anderen Parteiführer sank, um 60 höher stieg Bormann. Sein Abgang aus der kampfumtobten Reichshauptstadt ist wieder in Dunkel gehüllt. Gerüchte über seinen Tod wurden verbreitet und blieben im Ungewissen. Das Nürnberger Gericht hat Martin Bormann in Abwesenheit zum Tode durch den Strang verurteilt.

Der Verfasser des nachstehenden Aufsatzes, der am 20. April mittels Luftpost an die „Furche“ eintraf, war im Deutschen Reichstag Zentrumsabgeordneter, ein führendes Mitglied jener Gruppe de6 Zentrums, die gegen den Abgeordneten von P a p e n in scharfer Gegnerschaft stand.

Am 24. Oktober vorigen Jahres veröffentlichte die größte Zeitung Chiles, der „El M e r c u r i o“ in Santiago, ein Interview mit mir über meine Begegnung mit dem Stellvertreter des „Führers“, Martin Bormann, im tiefen Urwald Chiles. Diese Veröffentlichung ging durch die Nachrichtenagenturen in weiten Teilen der Welt in die Presse über und hat damals viel Aufsehen erregt. Eine ganze Flut von Zuschriften, auch aus Deutschland, erreichte mich teils direkt, teils durch die erwähnte Zeitung. Es wurden Zweifel laut über die Richtigkeit meiner Veröffentlichung, es wurde gefragt, warum die Veröffentlichung erst fast drei Jahre später erfolgte, und es wurde erklärt, wenn Martin Bormann wirklich in Südamerika leben würde, dann wäre es Zeit, ihn dort festzunehmen. Ich hielt es damals aus persönlichen Gründen für ratsam, zu schweigen. Nun, da diese Rücksichten weggefallen sind, scheint es mir notwendig, durch eine Veröffentlichung in deutscher Sprache über den Vorgang nähere Mitteilungen zu machen. Das geschieht hiemit. Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß ich mich für die Richtigkeit der nachfolgenden Darstellung verbürge:

Im Februar 1948 war ich für mehrere Wochen Gast meines Freundes Graf Hans Ulrich von Reichenbach auf dessen Gut im Urwald Chiles. Graf Reichenbach war ein hundertprozentiger Antinazi und konnte noch zu Beginn des Krieges Berlin verlassen, da sowohl er wie auch seine Frau die argentinische Staatsangehörigkeit besaßen. Tief im Süden Chiles rodete er mitten im Urwald, etwa drei Wegstunden vom Lago Ranco Sur, einem der herrlichsten Seen Chiles, ein großes Gut („Fundo“). Da er bei der Rodung selbst unermüdlich mit Hand anlegte, holte er sich ein Herzleiden, dem er im vorigen Jahr leider erlag. Gegen Ende meines Aufenthalts entschloß ich mich, von dem Gute meines Freundes zu Fuß nach der Landungsstelle am Lago Ranco Sur, dem kleinen Orte Llifen, zu wandern. Schon vor Antritt meiner Reise nach dem Süden Chiles wurde mir von einer maßgebenden Persönlichkeit gesagt, es sei anzunehmen, daß sich Martin Bormann abwechselnd im Süden Chiles und im Süden Argentiniens beziehungsweise in Patagonien aufhalten würde. Es wurde mir weiter berichtet: dasselbe gelte für eine Reihe von Nationalsozialisten, die etwa Mitte des Jahres 1945 in zwei U-Booten gemeinsam mit Martin Bormann im südlichen Argentinien gelandet seien. Martin Bormann halte sich unter dem Namen Juan Gomez verborgen, und mein Gewährsmann empfahl mir, ich solle auf alle Fälle gut aufpassen. Zu fassen sei Bormann kaum. Denn den Urwald Chiles mit Erfolg zu durchsuchen, sei eine unmögliche Sache. Auch Regimenter von Soldaten würden nicht genügen, um den Urwald abzusperren. Außerdem sei der größte Teil der Gutsbesitzer — man nennt diese riesigen Güter Fundos — nazistisch eingestellt, und daran habe sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch nach dem Krieg nicht das geringste geändert.

Trotz allen Abratens begab ich mich, aus einem gewissen Instinkt heraus, an einem schönen Februarmittag des Jahres 1948 in Begleitung von zwei großen Hunden und mit einem Revolver bewaffnet auf den Weg durch den Urwald. Das Unternehmen war deshalb nicht ganz ungefährlich, weil man immer — im Sommer weniger als im Winter — damit rechnen muß, von hungrigen Pumas (kleine Löwen), die dort sehr zahlreich sind, angegriffen zu werden. Der Weg ist deshalb so interessant, weil man an Siedlungen von Indianern vorbeikommt. Sie haben noch vielfach einen Häuptling, Cazike genannt, der in seinem Orte unbeschränkt regiert. Die Hütte des Caziken befindet sich immer etwas erhöht über den anderen, sehr primitiven Wohnstätten der Indianer. Auf dem Wege sprach mich ein Indianer an und lud mich zu einem Besuche des in der Nähe befindlichen Caziken ein. Diese Indianer, die man hier Araukaner nennt, sprechen, soweit die ältere Generation in Betracht kommt, ihre eigene Sprache, Mapuche, während die jüngere Generation jetzt im großen und ganzen die spanische Sprache beherrscht.

Ein Teil der sogenannten Araukaner wird religiös, soweit sie nicht noch heidnische Gebräuche ausüben, von bayrischen Kapuzinern betreut, die eine eigene Bibel und einen Katechismus in Mapuche herausgebracht haben und auch in dieser Sprache predigen. An der Spitze dieser bayrischen Kapuziner steht seit 1928 als Apostolischer Vikar und Bischof der aus der Rheinpfalz stammende Kapuzinerbischof Guido Beck de Ramberga, der bereits 1913 nach Chile kam.

Bischof Beck de Ramberga hat in den letzten Jahrzehnten mit seinen bayerischen Kapuzinern in der Araukanie eine ungeheure Kulturarbeit geleistet. Als der Bischof sein hohes Amt übernahm, waren in seinem Bezirk nur wenige Schulen mit einigen hundert Kindern vorhanden. Heute ist die Zahl der Schüler auf über 16.000 gestiegen und den Kapuzinern sowie den Weltgeistlichen in diesem Bezirk stehen jetzt noch über 200 Professoren aus dem

Laienstande zur Verfügung. Soweit das Apostolische Vikariat reicht — mit etwa 100.000 Indianern — ist das Heidentum fast völlig in den letzten Jahrzehnten ausgerottet worden, und das ist in erster Linie dem hervorragenden Wirken Bischof Guido Becks de Ramberga und seinen Mitarbeitern aus dem Kapuzinerorden Bayerns mit dem Stammsitz Alt-Otting zu danken. Bis zum Urwald am Lago Ranco reicht aber das Apostolische Vikariat nicht, und es gibt in jenem Bezirk leider nur wenig religiöse Betreuung, und damit ist schon gesagt, daß dort noch viele heidnische Gebräuche herrschen. Ich nahm also auf meinem Weg nach der Landungsstelle am Lago Ranco Sur die schon erwähnte Einladung an und besuchte den Caziken, der von seinen sieben Frauen umgeben war, als er mich empfing. Er selbst sprach gut spanisch, aber von den sieben Frauen war nur eine der spanischen Sprache etwas mächtig. Man kredenzte mir ein alkoholisches Getränk, eine Art selbstgeblauten Likör, der aber entsetzlich bitter war. Mit Todesverachtung nahm ich davon zwei Glas, um den Häuptling der Indianer und seine Frauen nicht zu kränken.

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