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Régis Debray schockt die Lateinamerikaner

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Die Lateinamerikaner haben an einer Nuß zu knacken. Die Nuß ist das jüngste Buch des französischen Intellektuellen Re-gis Debray, „Die Macht und die Träume“ (La puissance et les re-ves. Gallimard. Paris. 1984). Debray war vor allem den linksnationalistischen Lateinamerikanern lieb und wert, seit er die kubanische Revolutionsstrategie mitformulierte und bei „Che“ Guevaras Partisanenkampf in Bolivien 1967 mittat.

Im deutschen Sprachraum wurde Debray über linksintellektuelle Kreise hinaus bekannt mit seinem Roman „Ein Leben für ein Leben“ (1977, deutsch bei claasen, Düsseldorf, 1979), in dem dieser Guerilla-Kampf verarbeitet wird. Wiewohl der Autor als Handlungsgerüst Tatsachen und historische Personen mitverwendet, versteht er es, mit literarischer Meisterschaft (das Buch wurde mit dem „Prix Femina“ ausgezeichnet) sowohl die handelnden Personen als Individuen zu zeichnen als auch ihre unterschiedlichen ideologischen Haltungen durchzudiskutieren.

Mit zwei seiner Hauptfiguren erhellte er das Engagement einzelner Europäer in der damaligen Guerilla ebenso wie mit der dritten Hauptfigur und zahlreichen Nebenfiguren die Motivation der lateinamerikanischen Partisanen, die damals gegen die bolivianische Militärdiktatur kämpften.

Fast zwanzig Jahre nach den bolivianischen Ereignissen ist Regis Debray ein in Paris lebender hochkarätiger Literat, der für Präsident Francois Mitterrand die französische Lateinamerika-Position durchtestet. Wie er das in „Die Macht und die Träume“ macht, schafft auf dem betroffenen Kontinent Ratlosigkeit.

Gerade von einem sozialistischen Frankreich hatte sich das Junge Lateinamerika deutliche Vorstöße erwartet. Deshalb gab es Jubel, als im Sommer 1981 Frankreich gemeinsam mit Mexiko ein Kommunique zugunsten des bewaffneten Volkswiderstandes in El Salvador herausgab. Frankreich würde - stellvertretend für Westeuropa, das später nachzöge — gemeinsam mit dem durch Erdöl aufgewerteten Lateinamerika die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten lokkern. So die optimistische Annahme.

Wie stark dieser Wunsch ist.

zeigt in verschlüsselter Form der Roman „Una Familia Lejana“ des Mexikaners Carlos Fuentes, der 1981 bei der Stuttgarter Verlagsgesellschaft deutsch mit dem Titel „Die Heredias“ erschienen ist.

Doch hat sich seit 1981 die Welt grundlegend verändert. Statt des Aufschwunges in Lateinamerika kam die Uberschuldung, die viele Staaten täglich ums Uberleben kämpfen läßt. Und Frankreich zieht sich zunehmend von riskanten Initiativen in Lateinamerika zurück.

Diese Situation sucht Regis Debray in seinem neuen Buch zu bewältigen. „Die Macht und die Träume“ ist ein Theorietext für die außenpolitische Diskussion. Es geht dem Autor — wiewohl er höchst unorthodox in der Tradition des Konservativen Raymond Aron steht — noch immer um sozialistische Außenpolitik.

Debray zertrümmert liebgewordene Vorstellungen, wonach internationale Schiedsgerichtsbarkeit, kollektive Sicherheit und Abrüstung die heutige Welt heilen können. Statt dessen zieht er sich auf die Position des „nationalen Interesses“ zurück — dafür reklamiert er eine neue „Realpolitik“ (ein Begriff, den Debray im deutschen Original verwendet!) für ein sozialistisches Frankreich.

Mitterrands Berater stellt diese Forderung mit dem Argument auf, daß Frankreich im klassischen Sinn nicht mehr souverän, sondern von zahlreichen Abhängigkeiten in einer transnationalisierten Welt durchlöchert sei. Ziel einer klugen Außenpolitik müsse die Verringerung dieser Abhängigkeiten sein — technologisch, diplomatisch, politisch ebenso wie militärisch (der letzte Punkt hat in Frankreich ja längst eine gaullistische Tradition).

Nun, diese Verringerung der Abhängigkeiten ginge ja d'accord mit den lateinamerikanischen Vorstellungen. Allein — und das macht den Debray-Schock für Lateinamerika aus —, der große Kontinent gibt dabei nicht den richtigen Partner für Frankreich ab.

Deutlicher, mit einem Beispiel: Wieviel würde Mitterrands Frankreich für Nikaragua im Falle einer Konfrontation mit den USA riskieren? In Fortführung der Argumentation von Regis Debray lautet die Antwort: Nicht mehr als für das nationale Interesse Frankreichs zuträglich ist.

Und damit sind wieder einmal die Vorstellungen Lateinamerikas über eine bedingungslose Schützenhilfe aus Europa über den Haufen geworfen.

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