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Dominikanische Tragödie

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Rafael Leonidas Trujillo verfolgte, als’ er 1930 durch einen Militärputsch an die Macht kam, von Anfang bis zu seinem gewaltsamen Ende ein doppeltes Ziel: Festigung seiner Herrschaft und Ausnützung dieser Macht zur Sammlung ungeheurer Reichtümer für sich und seine Angehörigen. Beides ist ihm gelungen. Die Wege, die er zur Befestigung seiner Macht einschlug, waren die aller Diktatoren. In der Brandschatzung des Staats- und Volks Vermögens ging er aber über das nicht kleine Maß gewöhnlicher Revolutionshelden weit hinaus. Meist begnügte sich der Sieger, riesige Summen für sich und schlechte Zeiten außer Landes zu bringen: Trujillo verwandelte seine Insel fast zur Gänze in sein beziehungsweise seiner Familie Privateigentum. Was er nicht wollte oder vergaß, nahm seine nicht kleine Familie für sich in Anspruch. Marina, Trujillos älteste Schwester, kontrolliert die Prostituierten der Insel, die für die bei Strafe vorgeschriebene Gesundheitskarte an ihre Inkassanten einen monatlichen Tribut, abgestuft nach dem „Einkommen”, zahlen müssen. In ähnlicher Weise wurden Unternehmungen „beschützt”, die noch nicht der Machtclique gehören.

Diese wirtschaftliche Situation führte logisch zur Entstehung einer bei Lebzeiten des Diktators ohnmächtigen Opposition folgender Gruppen: Aller ehemals Selbständigen, die durch die erzwungene Preisgabe ihrer Unternehmungen mittellos geworden waren, der Arbeiter, deren soziale Reche wohl durch den „C o d i g o Trujillo d e T r a b a j o” (Arbeitsrecht)

geregelt, die aber praktisch völlig rechtlos waren, der Arbeitslosen, deren Zahl durch die Ausfuhrstockung des Zuckers erheblich vermehrt wurde.

Nach dem gelungenen Anschlag auf das Leben des Diktators beschäftigte sich die Organisation der amerikanischen Staaten (OEA) mit der politischen Situation der Dominikanischen Republik, beschloß, die Sanktionen nicht aufzuheben und eine Kommission an Ort und Stelle zu entsenden. Sie sollte feststellen, wie die von Balaguer, dem Nachfolger aus der Familie Trujillo, versprochene Demokratisierung des Landes wirklich beschaffen sei. Dieser hatte die Rückkehr vieler exilierter Politiker und die Bildung von Parteien zugelassen und für Mai 1962 Wahlen ausgeschrieben.

Am 12. September 1961 kam die

Kommission in der Hauptstadt Ciudad Trujillo an. Sie fand folgende politische Situation vor: Bestimmend ist die ,,Dominikanische Partei”, vom Nachfolger Trujillos geschaffen, der alle angehören müssen, die Arbeit oder Anstellung bei der Regierung oder bei den von den Trujillos abhängigen Unternehmungen (das sind 84 Prozent der Gesamtheit) suchen oder behalten wollen. Ohne „Carnet” (Parteibuch) bleibt man arbeitslos, kann man nicht im Land oder ins Ausland reisen, kein Geschäft eröffnen, keine Immobilien erwerben usw. Ohne Parteibuch ist man als Feind des Vaterlandes verdächtig und wird bei nächster Gelegenheit eingesperrt. Die „Partido Dominicana”, geschaffen von Mischlingen, erinnert an die NSDAP, nur wird an Stelle der Rasse die Ergebenheit gegenüber dem „Herrscherhaus” als entscheidendes Element für ein menschenwürdiges Dasein gesetzt. Alle Arbeitslosen, aber auch die Mehrzahl der schon Beschäftigten, schrieben sich natürlich ein, denn sie wollten nicht verhungern. Balaguer hat nicht gelogen, wenn er sich rühmt; zwei Drittel aller Wähler gehören seiner Partei an.

Es gibt auch frei gebildete Parteien. Sie zerfallen in zwei größere und eine Unzahl kleiner und kleinster Vereinigungen. Die größte ist die gemäßigt nach rechts gerichtete „Partido Revo- lucionaria Dominicana” (PRD), unterstützt vom Präsidenten von Venezuela, Betancourt. Sie allein verfügt über nennenswerte Geldmittel und einen kleinen Beamtenstand. Der radikale linke Flügel besteht aus kleinen Gruppen, Fidelisten und Kommunisten bilden eine kleine Minorität. Alle greifen die Regierung an. Dies kann gegenwärtig nur durch unerlaubte Straßenaufzüge geschehen. Tatsächlich sind solche, nicht selten blutig verlaufende, Demonstrationen in der Hauptstadt Ciudad Trujillo nicht selten. Sie werden mit herannahendem Wahltermin immer häufiger werden.

In Wirklichkeit hat sich seit dem Tod Leonidas Trujillos in der Macht- und Besitzverteilung nichts geändert. Die Parteien können aber immerhin reden und machen hievon fleißig Gebrauch. Denn das Volk ist reif für einen Umsturz und durch Radio und Fernsehen aus dem Ausland, das infolge der geographischen Lage des Landes überall empfangen werden kann, aufgeklärt.

Das Land, das seit 1947 auf dem Papier eine demokratische Verfassung hat, wonach Präsident, Senat und Abgeordnete auf fünf Jahre vom Volk zu wählen sind, hat eine noch so kurze demokratische Ära nie erlebt. Eine durch wirtschaftlichen Druck erreichte Bestätigung des herrschenden Geschlechtes durch die Maiwahlen wird das Regime niemals zu einer Milderung der sozialen Not veranlassen, vielmehr ihre Machtposition noch stärken. Das wissen die Führer der

Opposition. Sie und die vielen Exildominikaner werden im Falle de

Unterliegens im Wahlkampf zu Aufstand und Bürgerkrieg greifen und jeden Bundesgenossen annehmen, wenn die OEA sich wieder als machtlos erweist. Geht aber die Opposition bei den Wahlen als Sieger hervor, so bleibt auch dieser Sieg wertlos, denn die Wahl allein hat die Machtverhältnisse nicht geändert. Wenn jetzt die Kommission das Land verläßt, wird niemand die Trujillos daran hindern können, das Wahlergebnis zu ignorier ren und alles beim alten zu belassen. Beschlüsse eines machtlosen Parlaments — wenn sie überhaupt zustande kommen dürfen — sind wertlos, ohne Folgen.

Die Entwicklung der letzten Tage, die den Ausbruch eines offenen Bürgerkrieges zwischen den Erben Trujillos befürchten läßt, hat die USA gezwungen, mit den klassischen Attributen der Ordnungsmacht, mit Kriegsschiffen und Kanonenbooten, vor der Insel aufzukreuzen. Ob die inneren Probleme damit gelöst werden können?

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