7080499-1993_34_04.jpg
Digital In Arbeit

Umarmung der USA

19451960198020002020

Die Kunst, Distanz zum großen Nachbarn USA zu halten, war für Mexiko immer Außenpolitik. Mit der kommenden Nordamerikanischen Freihandelszone wird aus solcher Außenpolitik Nachbarschaftspolitik, was Mexiko mental Schwierigkeiten bereitet.

19451960198020002020

Die Kunst, Distanz zum großen Nachbarn USA zu halten, war für Mexiko immer Außenpolitik. Mit der kommenden Nordamerikanischen Freihandelszone wird aus solcher Außenpolitik Nachbarschaftspolitik, was Mexiko mental Schwierigkeiten bereitet.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Mexikanische Revolution, 1910/11 begonnen und bis heute Angelpunkt mexikanischer Geschichte, machte aus außenpolitischen Kernsätzen einen Fetisch: Autonomie, Selbstbestimmung, Souveränität und Nichtintervention (deswegen auch Mexikos Protest gegen den Anschluß Österreichs beim Völkerbund 1938) als Schlüsselwörter ergeben einen ideologischen Rahmen, in den ab den sechziger Jahren auch das gesamte Dritte-Welt-Vokabular paßte. Dazu gehörte auch eine scharf gewürzte antiimperialistische Rhetorik, die unübersehbar auf die „Gringos”, die Nordamerikaner, zielte.

Die Regierungsmannschaft von Carlos Salmas de Gortari - ein neuer, in Mexiko City zirkulierender Poster karikiert den Präsidenten als „Carlos Mercenario” (Carlos, der Söldner) -gebraucht in einer ausgenüchterten Version noch immer die traditionelle Rhetorik, doch die Inhalte ändern sich radikal. Da Mexiko den neoliberalen Umbau - makroökonomisch erfolgreich, aber mit hohen Kosten vor allem für die junge Mittelschicht -durchzieht, mit den USA und Kanada die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta auf Englisch, hier als spanische Abkürzung TLC) vorbereitet und der OECD-Gruppe näher rückt, muß es sämtliche Inhalte seiner bisher xenophoben, ultranationalistischen Außenpolitik revidieren. Dies geschieht mit Fingerspitzengefühl unter Beibehaltung des alten Vokabulars, sodaß oberflächlich der Eindruck entsteht, alles sei beim alten geblieben. Tatsächlich jedoch liquidiert Mexiko seine Revolution, rückt zum bevorzugten Partner der USA in der amerikanischen Hemisphäre auf und beginnt, Washingtons Prioritäten zu teilen. In der Praxis gibt es heute statt Antiimperialismus herzliche Umarmungen mit den USA.

Zur Revision der Revolution, die traditionell antiklerikal war, gehört auch der Frieden mit Rom: Im Vorjahr wurden die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan aufgenommen, was es seit 130 Jahren nicht gegeben hat. Deshalb gilt der Heilige Vater heute als gern gesehener Gast in Mexiko, wie vergangene Woche zu sehen war. Dies ist für ein Land bemerkenswert, das in den zwanziger Jahren einen regelrechten Bürgerkrieg gegen katholische Indianerbauern führte.

Damit solche dramatischen Änderungen in der Außenpolitik nicht traumatisch wirken, tritt Außenminister Fernando Solana byzantinisch vieldeutig auf. „Nicht unsere Prinzipien haben sich geändert”, sagte er dieser Tage in der mexikanischen Diplomatenakademie, „sondern lediglich unsere Strategie.”

In Wirklichkeit fegt die Regierung Salmas sämtliche Inhalte des Staatskapitalismus, wie er für die acht Dekaden der Revolution galt, vom Tisch, um die Integration mit dem Norden voranzubringen. Diese Politik hat natürlich ihren Preis, der auch in psychologischer Währung mit neurotischen Entfremdungserscheinungen bezahlt werden muß.

Im Außenministerium wird zudem eifrig an Parallelabkommen gearbeitet, die den Nafta-Vertrag psychologisch ausbalancieren sollen. Die Botschaft dabei: Die Verhandlungen mit den USA und Kanada über die Freihandelszone seien nur ein Element in einer globalen Strategie („globalismo” ist das Schlagwort in den hiesigen TV-Sendungen), mit deren Hilfe Mexiko eine neue Position im Welthandel suche; daher das Freihandelsabkommen mit Chile; daher die Vorbereitungen über Freihandelszonen mit Mittelamerika, mit Kolumbien, mit Venezuela (mit letzteren bildet Mexiko die „Gruppe der Drei”); deshalb die nachhaltige Unterstützung der periodischen ibo-amerikanischen Gipfeltreffen, die man hierorts als eine eigene Schöpfung ansieht.

Damit will man in Mexiko-City dem anderen Lateinamerika signalisieren, es werde keinen „Verrat” an den gemeinsamen „bolivianischen Traditionen” (zurückgehend auf Simon Boli-var) geben. Alle byzantinische Verschleierung kann jedoch nicht verdecken, daß im heutigen Mexiko mit der Umarmung der USA etwas Neues anbricht, das den Aztekenstaat radikal verändern wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung