Argentiniens Hillary

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Nach der schweren Krise vor fünf Jahren gelang es Präsident Néstor Kirchner, das südamerikanische Land wieder auf Vordermann zu bringen. Nun stehen wieder Wahlen an, doch statt Kirchner selbst stieg seine Frau ins Rennen, mit guten Aussichten.

Die Politik, die Institutionen und die Regierung müssen mit dem Volk wieder versöhnt werden," hatte Néstor Kirchner am 25. Mai vor vier Jahren den Bürgern versprochen. Der Mann aus Feuerland trat an diesem Tag sein Amt als argentinischer Präsident an - und ein schweres Erbe. Ihm könnte nun nach den nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober dieses Jahres seine Frau, Cristina Fernández, in die Casa Rosada, den Regierungssitz, folgen. Von der Ära Kirchner ist in Argentinien die Rede. Von der Dynastie, wenn der Kommentar bissig sein soll.

Néstor Kirchner war der erste nach der argentinischen Krise vom Dezember 2001 gewählte Präsident. Seine Antrittsrede war die Antwort auf den Slogan "Sollen sie doch alle gehen!", mit dem die Bevölkerung die Politiker damals zum Teufel wünschte. "Erlösen können wir uns nur selbst", sagte damals auch der Journalist Miguel Bonasso.

Sein Satz setzte einen Punkt, ihm folgten keine weiteren Worte. Nur der Versuch, die Hoffnung nicht aufzugeben. Buenos Aires war plötzlich kaum wieder zu erkennen. Die Stadt, berühmt für ihr Leben rund um die Uhr, wirkte wie gelähmt. Die Angst ging um, niemand wusste wirklich, wie es weitergehen soll oder ob es nicht noch schlimmer kommen würde.

Totaler Zusammenbruch

Ein Rückblick auf Argentiniens kompletten Zusammenbruch, wirtschaftlich, politisch, sozial. Im tausendfachen Lärm wütend geschlagener Topfdeckel wachte das Land im Dezember 2001 aus dem Traum auf, in der "Ersten Welt" angekommen zu sein. Wie die Fenster der geplünderten Supermärkte zersplitterten alle Gewissheiten, die das Land bis dahin ausmachten. Was folgte, war der freie Fall, scheinbar ohne Weg zurück. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung rutschte an die Armutsgrenze. Kinder starben an Hunger im Land des Rindfleischs und der Agrikultur. Die offizielle Arbeitslosigkeit stieg auf über 25 Prozent, die Dunkelziffer lag weit höher. "Selbst unsere Würde haben sie uns gestohlen", sagte damals ein Taxifahrer Alejandro Carrizo resigniert.

Fünf Jahre später: In Buenos Aires pulsiert das Leben. Cafes und Restaurants sind voll besetzt, Frauen schlendern mit mehreren Plastiktaschen Einkaufspassagen entlang. Männer in Anzügen sprechen hektisch in Handys. Alle paar Meter wird ein Taxi angehalten. Touristen outen sich mit ihren Kameras um den Hals. Die Zeichen finden sich noch, die damals für Armut und Verzweiflung standen: Menschen, die den Müll durchwühlen, obdachlose Kinder, protestierende Arbeitslose. Doch prägen sie nicht mehr das Stadtbild. "Argentinien hat sich, zumindest oberflächlich, wieder gefangen. Das Leben funktioniert und die Zeitungen vermelden neun Prozent jährliches Wirtschaftswachstum, das Sinken der Arbeitslosenquote auf elf Prozent, nur noch ein Drittel der Bevölkerung gilt als arm. Doch der Überlebenskampf ist nicht vorbei, sondern nur hinter die Wohnungstüren zurückgekehrt. Trotz allem wird dadurch das Gefühl vermittelt, die Krise wäre Geschichte", erklärt die Politologin Cecilia Lucca.

Ob in besetzten Betrieben, in Arbeitslosenorganisationen oder Stadtteilversammlungen - die Argentinier suchten nach Lösungen und fanden sie größtenteils. Ihre Kreativität war dabei der einzige Ausweg; und ein Präsident, den zunächst niemand kannte und der mit nur 22 Prozent der Stimmen die Wahl gewann. Er galt als kleineres Übel, weil sein Stichwahlgegner zurücktrat.

"Das Land krankt an Korruption und sozialer Misere. Die Kur dagegen muss drastisch sein und das erfordert Mut", schätzte der Journalist Miguel Bonasso damals die Situation ein. Néstor Kirchner antwortete, versprach Rückgewinnung und Wiederaufbau und zeigte sich überraschend volksnah. Der Peronist brach mit der Tradition der Selbstbeweihräucherung und ging Themen an, die ihm die Zustimmung von über 80 Prozent der Bevölkerung brachte. Höhepunkte waren dabei die rigorose Ächtung der Verbrechen der Diktatur (1976-1980) und der Kampf gegen die Korruption, der zu Absetzungen in Polizei und Oberstem Gerichtshof und zu Prozessen führte. "Néstor schmeißt die Mafia raus", feierte ein Graffiti diese unerwartete Konsequenz.

Markenzeichen: Konsequenz

Konsequenz ist Kirchners Markenzeichen. Konsequent war die unnachgiebige Haltung seiner Regierung bei der Schuldenfrage. Argentinien hatte die Zahlungsunfähigkeit erklärt, und Kirchner stellte die soziale Schuld an der Bevölkerung zunächst über das Rückzahlen an IWF, Weltbank und private Gläubiger.

Doch dann zahlte er ebenso konsequent nach stetigen Überschüssen im Staatshaushalt, wachsendem Bruttoinlandprodukt und hohen Exportsteuereinnahmen die Schulden beim IWF 2005 vollständig zurück. "Kirchner hat Glück und Soja", wird gesagt, denn das hohe Wirtschaftswachstum und die sinkenden Arbeitslosenzahlen resultieren in erster Linie aus der Landwirtschaft - und aus konsequenten Investitionen in öffentliche Bauten. Konsequent ist aber auch Kirchners Regierungsstil per Sonderrechten und Dekreten, von denen er schon über 200-mal Gebrauch machte. Für die einen häuft er damit Macht an, für die anderen ist er jedoch der Mann, der endlich durchgreift.

Schichtwechsel im Aluminiumwerk IMPA. Ein Trupp kommt in Arbeitskleidung, der andere geht. Alltag und doch nichts Alltägliches. Die IMPA wird von den Arbeitern selbst verwaltet. Ein "Überbleibsel" aus der Krise, als Selbstorganisation lebensnotwendig war und Tauschmärkte und Nachbarschaftsversammlungen entstanden, Arbeitslose sich organisierten. Doch je mehr das Leben wieder in gewohnte Bahnen glitt, um so stärker verloren sich Engagement und Solidarität. Sie werden mit leichter Wehmut in Erinnerung behalten. "Die Hoffnung auf Veränderung unserer Gesellschaft von unten her ist nicht aufgegangen. Spaltungen und Machtwahn haben leider auch diese Alternativen untergraben. Aber die Erinnerung an andere Möglichkeiten hat sich festgesetzt, wie ein winziges Saatkorn", so Cecilia Lucca. Und die Saat trägt Früchte, wenn auch jenseits des öffentlichen Interesses. Gut 150 Betriebe sind in die Hände der Arbeiter übergegangen und die Arbeitslosenbewegung wurde zum, wenn auch sehr umstrittenen, Machtfaktor. Ein Teil verbündete sich nämlich mit Präsident Kirchner zu seinem "Heer der Arbeitslosen".

Die Selbstorganisation der Argentinier, die als gesellschaftliches Phänomen begann, blühte im Privaten voll auf. Sie prägt heute das lebendige Stadtbild von Buenos Aires. "Meine Ersparnisse waren nach der Krise in der Bank eingefroren. Ich durfte sie nur in Sachgütern anlegen. Statt das Geld gar nicht zu haben, sollte es für mich arbeiten. Also kaufte ich Möbel und machte dieses Cafe auf", sagt Catalina Woyczinski in ihrer Bar im Stadtteil Palermo. Gleich nebenan findet sich ein Modeladen, ein Restaurant, ein Schmuckkästchen - die Straße ist voll mit kleinen Geschäften. Die fast untergegangene Mittelschicht sah hier ihre Lösung und kurbelte nebenbei Wirtschaft und Tourismus mit an. Die Krise brachte die Geldabwertung, die Geldabwertung machte Importe zu teuer, der interne Markt musste gesättigt werden, kleine Unternehmen und besetzte Betriebe setzten hier an. Die Geldabwertung machte Argentinien für Touristen finanziell attraktiv, eine ganze Branche entwickelt sich neu. Und der Staat hilft mit Minikrediten, eigene Projekte der Bürger auf die Beine zu stellen.

Nun wird am 28. Oktober in Argentinien wieder ein Präsident gewählt. Kein "Krisenpräsident", denn die Wahl findet in verhältnismäßig stabilen, wenn auch sich neu ordnenden politischen Verhältnissen statt. Eigentlich liefen Kirchners vier Jahre Amtszeit im Mai aus. Doch die Krise vor fünf Jahren brachte ihm das Argument für Wahlen erst im Oktober: Kirchner hatte das Mandat des geflohenen Präsidenten Fernando de la Rœa weitergeführt. Dessen Amtszeit wäre im Dezember 2003 ausgelaufen, weshalb Kirchners offizielle Amtszeit, so die Erklärung, nicht im Mai, sondern im Dezember 2003 begann.

Heiße Wahlkampf-Phase

Nun begann auch Ehefrau Cristina ihren Wahlkampf. Ihr werden von Umfrageinstituten gute Chancen eingeräumt, schon in der ersten Runde zu gewinnen. Ihr Image ist sauber geblieben, obwohl der Rückhalt zum so genannten Kirchnerismus schwand und die Peronisten um den Präsidenten bei den letzten Bürgermeisterwahlen in Buenos Aires eine empfindliche Niederlage einstecken mussten. Cristina Fernández jedoch gilt als integer. Warum sie antritt und nicht der Präsident selbst, bleibt im Bereich der Mutmaßungen. Strategen glauben, dass das Ehepaar gemeinsam so eine lange Regierungszeit anstrebt - vier Jahre Néstor, vier oder bei Wiederwahl acht Jahre Cristina und dann noch eine erneute Kandidatur des heutigen Präsidenten. Doch das sind Spekulationen. In Argentinien ist kaum etwas vorherzusagen.

Mit der Möglichkeit, dass das Land fünf Jahre nach der Krise wieder oben auf ist und sich ein Niemand als Präsident bewährt, hatte schließlich auch keiner gerechnet.

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