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Madrid—Rio: tour-retour

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Niedergeschlagen sitzt Argentiniens Exdiktator, General Juan Domingo Peron (69), am Strand des spanischen Badeorts Torremolinos bei Malaga. Sein Versuch, die Macht in der Corned-beef-Republik wiederzuerobern, die er 1955 durch einen Offiziersputsch verlor, verlief in Spaniens Küstensand. In Rio de Janeiro, wo sein Flugzeug die. erste Zwischenlandung machte, wurde er ohne viel Federlesens festgenommen und nach Spanien zurückspediert. Aber glaubte er, der weit über vier Jahre ein komfortables Emigrantendasein in Madrid führte, überhaupt je. an das Gelingen seiner „Operation Rückkehr", waren seine Beteuerungen: „Vor Jahresende bin ich als Friedensstifter in Argentinien!" nicht bloße Spiegelfechterei? Seine zahlreichen Gegner behaupten es lauthals, und selbst einige der Peronismus-Häuptlinge, die laufend zu ihrer „obersten Autorität“ nach Madrid gepilgert kamen, wurden unsicher.

Proletarier Argentiniens, vereinigt euch!

Aber die Peronisten in Argentinien, angeblich drei Millionen, in starken Gewerkschaften organisierte Arbeiter, doch auch Teile des Mittelstandes, natürlich noch Abenteurer und Spekulanten, waren fest von Perons plötzlichem Auftaučhen überzeugt. „1964“ steht jetzt noch auf vielen Hausmauern in Buenos Aires und war Monate hindurch Schlachtruf der fast täglich demonstrierenden Massen gegenüber dem Regime des Präsidenten Illia und des oberkommandierenden Generals Ongania. Spannung, Verwirrung und Unruhe im zweitgrößten Land Südamerikas waren und sind noch unerträglich und äußern sich in ständigen Zusammenstößen zwischen Peronisten und Polizei, zwischen Peron-Anhängern und Peron-Fein- den, den „Gorillas“. Das von einer Wirtschaftskrise gepackte Land mit über einer Million Arbeitslosen, Inflation und Exportrückgang wird seit langem von politischen Fieberschauern geschüttelt. Hätte Peron als Retter auftreten können? Bis vor wenigen Wochen noch versicherten es er und die Seinen, und die Arbeiter in Argentinien glauben es noch heute. Denn, wie immer man zum Peronismus steht, eine Tatsache ist unbestreitbar: durch ihn kam, nach hundertjähriger Herrschaft der aristokratischen „Hacienderos“ (Großgrundbesitzer) und dreißigjähriger des Mittelstandes, die Industrie- und Landarbeiterschaft zu Mitbestimmung im Staat. Mit welchen Mitteln und Erfolgen, das steht auf einem anderen Blatt.

Vom Kabarett ins Präsidentenpalais

Der aus bürgerlichen Kreisen kommende Oberst Peron ist freilich nicht zum radikalen Arbeiterführer vorausbestimmt. Wohl nimmt er

1943 an einem „Aufstand der Obersten“ teil, der die konservative Regierung stürzt, doch von da zum Gründer des „Justicialismo“ (Gerechtigkeitsbewegung) ist ein weiter Weg. Er geht ihn, geleitet von seiner bildhübschen und blitzgescheiten zweiten Frau Evita Duarte. Er hatte sie, die Tingeltangelartistin, bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt, sie als Freundin im Poker gewonnen — aber zwei Jahre später ist sie seine Gattin und erste Dame des Landes, noch mehr: die Diktatorin des redegewaltigen, aber charakterschwachen Diktators. Und Evita, von völlig obskurer Abstammung, die ihren Vater nie gekannt hat, drängt ihren Juan auf die Bahn des Proletarierpolitikers, des hemmungslos demagogischen Rhetors, des Abgotts der „Descamisados“ (Hemdlosen). Sie brüskiert die Da men der Gesellschaft, läßt sie, wenn sie bei ihr vorsprechen, stundenlang warten und empfängt ostentativ vor ihnen die Delegationen der Putzfrauen und Bäuerinnen. Sie verletzt Diplomaten, so Francos Botschafter, sie richtet Ansprachen an ihre „jüdischen Brüder“, die ihr freilich zuvor einen gespickten Scheck für ihre ewig leeren Wohltätigkeitsfonds geschickt haben, und schert sich dabei den Teufel darum, daß die Faschisten um ihren Mann, nicht viele, aber einflußreiche, den Judenmörder Eichmann ins Land ließen.

Zugleich macht Peron „Sozialpolitik“ durch unproduktive Arbeitsbeschaffung, behebt die Arbeitslosigkeit, indem er zum Beispiel an eine Bahnschranke, die bislang zwei Mann bedienten, vier stellt. Die Gewerkschaften danken ihm jubelnd, aber das Staatssäckel, das er 1945 prall übernommen hat, ist nach wenigen Jahren schlaff und leer. Die Korruption tut das übrige.

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