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Die „Revolution vereitelt“
Die „Ideologen“ der „argentinischen Revolution“, zu denen überraschenderweise der Expräsident Dr. Frondizi gestoßen ist, erklären in der Zeitschrift „Confirmado“, daß die „Interessenten“ an der Ausfuhr argentinischer Rohprodukte, einige führende Trusts, und der Einfuhr nordamerikanischer Industriewaren, eine Fülle von Importeuren, die „Revolution vereitelten“. „Nur Argentinien“, schreibt Dr. Frondizi unter dem Pseudonym Dorrego, „bewegt über mehr als zwei Milliarden Dollar im Jahr in dem Außenhandel. Jeder an diesem Geschäft beteiligte Leser wird wissen, in welchem Grade er sich geschädigt sieht, wenn Argentinien sein eigenes Petroleum und Eisenerz produziert und Maschinen fabriziert, statt sie zu importieren ... und wird alles, was in seinen Kräften steht, tun, um diese Möglichkeit hinauszuziehen.“ Aber um die Ziele der Revolution zu boykottieren, müßte man sie erst einmal kennen. Die AID und Wallst: aet sollen und wollen angeblich auch Darlehen geben, um den bisherigen Wirtschaftsplan, der nur gesteigert werden könnte, zu finanzieren. Das beweist, daß sie ihn nicht bekämpfen,
wie die Nationalisten unterstellen. Im übrigen haben nicht die Generäle die Industrialisierung Argentiniens erfunden. Das Werben um die Wallstreet und die geplante Reprivatisierung einiger Staatsgesellschaften bedeutet eine Rückwendung der Wirtschaftspolitik, aber gewiß nicht die „Umbildung der Gesellschaft“, von der Ongania in wohlklingenden Gemeinplätzen redet.
Der Präsident ist gewiß kein „Berufsdiktator“. Vor etwa zwei Jahren war er Chefkommandant Illias, dem er an die Macht geholfen hatte, und sagte in Westpoint bei einer USA-Reise, die argentinischen Offiziere würden Hochverrat begehen, wenn sie die frei gewählte Regierung stürzten, gleichgültig welche Irrtümer sie beginge. Er hat seinen Standpunkt über die „repräsentative Demokratie“ gewechselt. Bei vielen wichtigen Problemen anderer Art fragt man sich oft, ob er einen hat. Generalleutnant Ongania gilt als ein sehr anständiger Kavallerieoffizier. Aber ihm fehlt wohl die politische und wirtschaftliche Erfahrung, die ein Diktator in Argentinien braucht.
Der „Politiker Nummer eins“
Vier Wochen nach der Revolution veröffentlichte die Wochenschrift „Cerreo de la Tardė“ eine glaubhafte „Volksbefragung“. 34,5 Prozent erklärten Ongania, 23,2 Prozent Perön für den „Politiker Nummer eins des Landes“. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob die „Hoffnungsvollen“ weniger an den „ Gemeinschaftsgedanken“ Onganias, als an ihre Gruppeninteressen dachten. Da der Präsident jede klare Stellungnahme vermissen läßt, glauben alle, daß er die ihren wahren wird.
Die einzige ernste Krise, die an den Universitäten, scheint freilich — auf kurze Sicht — überwunden. Es gibt noch Streiks und Proteste, aber die Hochschulen werden wieder geöffnet. Nur fragt es sich, wieviele Professoren an sie zurückkehren. Die mögliche Abwanderung gerade der führenden „Technologen“ nach den USA muß den „Aufstieg Argentiniens“ zu dem proklamierten „modernen Staat“ gerade verhindern. So wirkt sich die scheinbar erfolgreiche „Intervention“ der Regierung gegen die „Autonomie“ der Universitäten wahrscheinlich als ein Bumerang aus.
Die ersten Arbeitskonflikte dürften im Keim erstickt werden. Die Gewerkschaften sind als „politische Kräfte" lahmgelegt. Als „Berufsorganisation“ gibt- ihnen Ongania sogar mehr Einheit, als sich lllia, der von ihnen politisch bekämpft wurde, leisten konnte. Das „obligatorische Schiedsgerichtsverfahren“ ist eingeführt worden und gibt der Regierung die Möglichkeit, nicht nur Fabriksbesetzungen, sondern auch Streiks als „illegal“ zu unterdrücken.
Defizit der Staatskasse gegen notwendige Investitionen
Aber die Wirtschaftskrise ist ernst. Die Unternehmer verlangen mehr Kredite und mehr Staatsaufträge. Die Regierung müßte den Geldmittelumlauf verdoppeln, wenn sie auch nur die von ihrem Vorgänger erteilten ausführte. Bis zum 1. Juli waren schon 92 Prozent der Beträge ausgegeben, die i m ganzen Jahr ein- gehen sollen. Die Staatskasse hat ein Defizit von 300 Milliarden Pesos (rund 5 Milliarden DM). Während die Regierung die öffentlichen Aufträge annulliert, verlangt sie gleichzeitig von der Privatindustrie, daß sie die Wirtschaft ankurbelt. Die „unklare, wechselnde oder irrige Wirtschaftspolitik“, von der die Zeitschrift „Analisis“ schreibt, paßt zu dem Gesamtbild eines Regimes, das die alten Ziele und Methoden verwirft, ohne neue gefunden zu haben.
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