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Tausend Tage Alfonsin

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Nach tausend Regierungstagen und sieben Generalstreiks steht Argentiniens.Präsident Raul Alfonsin von der Radikalen Partei (Union Civica Radical) in der Mitte seiner sechsjährigen Amtszeit. Intellektuell und kulturell hat die erste Phase dieser .jungen Demokratie“ dem Land gut getan.

Nach dem selbstmörderischen Chaos der Peronisten und der repressiven Hand der Militärs vibriert Buenos Aires, diese „europäischeste“ aller lateinamerikanischen Metropolen, wieder vor künstlerischer Kreativität. Oper, Theater, Ballett, erstklassige Folklore-Veranstaltungen und Kunstausstellungen haben die verlorenen Jahre rasch aufgeholt.

Buenos Aires will jedoch nicht allein von Kultur leben, sondern beharrt bis zum letzten Arbeiter auf dem „bife“—dem daumendik-ken Steak —, zu dem man Rotwein trinkt. Doch gerade hier gibt es Probleme; und in diesem Bereich sieht es für Präsident Alfonsin weniger erfolgreich aus. Wirtschaftlich hätte seine Erbschaft nicht beklemmender sein können: 50 Milliarden Dollar Außenschuld, ein verlorener Krieg,

überalterte Infrastrukturen, ausgetrocknete Auslandsinvestitionen, Industrien ohne internatio— nale Wettbewerbsfähigkeit und vor allem eine dreistellige Inflation (mit 50 bis 70 Prozent Geldentwertung pro Monat). '

Raul Alfonsin versuchte in diesem Bereich wirklich über den Schatten seiner (sozialdemokratieähnlichen) Radikalen Partei zu springen. Indem er in den Ministerien schrittweise die „Histöri-cos“, die alten Parteihonoratioren, durch fähige Technokraten ersetzte (Schlüsselperson in dieser Gruppe ist Wirtschaftsminister Juan V. Sourrouille), legte er den Grundstein für ein bemerkenswertes Sanierungsprogramm, den „Plan Austral“.

Die erste Phase muß als gelungen angesehen werden, denn während die Inflation austrocknete, zog die Industrieproduktion sektoral kräftig an. Heute — gut ein Jahr nach dem Start des „Plan Austral“ — gibt es jedoch heftige Diskussionen und Zweifel, denn die Inflation schnellte letzthin wieder hoch. (Im August 9 Prozent, im September 7,2 Prozent.)

Darob verzweifeln vor allem die peronistischen Gewerkschaften, deren Mitglieder in den vergangenen 15 Monaten reale Lohneinbußen zwischen 20 und 25 Prozent hinnehmen mußten und jetzt, ohne „bife“ und ohne Rotwein, eigentlich nicht mehr gewillt sind, weitere Opfer ohne sichtbare und sofortige Gewinne hinzunehmen.

Präsident Alfonsin weiß um die Dringlichkeiten, kann aber infolge des versteinerten Staatsapparates wenig Wirksames tun.

Drei große Ziele liegen in seinem Visier: die Verfassungsreform (die Argentiniens Verwaltungsstruktur modernisieren, en passant Alfonsin aber auch die Wiederwahl 1989 ermöglichen soll); zweitens der Plan der Verlegung der Hauptstadt hinunter nach Patagonien, um diese reiche, aber ungenützte Provinz zu erschließen; und drittens, als Geniestreich dieses Oktobers, die „con-versiön democrätica“, ein Aufruf zur politischen Zusammenarbeit, zur großen Koalition, zu einer Art argentinischen Sozialpartnerschaft.

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