Revolution mit Licht und viel Schatten

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Armutsbekämpfung ist ein Erfolg von Hugo Chávez "Bolivarischer Revolution" - mit Hugo Chávez - mit seinen antikapitalistischen Tiraden avancierte der vor einem Monat triumphal wiedergewählte Präsident von Venezuela weltweit zur Kultfigur. Durch ein breit gefächertes Sozialprogramm weitete er den staatlichen Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung seines Landes erheblich aus. Der Kapitalismus scheint in Venezuela fürs erste gezähmt und Chávez wird vielerorts als Vorreiter für den "Sozialismus des 21. Jahrhundert" gefeiert - doch wie verträgt sich die Bolivarische Revolution mit der Demokratie und deren Institutionen?

Die Ausgangslage sei keine einfache, meint der Vertreter der Friedrich Ebert Stiftung in Venezuela, Kurt-Peter Schütt. Die Machtübernahme der Chavisten 1999 habe die Gesellschaft stark polarisiert. Der Commandante handelte damals mit eiserner Hand, tauschte schrittweise die traditionelle, aus der liberalen Ära der Vierten Republik stammende Elite gegen eigene Sympathisanten, meist Militärs aus. Die Versuche der Opposition, durch einen Putsch und zivilen Aufstand die alte Ordnung wieder herzustellen, scheiterten kläglich. Die Chavisten ging gestärkt aus den Kämpfen hervor, nun bestätigten auch die letzten demokratischen Wahlen ihre Übermacht.

"Misiones" gegen Armut

Seit acht Jahren regiert im Andenstaat die Bolivarische Revolution, benannt nach dem Freiheitskämpfer Simon Bolívar, der sich für einen gesamtsüdamerikanischen Staatenbund stark machte. Doch noch immer tun sich die Analysten schwer, die Revolution zu definieren. Chávez habe nie genau konkretisiert, was er unter ihr verstehe, so Schütt. In den letzten Jahren wurde ein aktives Sozialprogramm entwickelt. Der Präsident transferierte die Devisen aus der Erdölindustrie in die so genannten "Misiones", die den Unterschichten zugute kommen sollen. Für fast jeden gesellschaftlichen Bereich gibt es eine "Mision", für die Bildung, die Gesundheit, die Umwelt und sogar für den Urlaub. Des weiteren strebt der Heißsporn nach einer Bolivarisierung des gesamten Subkontinents. Er verteilt Gelder an Sympathisanten wie Evo Morales in Bolivien oder Manuel Ortega in Nicaragua und zielt auf die Schaffung eines einheitlichen südamerikanischen Blocks, der, auch militärisch geeint, ein Gegengewicht zu den USA darstellen sollte.

Die "Misiones" verfehlten nicht ihre Wirkung, die Armut nahm in den letzten Jahren merklich ab. Doch wirtschaftlich steht das Land vor ideologischen und strukturellen Problemen. Ideologisch darum, weil Chávez zwar vehement gegen den Kapitalismus wettert, doch seine "Misiones" zum größten Teil von den kapitalistischen Staaten abhängig sind, die fleißig das venezolanische Erdöl konsumieren. Ohne sie würden die Füllhörner leer bleiben.

Das Land hängt am Ölhahn

"Alles ist auf das schwarze Gold ausgerichtet, von einer Diversifizierung der Wirtschaft kann keine Rede sein", resümiert Schütt. "Die Ansätze für eigene Entwicklungen durch die Förderung von Kooperativen in der Landwirtschaft und der Kleinindustrie sind bislang nicht erfolgreich." Die Importe aller möglichen Konsumgüter erreichen Rekordhöhen und die Aufwertung der Landeswährung verschlechterte die ohnehin geringe Wettbewerbsfähigkeit der venezolanischen Wirtschaft, so Schütt. Zudem ist Chávez durch die Entlassung regimekritischer Fachkräfte in der staatlichen Erdölraffinerie auch das Know-How abhanden gekommen. Seit der politischen Säuberung schrumpfte deshalb die Fördermenge um fast ein Drittel. Venezuela muss derzeit in Russland Öl einkaufen, um die laufenden Lieferverträge einhalten zu können.

Äußerst strittig sind aber vor allem die Auffassungen des Linkspopulisten über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Für die Opposition habe die Bolivarische Revolution wenig mit Demokratie zu tun. Chávez agiere quasi als Halbdiktator, der die kleinsten Angelegenheiten in der Öffentlichkeit kontrolliere. Kurt-Peter Schütt bläst in dasselbe Horn: "Die Demokratie wurde in den letzten Jahren eindeutig geschwächt." Problematisch sei insbesondere eine von den Regierungsinstanzen angefertigte elektronische Liste, in der die politischen Präferenzen der wahlberechtigten Venezolaner aufgelistet sind. Gehört man zum falschen politischen Lager, muss man sich für einen öffentlichen Job erst gar nicht bewerben. Eingeschränkt fühlen sich auch die Medien. Journalisten sprechen von einem "Knebelgesetz", das recht genau regelt, was nicht gesagt werden darf. Chávez drohte schon des öfteren, unliebsamen oppositionellen Fernsehsendern ihre Lizenz zu entziehen. Ein wenig ähnelt die Situation der in Russland: Im letzten Jahr wurden drei oppositionelle Journalisten ermordet.

Präsident sticht Richter

Seit dem Amtsantritt des Caudillo nahm die Kriminalität überdurchschnittlich zu. Die Mordrate stieg um 67 Prozent, Caracas ist zu einer der gefährlichsten Städte weltweit geworden. Die Politik versäumt es, so Schütt, die verschiedenen Polizeikörper, deren Mitglieder häufig selbst in Verbrechen verwickelt sind, sowie das Justizsystems zu reformieren. Die Folge: Kapitalverbrechen und Menschenrechtsverletzungen werden nicht geahndet und die Justiz verkümmert unter der Instrumentalisierung durch die Regierung. Chávez hat neulich ein Gesetz erlassen, das als Kriterium für die Rechtsprechung eine "sozialistische Moral" vorschreibt. Und angefangen beim Richterstand - wer nicht im Sinne dieser Präsidenten-Moral entscheidet, wird fristlos entlassen.

Der Autor ist freier Journalist.

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