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Erwin Kräutler, Bischof im brasilianischen Xingu, gilt als Anwalt der Indios. Die Verfassungsreform ruft bei dem gebürtigen Österreicher keinen Jubel hervor.

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Erwin Kräutler, Bischof im brasilianischen Xingu, gilt als Anwalt der Indios. Die Verfassungsreform ruft bei dem gebürtigen Österreicher keinen Jubel hervor.

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FURCHE: Ist Brasilien nur auf dem Papier eine Demokratie? ERWIN KRÄUTLER: Brasilien ist im Umbruch, aber noch lange nicht am Ziel. Der Demokratisierungsprozeß hat begonnen, es gibt untrügliche Zeichen wie die letzten Kommunalwahlen, das Wort Demokratie ist aber noch immer mit Anführungszeichen zu schreiben.

FURCHE: Was fehlt zur Verwirklichung der Demokratie?

KRÄUTLER: Mehr als nur eine Präsidentschaftswahl. Es muß zu einem tiefgreifenden Umdenken kommen. Politisch, wirtschaftlich und vor allem im Bereich des Militärs. Eine Demokratie, die vor dem Hintergrund von vier Militärministern funktionieren muß, ist zweideutig. Präsident Jose Sarney wird nämlich bei jeder öffentlichen Veranstaltung von ihnen begleitet. Ich frage mich überhaupt, wieweit der Präsident freie Hand hat. Sarney ist ja unfähig. Nachdem er einmal die Inflationsrate durch währungspolitische Maßnahmen gleich Null gesetzt hatte, war er der bislang populärste Präsident Brasiliens. Heute ist seine Beliebtheit auf dem Nullpunkt. Kein Wunder: Seine Aktion funktionierte nicht, die Wirtschaft ist grausam zusammengebrochen.

FURCHE: Wie lange wird wohl der Umwandlungsprozeß zur Demokratie noch dauern?

KRÄUTLER: Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Die Prinzipien der Verfassung müssen ihren Weg in die Herzen der Leute finden. Das ist sicher ein langwieriger Prozeß. Viele Brasilianer glauben, vom guten Willen der Politiker abhängig zu sein. Andere meinen, nichts unternehmen zu können. Es besteht schon eine gewisse Verdrossenheit. Die Leute müssen erkennen, daß sie selbst etwas ändern können.

FURCHE: Ohne die seit langem geforderte Agrarreform wird die Demokratie nie funktionieren.

KRÄUTLER: Das ist richtig. Sie ist die wirtschaftspolitische Grundlage einer notwendigen gesellschaftspolitischen Veränderung. Leider wurde sie kaum in die Verfassung integriert. Die Agrarreform beruht ja auf einer gerechten Umverteilung des Bodens, es muß aber auch die notwendige Infrastruktur geschaffen werden: Schulen, medizinische Betreuung und Transportmöglichkeiten sind unabdingbar.

FURCHE. Warum kommt es zu keiner gerechten Landverteilung?

KRÄUTLER: Brasilien - da sind wir Weltmeister — ist hochverschuldet. Daher forciert das Land Großunternehmen — die meisten multinationale Konzerne —, die exportorientiert Geld bringen sollen. Man sagt nämlich, die Erträge der Kleinbauern seien unrentabel. Für wen sollen sie sich rentieren? Der Bauer kann davon leben.

Brasilien exportiert also alles und jedes und vergißt dabei auf das eigene Volk. Ohne Anbaumöglichkeiten ziehen viele Farmer in den Norden und roden den

Amazonasurwald kleinflächig, um so Weideland zu gewinnen und das Rind schließlich zu verkaufen. Auch Millionen Goldsucher versuchen ihr Glück und hinterlassen eine Mondlandschaft. Wenn sie schon keine Reichtümer finden, bekommen sie wenigstens Malaria. Grausame Zustände herrschen hier.

FURCHE: Sind die Kleinbauern die alleinigen Verursacher der Urwaldrodungen ?

KRÄUTLER: „Nein. Das sind vor allem die Großunternehmer. Sie roden den Wald ohne Rücksicht auf Verluste. Darunter leidet nicht nur der Indio, sondern die gesamte Schöpfung. Die neue Verfassung, in der ja das Recht der Indianer auf Land verankert wurde, hat bislang nichts geändert. Obwohl wir mit ihr schon einen Sieg errungen haben. Ich kann einen Appell an die Menschen richten, an der Natur keine Verbrechen zu begehen und Gottes Werk nicht zu zerstören. Mit der Berufung auf die Verfassung kann man aber mehr ausrichten.

Das ist gewiß ein Hoffnungsschimmer. Auch die Tatsache macht hoffen, daß die Indianer nun mehr Mut gefaßt haben. Es geht ja auch um Leben oder Tod. Almosen kann ich erbitten, das Recht auf Leben fordere ich.

FURCHE: Wer steckt hinter all den Großprojekten, die die Natur zerstören und den Indianern ihren Lebensraum nehmen?

KRÄUTLER: Militär und Wirtschaft. Sie wollen das Land erschließen. Sie betreiben aber Raubbau. Deshalb sind praktisch alle Städte am Meer. Man will ja rausholen, was da ist, und kommt nicht, um zu bleiben.

Die Strafe folgt aber auf dem Fuß. Klimatische Störungen aufgrund der Rodungen sind bereits spürbar. Der Wechsel zwischen den Regen- und Trockenzeiten erfolgt nur noch unregelmäßig. Jetzt plötzlich, fünf Minuten vor zwölf, erkennt man in aller Welt die Gefahr einer Klimakatastrophe. In Nordamerika und Europa ist dieses Bewußtsein besonders stark. Doch sollten diese Staaten darüber nachdenken, inwiefern sie selbst durch Konzerne an der prekären Umweltsituation

Schuld haben.

Das Gespräch führte Peter Illetschko.

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