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JANIO QUADROS / KONSERVATIVER OHNE KONVENTION

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Der am 3. Oktober des Vorjahres von einer sechs Millionen umfassenden Mehrheit der Brasilianer gewählte Präsident Janio Quadros paßt ebensowenig in ein weltpolitisches Kästchensysteni nach dem Stalin-Dulles-Schema von „Cut und Böse“ wie sein Riesenland. Brasilien ist zu groß und zu trächtig, berstend in seiner Vitalität, explodierend in immer neuen Potenzen, als daß man es in irgendein Satellitensystem einreihen könnte. Aber dieses von Jahr zu Jahr ungestüm weiter wachsende

Riesenkind der westlichen Hemisphäre hat bis jetzt seine geistige Profilierung noch nicht gefunden, seine eigenständige weltpolitische Repräsentanz noch nicht geschaffen. Der heroisch-integralistischen Ära des romantischen Cetulio Varga folgte nach einigen Zwischenstufen das rein auf den kommerziellen Westen (für Brasilien heißt das Norden) hin orientierte System der Manager und gewandten Verdiener. Das war die Ara Kubi- tschek. Der neue Präsident verkörpert etwas Neues, Originales: Er hat nichts mit dem autoritären Halbfaschismus der Generalsdiktaturen zu tun, gegen den er ja während des Wahlkampfes erklärt zu Felde zog. Aber er erhofft sich das Heil seines jungen Landes auch nicht in einer blinden Nachäffung des Yankeetums oder eines Allerweltsliberalismus.

Dr. Janio Quadros nennt sich einen Konservativen. Als er dreizehn Jahre war, übersiedelte 1930 seine Familie aus dem Campo Grande im Staat Matto Grosso nach Sao Paulo, der großen mondänen und korrupten Handelsmetropole Brasiliens. Dort vollendete er seine Studien und entfaltete seinen sicher gesteuerten Tätigkeitsdrang: Advokatur, Lehramt in Geographie und Geschichte und zugleich Direktion der Akademie der Wissen schaften; das verlangte einen Mann, der genau zu disponieren wußte. Warum er 1945 diese Arbeiten abbrach und sich der Politik widmete, wird man schwer ergründen können. Er war der Kandidat einer christlich-demokratischen Partei 1947 im Stadtrat, 1950 als Parlamentsabgeordneter. 1952 wählte man ihn mit Zweidrittelmehrheit zum Bürgermeister von Sao Paulo. 1954 einigten sich nationale und sozialistische Parteigruppen auf seine Kandidatur für das Gouverneurs- amt dieses wichtigen Teilstaates der Brasilianischen Union. Die Wahl zum Präsidenten krönte zwar sein bisheriges Leben, sie war aber keinesfalls die Selbstverständlichkeit einer von Stufe zu Stufe steigenden Karriere. Quadros forderte mit seiner Kandidatur die beiden herrschenden Brasilien, das Kubi- tscheks wie das der Generäle, das der Geschäftemacher wie das der Bürokraten, heraus. Er nannte den Reinigungsbesen ein Symbol und verstand unter Kehrarbeit nicht nur die landläufige Bekämpfung der Korruption. Er begann eine Entrümpelung auch im politischen Denken seiner Landsleute. Die Plattform, von der er ausgeht, ist die der Unbefangenheit und Ideologiefremdheit des echten Konservativen. Für ihn bedeuten diplomatische Be ziehungen zu den kommunistischen Staaten nicht Bekenntnisakte weltanschaulicher Natur, sondern Ergebnisse wirtschaftspolitischer Zweckmäßigkeit. Wenn er Fidel Castro lobt, so tut er dies nicht, weil er für den Kommunismus sozialromantische Phantasien empfindet, sondern weil er den „Castrismus“ als ein lateinamerikanisches Phänomen ins Kräftespiel seines Landes und Kontinents einkalkuliert.

Der Präsident hat sich die Selbstfindung der riesigen jungen Nation, die auf keine einheitlichen Traditionen zurückgreifen kann, zum ersten Ziel gesetzt. Er muß diesen Prozeß gegen jeden ausländischen Einfluß abschirmen: daher die spürbare Distanz zu den USA auch unter der neuen, ihn geradezu auffällig hofierenden Administration Kennedy. Aber Quadros, der trotz aller Extravaganz seines Auftretens und seines unkonventionellen Arbeitsstils genau weiß, woher er selbst kommt, weiß auch, wo sein Land in einer wirklichen Entschei- dungssituatiOH zu stehen hat. Aber er will, daß es in dieser Heimat der Freien Welt in Hinkunft auf eigenen, gesunden und standfesten Füßen zu stehen vermag. Er will seinen Landsleuten die Krücken wegnehmen, die auf der Linken und die auf der Rechten.

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