Nicola Quintreman gegen Staudammbau

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Der Staudamm von Ralco im Alto Biobio, einem Andental, rund 700 Kilometer südlich von Santiago gelegen, ist ein gigantisches Projekt, das den Lebensraum von 90 Mapuchefamilien überfluten würde. Die meisten haben der Kombination aus Druck und monetärer Verlockung nachgegeben und der Umsiedlung zugestimmt. Die Geschichte hat sie gelehrt, daß es sich nicht lohnt, transnationalen Unternehmen Widerstand entgegenzusetzen.

Aber einige Familien wollten sich nicht fügen. "Die Mapuches leben seit Menschengedenken an den Ufern der Flüsse. Eine Umsiedlung auf die Höhen der Kordilleren würden sie nicht überstehen", meint Francisco Caquilpan, Vorsitzender der "Corporacion de Desarrollo y Comunicaciones Mapuche Xeg-Xeg", einer Organisation, die sich für die Erhaltung der indianischen Kultur und Lebensräume einsetzt. Auf 1.800 Meter Seehöhe, wo die Elektrizitätsgesellschaft "Endesa" die Betroffenen ansiedeln will, ist es für die Mapuches, die von Ackerbau, Fischfang und Jagd leben, zu kalt.

Zwei Frauen, die 65jährige Nicolasa Quintreman und ihre 74jährige Schwester Berta, gingen vor Gericht. Das Unternehmen, so die Argumentation der Mapuche-Anwälte, hätte die Auflagen der Institution für Indianerrechte aus dem Jahr 1997 nicht erfüllt. Zu ihnen gehört vorrangig die Erstellung einer Umweltverträglichkeitsstudie. Mehrmals ließ der mehrheitlich spanische Konzern die Carabineros gegen die Klageführer einschreiten. Im Jahr 1998 seien 385 Personen festgenommen worden, im Vorjahr rund 500, berichtete Francisco Caquilpan Ende bei einem Besuch in Wien. Die Polizisten zögerten auch nicht, gegen alte Frauen Gewalt anzuwenden. Eine Medizinfrau erlitt schwere Quetschungen und Rippenbrüche. Doch am 10. September gab ein Richter in Santiago den Mapuches recht und suspendierte den Staudammbau.

Ein unnötiges Projekt Francisco Caquilpan fürchtet, daß der Konflikt damit noch lange nicht gewonnen sei. Das Unternehmen hat bereits 120 Millionen Dollar in das pharaonische Projekt investiert, das 550 Millionen kosten soll. Indianerrechte haben in der Praxis nur dann Gültigkeit, wenn sie keinem einträglichen Geschäft im Wege stehen. Die Regierung, so Caquilpan, verletzte ihre eigenen Gesetze. Sie verteidigt die Aktienkurse der zu 35 Prozent von Chilenen kontrollierten "Endesa" gegen die Interessen der Mapuches.

Auch der zukünftige Präsident Ricardo Lagos erklärte, man dürfe nicht für die Interessen einer Handvoll Familien den Fortschritt aufhalten. Francisco Calquipan und seine Mitstreiter sehen das naturgemäß anders. Die Energieversorgung Chiles sei jetzt schon sichergestellt. Das neue Kraftwerksprojekt diene ausschließlich dem Export nach Argentinien und der Bereicherung einer Handvoll Aktionäre.

Das einst kriegerische Volk der Mapuches, deren Territorium sich bei Ankunft der Spanier von der chilenischen Pazifikküste bis zur argentinischen Atlantikküste erstreckte, war das Volk, das sich am längsten der Eroberung widersetzte. Im Jahre 1641 wurde ihm von der spanischen Krone ein Gebiet von zehn Millionen Hektar, das praktisch die ganze Südspitze des Kontinents umfaßte, vertraglich zugesichert.

Anläßlich der Unabhängigkeit 1818 erklärte die Republik den Großteil dieser Ländereien zu Staatsland. Die chilenische Armee, die 1879 im Salpeterkrieg den nördlichen Nachbarn Peru besiegt hatte, wurde dann im Süden gegen die indianische Bevölkerung eingesetzt. Die Regierung brauchte Land für die europäischen Einwanderer, die sie "zur Verbesserung der Rasse" ins Land holte.

In den Jahren 1887-1930 wurden vor allem Deutsche und Italiener auf Mapucheland angesiedelt. Erst über die Agrarreform von Salvador Allende wuchs das Territorium der Mapuches wieder auf 586.000 Hektar an. Doch unter der Diktatur General Pinochets ging es mit den Landrechten neuerlich bergab. Wer ein Grundstück auf 99 Jahre pachtete, konnte es auf seinen Namen ins Grundbuch eintragen. Und der Staat deckte betrügerische Manipulationen, die Pachtverträge von Mapucheland auf 99 Jahre ausdehnten. So ging fast die Hälfte des verbliebenen Gemeindelandes an weiße Siedler verloren. Diese verkauften es zum großen Teil an transnationale Holzunternehmen.

In den Siebzigerjahren entdeckten die Holzmultis den chilenischen Süden. Der ursprüngliche Baumbestand - gigantische Araukarien, die schon alt waren, als die Spanier kamen - wurde durch schnellwachsende Hölzer wie Pinien und Eukalyptus ersetzt. Nach 15 Jahren erreichen die Stämme den Umfang, den sie in unseren Breiten erst mit 70 Jahren haben.

Nachhaltige Nutzung Das glänzende Geschäft für die Konzerne hat allerdings verheerende Folgen für die Bewohner der Gegend. Denn die tiefwurzelnden Bäume, die in Monokulturen riesige Flächen bedecken, saugen das Grundwasser auf. Francisco Caquilpan: "Bei uns gibt es kein Wasser mehr. Die Flüsse trocknen aus." Das schlimmste, so der Mapuche, sei, daß die Regierung die sogenannte Aufforstung zu 70 Prozent subventioniert: "Und was ist der Gewinn für uns? Arbeitskräfte werden in der hochmechanisierten Holzwirtschaft kaum benötigt."

Die Äcker der Mapuches versteppen, das Wild, das sie jagten, ist längst abgewandert. Während in einigen Holzkonzernen überlegt wird, Bäume mit noch tieferen Wurzeln anzupflanzen, sind andere dazu übergegangen, die Wälder hoch zu versichern und dann niederzubrennen. Eine Brandlegung, die den Mapuches in die Schuhe geschoben werden sollte, konnte von einem Kollegen Francisco Caquilpans gefilmt werden. Ein Gerichtsverfahren ist noch anhängig.

Der erfolgreiche Widerstand gegen das Staudamm-Projekt wäre kaum möglich gewesen, wenn sich die Mapuches nicht zunehmend auf eigene Beine gestellt hätten. Früher, so Caquilpan, hätten sie sich von den politischen Parteien vereinnahmen lassen. Seit Anfang der Neunzigerjahre bauen sie lieber auf ihre eigenen Organismen. Wenn sie sich auf den Staat und die Parteien verlassen hätten, würden sie heute noch auf den zweisprachigen Unterricht warten.

Mit Unterstützung der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar bildet Francisco Caquilpans Organisation lokale Führungspersönlichkeiten aus.

In der Provinzhauptstadt Temuco wurde ein Aufnahmestudio eingerichtet, in dem zweisprachige Radiosendungen produziert werden: "Temuco ist die Stadt mit der größten Dichte privater Sender der Welt. Aber kein einziger sendet in Mapuche." Und das, obwohl die Volksgruppe in vielen Gemeinden zwischen 60 und 80 Prozent der Einwohner stellt.

Francisco Caquilpan ist stolz darauf, daß vor allem junge Leute wieder Mapuche lernen: "Sogar die, die in Santiago oder in den Provinzhauptstädten aufwachsen, erinnern sich zunehmend an ihre eigene Kultur." Es ist eine Kultur, die die Wälder und anderen Ressourcen der Region nachhaltig zu nutzen versteht. Für den schnellen Profit, der nur Ruinen und Wüsten hinterläßt, haben die Mapuches kein Verständnis.

Der Autor ist freier Journalist.

ZUM THEMA Ureinwohner in Bedrängnis Die spanischen Eroberer vernichteten die Ureinwohner Südamerikas zum Teil mit dem Schwert und zum Teil durch die aus Europa eingeschleppten Krankheiten. Heute werden die noch verbliebenen Reste der indigenen Völker durch meist die Zerstörung ihres Lebensraums dezimiert. Im Namen des Fortschritts, versteht sich.

Die Mapuches, die im Andenstaat Chile mit rund 1,5 Millionen Menschen immerhin fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung des Landes stellen, wehren sich gegen den weiterhin stattfindenden Landraub und die Vernichtung ihrer traditionellen Ernährunsgrundlage. Einen Etappensieg bescherte ihnen ein Richterspruch im vergangenen September, der den Bau eines Staudamms stoppte.

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