Hohe Gummistiefel nicht vergessen!

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Der Wald ist so dicht, dass man keine zehn Meter weit sehen kann, ein Vordringen nur mit Machete in der Hand möglich. Der Boden ist ein einziges Wurzelgeflecht, in dem man versinken kann.

Als ich 1996 zu ersten Mal nach Ekuador kam, hatte ich mich natürlich gewissenhaft auf die Reise vorbereitet. Und wusste theoretisch, dass Ekuador ein sogenannter "Hotspot" der biologischen Vielfalt ist -also ein Land, in dem mehr verschiedene Pflanzenarten pro Fläche wachsen, als in kaum einem anderen auf der Welt. Aber das Erlebnis, dann tatsächlich in einem Bergnebelwald an einem steilen Hang der Anden-Ostabdachung zu stehen, ist doch noch überwältigender, als Reiseliteratur es je beschreiben kann: Jeder Baumstamm, jeder einzelne Ast ist von Aufsitzerpflanzen (Epiphyten) bedeckt. Orchideen, Bromelien, Farne, Moose, Flechten machen aus jeder größeren Astgabel ein eigenes Mini-Ökosystem. Um die Blüten schwirren Kolibris; in den winzigen Tümpeln in den Blattrosetten der Bromelien zappeln die Kaulquappen von Baumfröschen.

Der Wald ist so dicht, dass man keine zehn Meter weit sehen kann, ein Vordringen nur mit Machete in der Hand möglich. Der Boden ist ein einziges Wurzelgeflecht, in dem man bis zum Knie versinken kann. Als Botaniker vergleicht man den Wald mit dem, was man aus Mitteleuropa kennt: Hier haben wir in einem Mischwald etwa zehn Baumarten pro Hektar, davon vielleicht zwei oder drei häufig und namensgebend ("Eiche-Hainbuchenwald"). Andere Bäume stehen mit einigen Exemplaren dazwischen. Ganz anders in Ekuador: Unsere Forschungen zeigen, dass auf einem Hektar bis zu 80 verschiedene Baumarten stehen -aber fast alle mit nur jeweils einem Exemplar.

Jede Menge unbekannter Arten

Als Hobby-Ornithologe interessiert mich besonders auch die Vogelwelt: In ganz Europa können wir etwa 300 Vogelarten beobachten; in Ekuador sind auf einer Fläche, die etwa der Größe Deutschlands entspricht, über 1600 Vogelarten nachgewiesen. Das sind mehr als zehn Prozent der weltweit existierenden Vogelarten. Und wer weiß schon genau, wie es um weniger bekannte Tiergruppen steht? Ein Kollege der Universität Erlangen hat zur selben Zeit in unserem Forschungsgebiet Heuschrecken untersucht: Von den etwa 100 Arten, die er dort gefunden hat, waren über die Hälfte der Wissenschaft bis dahin gar nicht bekannt. Also ein El Dorado für Biologen?

Zweifellos -andererseits stellt einen die Feldforschung dort auch vor besondere Herausforderungen. Nicht nur, dass die Hänge so steil sind, dass man abwärts mehr rutscht als geht und dass die sehr plötzlich auftretenden Tropengüsse den sonst friedlichen Bach, den man durchqueren muss, in einen reißenden Fluss verwandeln. Auch die biologische Vielfalt zwingt zu ganz besonderen Verhaltensregeln: Niemals einfach so auf den Boden setzen (aggressive Ameisen gibt es überall)! Immer hohe Gummistiefel tragen (manche Schlangen sind extrem giftig)! Niemals in die Gummistiefel steigen, ohne sie vorher auszuschütten (sie werden gern von größeren Spinnen als Unterschlupf genutzt)! Und natürlich niemals einen Beobachtungspunkt ohne Moskitonetz einrichten (auch die Vielfalt der stechenden Insekten ist deutlich größer als zu Hause)! Eine Stirnlampe ist für gewöhnlich eine praktische Sache, weil man die Hände freihat. Allerdings fliegen einem dann auch alle Motten direkt ins Gesicht.

All diese Eindrücke stammen aus einem Waldstück, in dem die ursprüngliche Nebelwaldvegetation noch erhalten ist, weil es unter Schutz steht. Die traurige Wirklichkeit drum herum sieht leider oft ganz anders aus: Die Wälder werden gerodet, um Platz für Weidevieh zu schaffen. Oft wird nicht einmal das Holz genutzt, sondern der Wald wird einfach angezündet, weil die Bringung der Stämme in dem steilen Gelände zu schwierig wäre. Wenn nach einigen Jahren der Nutzung als Weide der Boden verarmt ist oder für die Rinder unverträglicher Adlerfarn überhand genommen hat, wird die nächste Parzelle in Angriff genommen. Wenn überhaupt einmal eine Aufforstung stattfindet, dann oft mit standortfremden Arten wie schnell wachsenden Kiefern aus Kalifornien oder Eukalyptus aus Australien. In solchen Forsten ist von der ursprünglichen biologischen Vielfalt so gut wie nichts mehr zu finden.

Naturschutz in der Verfassung

Dass es auch anders geht, zeigt eine Initiative nördlich der Hauptstadt Quito, in Mindo. Dort betreibt eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO) ein Umweltbildungszentrum mit Modellfarm. Ebenso wie eine Baumschule, die einheimische Baumarten züchtet und Landbesitzern zur Verfügung stellt. Gemeinsam mit der Energieagentur Karlsruhe ist es gelungen, ehemalige Weideflächen im Bergland aufzukaufen und mit den einheimischen Baumsämlingen aufzuforsten. Natürlich ist es kaum zu schaffen, die ehemals vorhandene Vielfalt wieder herzustellen. Hilfreich ist aber, dass es entlang der tief eingeschnittenen Bachläufe noch einige Naturwaldreste gibt, aus denen Pflanzenund Tierarten wieder in die aufgeforsteten Teilflächen einwandern können. Diese Waldreste liefern zudem Sämlinge für die Baumschule und zeigen, wie die ursprüngliche Artenzusammensetzung einmal war: Nur ein kleiner Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt; aber einer, der uns sehr am Herzen liegt.

Ekuador ist sich seines biologischen Reichtums durchaus bewusst und versucht bereits, ihn nachhaltig zu nutzen, zum Beispiel durch sanften Tourismus. Bei Vogelliebhabern ist Ekuador längst mehr als ein Geheimtipp: Nicht nur die Galapagos-Inseln werden besucht, sondern zahlungskräftige Kunden aus Europa und Nordamerika buchen geführte Vogeltouren im ganzen Land. Diese führen sowohl in die Anden als auch in das Amazonas-Tiefland. Gerade dort droht aber eine andere Gefahr für die Natur: Große Erdölvorkommen wurden entdeckt und Probebohrungen zeigen, dass sich die Förderung lohnen würde. Genauso zeigt sich aber auch, wie verheerend sich Straßen-und Pipelinebau, das Anlegen von Arbeitersiedlungen und das unkontrollierte Abpumpen von Ölschlamm auf den Tiefland-Regenwald auswirken. Ein weiterer Faktor, der zum Verlust der biologischen Vielfalt beiträgt, ist die Ausbreitung riesiger Palmöl-Plantagen im ehemaligen Regenwald zum Export, auch nach Europa. So verschwindet in manchen Gebieten die Vielfalt, bevor sie überhaupt erforscht werden konnte.

Erfreulicherweise unternimmt Ekuador aber auch Anstrengungen, seine einmalige Vielfalt zu schützen. 2010 hatten sich die 196 Mitgliedsstaaten des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (CBD) vorgenommen, bis 2020 mindestens 17 Prozent der globalen Landfläche unter Schutz zu stellen. Dabei sollten vor allem Schutzgebiete in Ländern mit hoher Biodiversität ausgewiesen werden. Ekuador als "mega-diverses" Land leistet dazu seinen Beitrag und hat es bereits 2014 geschafft, in über 40 Schutzgebieten über fünf Millionen Hektar unter Schutz zu stellen, was fast 20 Prozent der Landesfläche von Ekuador entspricht. Auch in Bezug auf das internationale Umweltziel, bis 2020 den Verlust natürlicher Habitate bestmöglich zu reduzieren, sieht Ekuador sich selbst somit auf einem guten Weg.

Darüber hinaus ist Ekuador eines der wenigen Länder, die den Schutz der Natur in ihrer Verfassung verankert haben. Der Natur wird darin ein Recht auf Existenz, Erhaltung und Wiederherstellung zugesprochen, das von jedem Bürger im Namen der Natur eingeklagt werden kann. Wie sich diese noch neue Regelung in der Praxis gestaltet und welche konkreten Auswirkungen das auf die Erhaltung der Vielfalt haben wird, bleibt abzuwarten. Es besteht aber die Hoffnung, dass der global bedeutsame "Hotspot" der Biodiversität, an dem ich forschen durfte, nicht ganz verschwindet.

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