"Mitwandern der Arten wird verhindert"

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Naturschutzmaßnahmen müssten wesentlich verstärkt werden, um den Cocktail an Gefährdungsfaktoren kompensieren zu können.

Österreich hat eine hohe biologische Vielfalt: Es gibt insgesamt rund 68.000 Arten; rund 500 Biotop-Typen können unterschieden werden. Viele davon sind jedoch gefährdet.

Zuletzt war es das Brutvogel-Monitoring, das einen drastischen Rückgang heimischer Vogelarten vermeldete: ein weiterer Mosaikstein im exponentiellen Verlust des Artenreichtums. Die FURCHE bat Stefan Schindler vom Umweltbundesamt um eine globale Einschätzung.

Die Furche: Herr Doktor Schindler, wie steht es heute um Österreichs Biodiversität?

Stefan Schindler: Österreich hat eine hohe biologische Vielfalt: Es gibt insgesamt rund 68.000 Arten; rund 500 Biotop-Typen können unterschieden werden. Viele davon sind jedoch gefährdet. Bei den heimischen Farn-und Blütenpflanzenarten sind das circa 40 Prozent. Aktuelle Rote Listen gefährdeter Tiere liegen für 20 Tiergruppen vor. Schutzmaßnahmen nehmen im Großen und Ganzen zu; ein Meilenstein waren hier die Ausweisungen der Natura-2000-Gebiete. Auch das Bewusstsein für Biodiversität nimmt zu. Dort, wo gezielte Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, bringen sie auch die gewünschten Effekte. Generell ist jedoch zu sagen, dass kleinflächig verbreitete Sonderstandorte abnehmen und großflächige ungefährdete Lebensraumtypen zunehmen - diese Entwicklung ist nicht günstig.

Die Furche: Welche konkreten Gefahren gibt es hierzulande für die Artenvielfalt?

Schindler: Wir haben vor Kurzem eine Analyse der Gefährdungsfaktoren durchgeführt, bezogen auf jene Biotop-Typen und Arten, für die die EU-Staaten eine besonders hohe Verantwortung tragen. Das Ergebnis war, dass die meisten von ihnen durch hydrologische Veränderungen beeinträchtigt werden, zum Beispiel Flussregulierungen und Entwässerung von Feuchtgrünland. Weitere Gefährdungsfaktoren sind Aufgabe der Nutzung, Entfernung von Totholz, Aufforstung, landwirtschaftliche Intensivierung und Flächenverluste.

Die Furche: Apropos Intensivierung der Landwirtschaft: Wie sehen Sie die Rolle von Pestiziden in diesem Zusammenhang?

Schindler: Pestizide spielen neben dem Verlust von halbnatürlichen Lebensräumen eine große Rolle, da sie eine Vielzahl von Insekten schädigen, die einen wesentlichen Beitrag zur Funktionsweise von Ökosystemen liefern und für den Menschen wichtige Ökosystem-Leistungen bereitstellen: Man denke an die Bestäubung oder die Schädlingskontrolle. Der Einsatz von Insektiziden ist im Zeitraum von 2003 bis 2013 um circa die Hälfte gestiegen. Die Furche: Um den Artenschwund im Agrarbereich zu stoppen, hat die EU das sogenannte "Greening" ins Leben gerufen: Landwirte er-

halten Anreize, wenn sie ökologische Vorrangflächen erhalten. Ist das ein passendes Rezept?

Schindler: Die Gemeinsame Agrarpolitik - kurz GAP -, die für Österreich und EU-weit gilt, stellt ein sehr wichtiges Instrument für den Erhalt der Biodiversität in der offenen Kulturlandschaft dar. Effektivität und Effizienz der GAP sind jedoch verbesserungswürdig. Das bei der letzten Reform beschlossene "Greening", das heißt dass die Direktzahlungen an die Landwirte ein Minimum an umweltverträglicher Landwirtschaft voraussetzen, war auf europäischer Ebene sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Furche: Was sind die Maßnahmen, um Biodiversität zu schützen?

Schindler: Das zentrale Instrument sind Schutzgebiete. In Österreich sind 16 Prozent der Bundesfläche streng geschützt. Weiters Maßnahmen in der Kulturlandschaft wie Blühstreifen oder Erhaltung von Landschaftselementen. Die Bandbreite von Schutzprojekten reicht von kleinen Vorhaben durch lokale private Initiativen bis hin zu großen Projekten mit gemeinsamer Finanzierung durch EU, Bund und Länder, wie etwa "LIFE-Natur". Positiv hervorzuheben ist auch, dass viele NGOs und Mitbürger Naturschutz auf freiwilliger Basis umsetzen.

Die Furche: Welche Rolle spielt der Klimawandel für das Aussterben der Arten?

Schindler: Derzeit spielt der Klimawandel für das Aussterben der Arten noch eine untergeordnete Rolle. Das wird sich aber in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts rasch ändern. Laut einer aktuellen Studie, die wir mit der Uni Wien für Gefäßpflanzen, Tagfalter und Heuschrecken durchführen, bewirkt der Klimawandel, dass ein Großteil der heimischen Arten starke Areal-Einbußen hinnehmen muss, manche werden sogar aussterben. In den Berggebieten kommen die Arten nicht rasch genug von einem Gipfel zum anderen, um mit dem Klimawandel mitzuwandern. Im Tiefland sieht es ähnlich aus, das Mitwandern wird durch Verlust und Fragmentierung der Lebensräume verhindert. Naturschutzmaßnahmen müssten wesentlich verstärkt werden, um den giftigen Cocktail an Gefährdungsfaktoren, die heute auf Habitate und Arten einwirken, kompensieren zu können.

Die Furche: Was bedeutet die Einwanderung gebietsfremder Arten, die heute durch die Globalisierung und den Klimawandel vorangetrieben wird?

Schindler: Weltweit stellt die Verschleppung von Arten eine der wichtigsten Gefährdungsursachen für die Biodiversität dar. Aufgrund der fehlenden Ko-Evolution haben vor allem eingeschleppte Krankheiten und Räuber gravierende Folgen, insbesondere in abgelegenen oder isolierten Regionen. In Mitteleuropa ist die Situation weniger dramatisch, aber auch hier sind negative Auswirkungen auf heimische Arten belegt.

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