Darf es noch ein bisschen grüner sein?

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Um den Artenschwund in der Agrarlandschaft zu stoppen, hat die EU das "Greening" als Anreizsystem etabliert. Doch sowohl Landwirte als auch Ökologen sind damit unzufrieden. Eine aktuelle Studie gibt Empfehlungen zur Verbesserung.

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Um den Artenschwund in der Agrarlandschaft zu stoppen, hat die EU das "Greening" als Anreizsystem etabliert. Doch sowohl Landwirte als auch Ökologen sind damit unzufrieden. Eine aktuelle Studie gibt Empfehlungen zur Verbesserung.

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Wissenschaft, die gesellschaftlich und politisch hoch relevant ist? Die nach fundierter Analyse der Fakten klare Empfehlungen an die Entscheidungsträger zu formulieren versteht? Eine aktuelle Studie des deutschen Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung, an der auch Forscher in Österreich beteiligt waren, liefert dafür ein mustergültiges Beispiel. Die im Fachjournal Conservation Letters publizierte Studie hat sich einer Initiative gewidmet, mit der die EU den Artenschwund in der Agrarlandschaft aufhalten will: dem "Greening". Das Prinzip dieses Anreizsystems ist simpel: Landwirte erhalten eine finanzielle Förderung, damit sie auf ihren Flächen bestimmte Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna umsetzen - zum Beispiel Flächen brach liegen lassen, ungenutzte Pufferstreifen entlang von Gewässern schaffen sowie Hecken, Bäume, Teiche oder kleine Bäche erhalten.

Kostenfreie "Dienstleistungen" der Natur

Diese ökologischen Vorrangflächen am Acker zählen zu den europaweit festgelegten Auflagen für das "Greening" (siehe Kasten): Landwirte mit mehr als 15 Hektar Ackerland müssen fünf Prozent davon für ökologisch wertvolle Landschaftselemente zur Verfügung stellen. "Welche der Maßnahmen aus dem EU-Katalog umgesetzt wird, kann jeder Landwirt selbst entscheiden", erläutert der Ökologe Guy Pe´er, der am Helmholtz-Zentrum die Studie geleitet hat. So können etwa auch Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen angebaut werden, die Stickstoff aus der Luft fixieren. Dadurch reichert sich der Boden wieder mit Stickstoff an, was essenziell für den Stoffwechsel und das Wachstum von Pflanzen ist. Oder es werden Zwischenfrüchte wie Ölrettich oder Ackersenf eingesät, die das Feld auch im Winter grün halten und somit Bodenerosion verhindern.

Der anhaltende Rückgang der Biodiversität rund um landwirtschaftliche Flächen gibt nicht nur in Europa Anlass zur Sorge. Denn dadurch werden wertvolle Funktionen der Ökosysteme beeinträchtigt: Schließlich ist es die Natur, die dem Menschen ganz kostenlos "Dienstleistungen" zugute kommen lässt - saubere Luft, reines Wasser, die Basis für Nahrungs- und Arzneimittel. Gesunde Böden etwa sind die Voraussetzung zur Erzeugung von Lebensmitteln; Wälder liefern den Rohstoff Holz und schützen Bergdörfer vor Lawinen. Allein die weltweite Bienenbestäubung wird -je nach Studie - mit einem ökonomischen Wert von 200 bis 250 Milliarden Euro beziffert. "Zu all dem handfesten Nutzen haben wir eine ethisch-moralische Verpflichtung gegenüber dem Planeten und künftigen Generationen, die Biodiversität zu erhalten", betont Stefan Schindler vom österreichischen Umweltbundesamt, der an der Studie beteiligt war. "Und wir haben uns auch konkret dazu verpflichtet, diesem Anliegen gerecht zu werden." Die EU-Biodiversitätsstrategie zielt heute darauf ab, den Verlust an biologischer Vielfalt in Europa bis zum Jahr 2020 zu stoppen. Zur Umsetzung dieser Verpflichtungen wurde hierzulande die "Biodiversitäts-Strategie Österreich 2020+" entwickelt.

Was aber bringen die verschiedenen ökologischen Vorrangflächen für die Biodiversität im Rahmen der Landwirtschaft? Zur Beantwortung dieser Frage hat die Studie des Helmholtz-Zentrums nun wesentlich beigetragen. "Pufferstreifen und Brachland haben sich hier als besonders wichtig erwiesen", resümiert Studienleiter Pe´er. Brachland etwa ist aus ökologischer und wirtschaftlicher Sicht eine "win-win"-Option. Besondere Landschaftsstrukturen wie Hecken oder traditionelle Steinmauern sind ebenfalls von großem Nutzen für die Artenvielfalt der Pflanzen und Tiere. Aber es gibt auch "Greening"-Maßnahmen, in denen die Forscher nur wenig Sinn erkennen konnten. "Der Anbau von Zwischenfrüchten oder Stickstoff-fixierenden Pflanzen bringt für die Biodiversität nicht viel", so Pe´er. "Das gilt besonders, wenn Pestizide verwendet werden dürfen. Ganz wichtig wäre es daher, den Einsatz von Pestiziden auf den Vorrangflächen zu verbieten."

Steuergeld für die Artenvielfalt

Bei den Landwirten sind derzeit ausgerechnet die weniger effektiven Maßnahmen beliebt, da sie einfacher und kostengünstiger umgesetzt werden können. Einige "Greening"-Varianten werden auch durch Details in den EU-Vorschriften unattraktiv - etwa wenn Landwirte die Breite eines Blühstreifens penibel genau angeben müssen. Viele von ihnen befürchten daher problematische Kontrollen mit Sanktionen und finanziellen Einbußen, berichtet Studienautor Sebastian Lakner, Agrarökonom von der Uni Göttingen. Generell sehen die Autoren ein Missverhältnis zwischen dem Design und der Umsetzung der Vorrangflächen: Ökologisch wertvolle Optionen werden von den Landwirten oft schlecht angenommen. Die Bilanz: Insgesamt drei Viertel aller Vorrangflächen in der EU werden auf eine Weise genutzt, die wenig oder gar keine Vorteile für die Artenvielfalt bringt. "Der Staat fördert das 'Greening' mit Steuergeldern und die Gesellschaft bekommt dafür nur eine geringe Gegenleistung in Form von Artenvielfalt", sagt Lakner.

Eine Ausweitung der ökologischen Vorrangflächen von fünf auf sieben Prozent, wie sie die EU-Kommission derzeit diskutiert, wird die Lage aber nur wenig verbessern, argumentieren die Wissenschafter. Denn der EU-Schnitt liegt ohnehin bereits bei über zehn Prozent. Wichtiger sei es, jene Vorrangflächen abzuwerten, die kaum einen Nutzen für die Biodiversität bringen. Schon heute zählt ein Hektar mit speziellen Landschaftselementen laut EU-Vorschriften deutlich mehr als ein Hektar Stickstoff-fixierender Pflanzen. Diese Unterschiede sollten vergrößert werden, damit sich die ökologisch wertvollen Varianten noch viel eher lohnen, empfehlen die Autoren.

Einige Maßnahmen wie etwa die Aufforstung - eine "lose-lose"-Option für Ökologie und Landwirtschaft - könnten ganz aus dem Katalog gestrichen werden. Eine Streichung der unwirksamen Optionen würde das "Greening" vereinfachen, wie es die Landwirte fordern, so die Forscher. Sie bezweifeln, ob "Greening" langfristig überhaupt das richtige Rezept gegen den Schwund der biologischen Vielfalt ist. Die Agrar-Umweltprogramme auf EU-Ebene, mit denen naturverträgliche Bewirtschaftungsformen maßgeschneidert für verschiedene Lebensräume gefördert werden, könnten die Ziele oft besser erreichen -womit auch die Steuergelder effizienter eingesetzt wären.

Die Empfehlungen der Experten kommen gerade recht, denn im März wird die EU-Kommission einen Zwischenbericht zum "Greening" veröffentlichen. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Befunde in Brüssel zur Kenntnis genommen werden. "Das Maßnahmenpaket des 'Greening' wird durch den EU-Zwischenbericht nicht generell infrage gestellt werden", bemerkt Studienautor Christian Schleyer vom Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt. "Aber in unserer Studie finden sich Empfehlungen, die gut einfließen können, da sie ohne lange Vorlaufzeit leicht umsetzbar sind."

SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT

Die drei Säulen des "Greening"

Die Bestände der Feldlerche sind im Sinkflug, auch viele Hummel-und Schmetterlingsarten sind massiv zurückgegangen. Die Artenvielfalt der europäischen Agrarlandschaften ist in den letzten Jahrzehnten generell stark geschrumpft. Gründe dafür sind die Intensivierung der Landwirtschaft und die Aufgabe traditionell genutzter Kulturlandschaften durch Landflucht. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat die EU bei der letzten Reform ihrer Agrarpolitik 2013 ein neues Instrument eingeführt: Im Rahmen des "Greenings" bekommen Landwirte eine Prämie, im Gegenzug müssen sie seit 2015 bestimmte Maßnahmen umsetzen. Erstens soll der Ackerbau vielfältiger gestaltet werden. Betriebe, die zehn bis 30 Hektar Ackerland bewirtschaften, müssen mindestens zwei verschiedene Feldfrüchte anbauen, ab 30 Hektar sind es drei. Zweitens geht es darum, Wiesen und Weiden dauerhaft zu erhalten. Drittens müssen Landwirte, die mehr als 15 Hektar Ackerland haben, fünf Prozent davon als "ökologische Vorrangflächen" zur Verfügung stellen (s. Artikel). Hierfür sieht die EU insgesamt 19 Varianten vor. (mt)

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