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Die Kunsthalle Krems zeigt in ihrer Ausstellung mehr als nur Kunst.

Noch einmal erzählt der scheidende Direktor der Kunsthalle Krems, Tayfun Belgin, eine große Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, das er in seiner vierjährigen Tätigkeit konsequent als entdeckenswert präsentierte: "Von Österreich zur Neuen Welt. Meisterwerke der brasilianischen Malerei des 19. Jahrhunderts". In dieser 200 Objekte umfassenden Ausstellung geht es um in Europa unbekannte Meisterwerke der brasilianischen Malerei, um Gemälde von Europäern, die die Schönheiten des riesigen Landes festhielten, aber auch um Alltagskunst der indianischen Ureinwohner, also Ethnographika, sowie um Tiere und Pflanzen, die europäische Forscher in ihrer Vielfalt so begeisterten, dass sie sie zeichneten und ausstopften und kistenweise in ihre Heimat verschifften. Nicht nur ästhetischer Genuss erwartet den Besucher, sondern der spannungsreiche Blick in einen Zusammenprall von Kulturen, ein Panorama Brasiliens, vom Schicksal der indigenen Bevölkerung bis zur Christianisierung, vom Dschungel bis zu den Metropolen.

Ehe der Seefahrer Pedro Álvares Cabral am 22. April 1500 die brasilianische Küste für Portugal in Besitz nahm, lebten im heutigen Brasilien zwei bis vier Millionen Indianer. Heute sind es 350.000 - eine Minderheit im eigenen Land, die nach wie vor um ihre Rechte kämpft. Auf dem frühesten Blickfang-Bild in Krems aus dem Jahr 1650 mit dem Titel "Amerika" ist noch die Unsicherheit der europäischen Eindringlinge gegenüber den Indianern spürbar: Da sieht man eine Indianerfrau und ein Affenweibchen, beide hingebungsvoll ihre Säuglinge stillend: Die Ureinwohner als Naturkinder. In der Bildmitte jedoch lodert helles Feuer unter einem Rost, auf dem menschliche Körperteile braten. Kannibalismus galt den Europäern als typisch für den amerikanischen Kontinent. Was es mit dem befremdlichen Brauch auf sich hatte, durfte kein Europäer, nicht einmal Alexander von Humboldt, erforschen. Die Portugiesen hielten ihre Kolonie 300 Jahre unter Verschluss. Doch 1807 floh der gesamte portugiesische Königshof vor Napoleon nach Rio de Janeiro, und Portugal öffnete die Häfen Brasiliens.

Und jetzt tritt Österreich auf den Plan. 1817 wurde die Tochter des Kaisers Franz I. (II.) an den portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro von Alcantara verheiratet. Aus diesem Anlass ließ der Kaiser eine Expedition ausrüsten, deren Kosten und Dauer er nicht limitierte. Er wollte mehr wissen über das kaum bekannte Land, von dem bis dahin nur Jesuiten berichtet hatten, die sich im 17. und 18. Jahrhundert neben der Missionierung auch der naturwissenschaftlichen Forschung widmeten. 14 Gelehrte, Forscher, Ärzte und Maler bildeten den Stab der österreichischen Expedition. Sie wurde zur erfolgreichsten aller europäischen Forschungsunternehmen in Brasilien: 150.000 Objekte erreichten Wien, wo ein eigenes brasilianisches Museum eingerichtet wurde. Allein der Tierpräparator Johann Natterer - er bereiste das Land 18 Jahre lang - sandte so viele Insekten, Samen, Pflanzen, Holzmuster, dass Wissenschaftler aus aller Welt bis heute seine Schätze und Aufzeichnungen zur Beschreibung der Fauna Brasiliens nutzen. Und seine Sammlung indianischer Gegenstände, besonders Federarbeiten - heute im Wiener Völkerkundemuseum und derzeit mit ausgewählten Stücken in Krems - ist weltweit die bedeutendste ihrer Art. In der gesamten österreichischen Sammlungsgeschichte gelangte nie wieder eine derartige Vielzahl und Vielfalt an Objekten von einer einzigen Expedition in die Museen des Landes. Das Naturhistorische und das Völkerkundemuseum haben beste Stücke nach Krems geschickt: Einen ausgestopften Kaiman, farbenprächtige Vögel, Schmuck aus Jaguarklauen, ja sogar einen Menschen-Trophäenschädel. Beim ersten Hinschauen stehlen Brüllaffe, Pardelkatze und Antennenwels den Bildern an den Wänden die Schau. Doch erschließen erst diese die komplexe Geschichte des Vielvölkerstaates Brasilien.

Ein Jahr lang litt der österreichische Landschaftsmaler Thomas Ender, Mitglied der Expedition von 1817, unter dem Klima, dann fuhr er zurück, mit tausend Skizzen und Aquarellen im Gepäck. Sie verraten, dass kein weißer Brasilianer zu Fuß ging. Die Herren bewegten sich hoch zu Ross, die Damen wurden von schwarzen Sklaven in Tragsesseln transportiert. Rios Bevölkerung bestand um 1800 zur Hälfte aus Schwarzen. Die Sklaven Brasiliens, zu Beginn des 17. Jahrhunderts "eingeführt", wurden erst 1889 frei.

Bis zur Öffnung der Häfen im Jahr 1808 gab es in Brasilien nur religiöse Malerei. Als danach ausländische Maler ins Land kamen und Brasilien 1822 weitgehende Unabhängigkeit vom Mutterland erhielt (zum Kaiserreich wurde), weitete sich das Themenspektrum: Die brasilianische Landschaft begeisterte die europäischen Künstler. Romantisch verherrlichten sie die Natur und idealisierten die Ureinwohner, die als edle Wilde auch zum Thema von Gedichten und Romanen wurden. So ergab sich eine besondere Nähe von Literatur und Malerei. Das Plakat der Kremser Ausstellung ist eine Allegorie auf die Geburt der brasilianischen Nation aus der Verbindung von europäischen und indianischen Elementen. Eine junge Indianerin blickt melancholisch auf einen im Sand steckenden blumenumrankten Pfeil. Das Motiv stammt aus einem romantischen brasilianischen Roman, in dem von einer jungen Einheimischen erzählt wird, die von einem Portugiesen ein Kind bekommt und dann von dem Weißen verlassen wird. Den Pfeil hatte sie einst gegen den Mann gerichtet. Jetzt hat er ihr Kind fortgenommen …

Brasilianische Maler, auch sie sind in Krems zu erleben, lernten zunächst in Paris - Salonmalerei. Eine französische Künstlergruppe hatte die Akademie der bildenden Künstler in Rio gegründet, und Stillleben und Historienmalerei waren die uninspirierte Folge. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fanden Brasilianer in ihrem zur Republik gewordenen Land (1889) zu eigenen Themen aus dem Land- und Stadtleben, doch erreichte die brasilianische Kunst erst Ende des 20. Jahrhunderts ihre unverwechselbare Qualität und internationale Anerkennung.

Brasilien

Von Österreich zur Neuen Welt

Kunsthalle Krems

Franz-Zeller-Platz 3

3500 Krems-Stein

www.kunsthalle.at

Bis 17. 2. 2008, täglich 10-18 Uhr,

ab 5. 11. 10-17 Uhr.

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