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Vergessene zwei Millionen

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Schon wenige Jahre nach der Inbesitznahme Brasiliens durch das kleine Portugal tauchten dort die ersten deutschen Namen auf. Als Soldaten und Verwaltungsfachleute im Dienste Portugals haben sie Großes in Brasilien geleistet. Auch deutsche Kaufleute in Brasilien sind aus dieser Zeit bekannt.

Doch der eigentliche deutsche Zustrom nach Brasilien begann erst, nachdem die österreichische Erzherzogin Leopoldina als Braut des damaligen Kronprinzen Pedro von Portugal am 5. November 1317 in Rio de Janeiro eintraf. Mit ihr zusammen kam eine Expedition von Wissenschaftlern und Forschern, welche der Vater der Erzherzogin, Franz von Österreich, nach Erasilien geschickt hatte.

Brasilien, welches seit 1815 keine Kolonie Portugals mehr war, sondern ein Teil des von Rio de Janeiro aus regierten „Vereinigten Königreiches von Portugal, Brasilien und Algarbien“, brauchte dringend Menschen, welche die weiten Räume des tropischen Großreiches erschließen sollten. Als der König, Dom Joäo VI., im Jahre 1821 die Regierung nach Lissabon zurückverlegte, wurde Rio de Janeiro nach 13 Jahren wieder zur Verwaltungshauptstadt Brasiliens. Der König hatte in Erasilien während dieser 13 Jahre eine ausgezeichnete Verwaltung aufgebaut und das Zusammengehörigkeitsgefühl der zahlreichen brasilianischen Provinzen geweckt. Er ließ seinen Sohn, Dom Pedro, und seine Schwiegertochter Leopoldina als Statthalter in Rio zurück. Als sich in Lissabon Bestrebungen zeigten, Brasilien wieder in den Zustand einer Kolonie zurückzuversetzen, widersprach dies dem erwachten brasilianischen Nationalgefühl. Pedro und Leopoldina setzten sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung. Man brauchte jetzt noch dringender Menschen, um auf der einen Seite dem portugiesischen Druck, auf der anderen Seite dem Landhunger Spanisch-Amerikas widerstehen zu können.

So trafen die ersten deutschen Einwanderer, angeworben von einem Agenten der nunmehrigen Kaiserin Leopoldina, am 25. Juli 1824 in Säo Leopoldo ein. Brasilien war gerade seit zwei Jahren unabhängig. Den bedrohten Süden wollte man, den habsburgischen Erfahrungen mit der Militärgrenze zum Osmanischen Reich entsprechend, mit einer Art von „Wehrsiedlem“ sichern. Zwischen 1824 Und 1885 wanderten Hunderttausende von Deutschen nach Brasilien aus. Sie wurden nicht selten vom Kaiser persönlich am Hafen von Rio de Janeiro begrüßt und im Süden des Landes angesiedelt. Dort erschlossen sie ihrer neuen Heimat drei Provinzen: Rio Grande do Sul, Santa Catharina und Parana. In den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem südlichen Nachbarn Brasiliens wußten sie ihr Land auch zu verteidigen. In harter Arbeit erschlossen sie als Siedler, Wissenschaftler, Handwerker, Künstler und Kaufleute weite Urwald- und Steppengebiete. Auch betätigten s'e sich als Städtegründer. Vorbilder fanden sie dabei in Deutschen aus der portugiesischen Zeit Brasiliens. Im 16. Jahrhundert schon war Heliodor Eobanus Hesse entscheidend an der Gründung von Rio de Janeiro beteiligt gewesen und auf seinen Sohn Eledor Ebano Hesse geht die Gründung von Curitiba zurück. Jetzt schuf der kaiserliche Major Julius F. Köhler die Sommerresidenz Pe-tropolis bei Rio de Janeiro. Dr. Hermann Blumenau gründete die deutsch-brasilianische Stadt Blumenau im Staate Santa Catharina.

Hier muß der Ehrlichkeit wegen eingefügt werden, daß der Begriff „Deutsche“ im damaligen Brasilien anders verstanden wurde, als wir ihn heute verstehen. „Deutsche“ stammten aus allen deutschen Staaten von damals, aber auch aus der Schweiz und aus allen Ländern,

über die das Haus Habsburg herrschte. In der Reihe der bedeutenden Brasilianer deutscher Abstammung sind besonders Johannes Daniel HI1-lebrand, der erste Arzt und Direktor der kaiserlichen Kolonie von Säo Leopoldo, sowie Konrad von Niemeyer, Mitbegründer des Institu-to Histörico e Geogräfico in Rio de Janeiro zu nennen. Ferner sollte man sich an den Verkehrsminister Victor Konder als den Schöpfer der brasilianischen Luftfahrt erinnern.

Im Süden Brasiliens konnte man sich bis in die Anfangs jähre des Zweiten Weltkrieges an Südtirol erinnert fühlen. Mit dem Eintritt Brasiliens in den Krieg wurden aber alle deutschen Schulen, Vereine und Zeitungen verboten. Dies war nicht zuletzt eine Folge der Propaganda Nazideutschlands unter den Brasilianern deutscher Abstammung.

Doch bald nach 1945 setzte die Einwanderung deutscher Menschen nach Brasilien wieder ein. Es kamen vor allem Vertriebene aus Osteuropa und Sowjetrußland. So entstand die Kolonie Guarapuava der Donauschwaben und gliederte sich in die Reihe der fast geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete Frieburg, Rolandia, Witmarsum (Mennoniten) und Dreizehnlinden (Tiroler) ein.

Im Brasilien unserer Tage leben etwa zwei Millionen Brasilianer deutscher Abstammung, welche die deutsche Sprache noch beherrschen und sich dem kulturellen Erbe Ihrer ehemaligen' Heimat noch verpflichtet fühlen. Man schätzt, daß es weitere zwei Millionen deutschstämmiger Menschen in Brasilien gibt, ^dle der deutschen Sprache nicht mehr mächtig sind. Von den im Jahre 1900 erscheinenden 15 Zeitungen deutscher

Sprache gibt es heute noch zwei: die vor 22 Jahren gegründete Wochenzeitung „Brasil-Post“ (etwa 24.000 Exemplare) und die hauptsächlich im Stadtgebiet von Säo Paulo verbreitete Tageszeitung „Deutsche Nachrichten“.

Das kulturelle Erbe der Deutschbrasilianer pflegen in Brasilien die „25.-Juli-Vereine“ unter ihrem Generalsekretär Theo Kleine, Säo Leopoldo. Der 25. Juli ist der offizielle Feiertag der Deutschbrasilianer. Er wird jedes Jahr unter ständig wachsender Beteiligung gefeiert. Für 1974 sind besonders große Feiern vorgesehen. Man rechnet auch mit einer Beteiligung aus der deutschen Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich.

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