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Holzmeister-Bauten in Brasilien

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Istambul, November 1946 Da ich wieder zur Strozzigasse rede, zu Euch allen, Ihr vertrauten, alten Freunde, laßt mich von Dingen reden, die midi Euch wieder in Erinnerung rufen sollen als den, der ich Euch vor allem die ganzen Jahre gewesen bin: ein Kirchenbaucr.

Folgt mir nach Brasilien! Dorthin hat mich ein seltsames Familiengeschick im Herbst 1939 geführt, dort, in Rio de Janeiro, habe ich während meines halbjährigen Aufenthaltes eine Kathedrale, eine große Wallfahrtsanlage, eine doppeltürmige Kirche zur ewigen Anbetung, die Erweiterung des alten Benediktinerstiftes, eine Kirche im Urwald und vieles andere an Profanbauten geplant. Freilich ist vorderhand nur alles auf dem Papier geblieben. — Aber ich muß, wenn ich von Brasilien erzähle, nun doch mit der Geschichte meiner Großeltern beginnen: Wir stammen von Urväterszeiten her aus Fulpmes im Stubaital und teilten die Schicksale des Tales, auch damals in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als durch den Aufschwung der Werkzeugindustrie die Kleinschmiede von Fulpmes um ihr Brot gekommen waren und das halbe Dorf nach Brasilien auswanderte. Mein Vater, als zwölfjähriger Bub, und der älteste seiner zahlreichen Geschwister, nahm in der neugegründeten Tiroler Kolonie einen harten, aber erfolgreichen Aufstieg und kehrte in den Siebzigerjahren in die Heimat zurück. Er war der geachtete „Brasilianer“ und hat sich seiner Heimatgemeinde nützlich gemacht und uns ein schönes Vaterhaus in Fulpmes geschenkt. Brasilien aber haben wir, dankbar für die Rettung aus der Not und als zweite Heimat nie vergessen.

Kaum hatte ich, geführt von meinem Schutzengel, am 1. März 1938 die Reise in die Türkei zur Übernahme der Planung des neuen Parlaments unternommen und dort meine Zelte aufgeschlagen, kam eine Einladung des Präfekten von Rio de Janeiro für große Bauprojekte der Stadt. Die bald auch schon in der Türkei einsetzenden unsicheren Kriegsläufte ließen mich die weite Reise zur Sicherung meiner Familie tun. Als Gast der Präfektur in Rio de Janeiro, der zaubervollen Stadt, fühlten wir uns zunädist recht wohl. Die Abfassung der nötigen Verträge mit der Präfektur ging aber ■•o schleppend, daß ich mich nach anderen Aufgaben umsehen konnte. Da hatte ich doch schon am Bosporus in Kenntnis des großen Aufschwunges katholischen Lebens in Brasilien ein Idealprojekt für eine Riesenkathedrale, als moderner Zentralbau gestaltet, entworfen. Mit der Mappe dieser Pläne unterm Arm klopfte ich im Erzbischöflichen Palais an. Der greise Kardinal Lerne empfing mich herzlidi. Nach 14 Tagen erschien der Erzbischof von Belo Horizonte Dos Santos Cabral und bestellte eine Kathedrale. Ich flog 400 Kilometer landeinwärts über Urwälder und Orangenplantagen und gelangte in die stark aufblühende Stadt Belo Horizonte, der hügeligen Hauptstadt der Provinz Minas Gerau. Das versammelte Baukomitee und der Gouverneur fanden mein mitgebrachts Idealprojekt für die Kathedrale, am Bosporus als Phantasiegebilde größten Ausmaßes entstanden, sehr schön, aber zu klein. Ich zog Galerien ein und brachte so den Fassungsraum mit aller Not auf die gewünschten 14.000 Personen. Nachdem der Bauplatz festgelegt war, zog ich ab. Erst zwei Jahre später, als ich schon längst wieder am Bosporus saß, kam der telegraphische Auftrag. Nach einem weiteren Jahr konnte ich durch die Amerikanische Botschaft das vollendete Bauprojekt nach Brasilien schaffen lassen. Dort baut man an einer größeren Kirdie 30 bis 40 Jahre und mehr. Dies hängt mit der vom Staate einzuhebenden Kirchensteuer zusammen, deren langsames, aber ständiges Fließen, dieses, dem Brasilianer im übrigen nidit fremde Tempo, der Bauzeit mittelalterlicher Dome nähert. Möge es mir beschieden sein, die Vollendung der Krypta der Kathedrale noch zu erleben!

Der Grundgedanke meines Entwurfes ist der christozentrische: dies aber bis zur letzten Konsequenz. Das Presbyterium erhebt sich, allen Tausenden von Andächtigen in gleidnem Maße sichtbar, als eine kreisrunde Insel mit dem Hochaltar im Zentrum des Riesenraumes von 70 Meter Durchmesser. Uber dieses Zentrum wölbt sich in flacher Kurve die in Eisenbeton zu erbauende Kuppel. In ihrem Scheitel aber, 20 Meter weit geöffnet, ist die Riesenorgcl mit dem Sängerchor angebracht. Darüber schwebt die lichtspendende Laterne, sie ist ein gläserner Kuppelbau von 10 Meter Durchmesser. Somit vereinigen sich Altar, Singchor und Lichtquelle in der einzigen. Axe des Baues. Ein Kapellenkranz mit Emporentreppen und Seitenaltären- betont nochmals das Christozentrische. Das Äußere zeigt diesen Riesenschrein, der das Allei-heiligste birgt in Form eines gegliederten Zylinders. Aus ihm steigen 24 mächtige Rippen aus Eisenbeton auf und vereinigen sich frei in der Luft zu einer tiaraförmigen Krone, die in 150 Meter Höhe das Symbol Christus Rex trägt.

Im altehrwürdigen Benediktinerkloster San Bento auf dem Berge, unweit des Hafens von Rio, umbrandet vom Lärm der Großstadt, konnte ich zu meiner großen Freude die Bekanntschaft mit dem Österreicher Erzabt Zeller erneuern. Er übertrug mir den Entwurf für eine bedeutsame Erweiterung der Stiftsanlagc mit Schulen und Nebengebäuden und später noch eine kleine Marienkirche im Urwald. Beides fand die volle Zustimmung des Conventes.

Viel schwieriger gestaltete sich der Erweiterungsbau einer Anbetungskirche für den Convento dos Padres Sacramentinos. Außerordentlich besdiränkte Raumverhältnisse zwangen mich hier zu einer Lösung, die in ihrer äußeren Auswirkung nahezu symbolischen Charakter erhielt. Das Heiligtum der ewigen Anbetung wird von zwei mächtigen Wohntürmen bewacht, in ihnen sind die Zellen für die Sacramentiner-Conventualen in zehn Stockwerken übereinander, während in den obersten Stockwerken ein Geläute besonderen Ausmaßes aufgestellt werden soll.

Inzwischen hatte ich aber die vom Präfekten aufgetragenen Arbeiten für eine städtebauliche Planung und für eine neue Präfektur in Rio de Janeiro im Entwurf zum Abschluß gebracht. Aber auch meine Zeit war um. Man rief mich dringend für den Parlamentsbau nach der Türkei zurück. Die Präfektur aber war darüber sehr verstimmt und so kam es vorderhand zu keinem Abschluß.

In den letzten Wochen meines Aufenthalts wurde ich über Empfehlung des deutschen Franziskanerrnöndies Pater Sinzig, der sich als führender Kunstreferent von Rio in geradezu glühender Weise für meine Auffassung über neue kirchliche Baukunst, im besonderen aber für meinen Kathedralentwurf eingesetzt hatte, nochmals ins Innere Brasiliens geführt, nach Aparecida, dem größten Wallfahrtsorte des Landes, zwischen Rio und San Paolo gelegen.

Eine Wallfahrtsanlage auf dem Berge, allergrößten Stils, sollte geplant werden. Vielen Tausenden von Pilgern müssen Unterkunftsräume geboten werden, um das Gnadenbild, dem von Czenstochau nicht unähnlich, sollten 24 Altäre Aufstellung finden. Im Anschluß an diese Riesenbasilika mußten noch eine Beichtkirche und eine Trauungskirdie vorgesehen werden. Dies alles nun auf hohem Berge, am Rande eines steilabfallenden Geländes, von Palmenhainen umgeben. Die Rücksidit auf die in tropischer Hitze aus allen Gegenden zu Fuß einlangenden Pilger zwang mich zu besonderer Lösung: die Pilgerscharen werden, am Fuße des Wallfahrtsberges anlangend, in weiträumigen Pilgerheimen gelabt und verpflegt. Der Weg zum hochgelegenen Heiligtum aber führt durch riesenhafte Pfeilerhallen, als Substruktionsbauten unter der hochgelegenen Basilika ausgebildet, zu ihrem weiten bergseitig gelegenen Vorplatz hinauf. Auf 40 Meter breiten Treppen wallen die Pilger in von Fontänen gekühlten dämmngen Hallen. Auf den Podesten der Treppe ermahnen die 14 Kapellen der Kreuzstationen zum Gebet. Endlich oben angekommen, gelangen die Pilger durch schattige Palmenalleen in das Heiligtum zum Gnadenbild. — Den Entwurf hiezu habe ich auf der Rückfahrt von Rio nach Genua in enger Schiffskabine ausgearbeitet und ihn in Mailand der Post übergeben. Das weitere Schicksal ist mir unbekannt. Mit unserem Schiff fuhren Hunderte von norwegischen Fischern, die aus den südlichen Gewässern kamen, in die eben von Hitler besetzte Heimat. Es waren die Apriltage von 1940.

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