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Der Kongreß der Pracht und der Sorgen

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Ein Kongreß der Gegensätze — kein Wunder, Brasilien selbst ist ein Land größter Gegensätze: die Wolkenkratzerstadt Rio ist die Hauptstadt eines Landes, in dem ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung noch Analphabeten sind; in Rio kann man alle Feiern auf dem Kongreßplatz daheim mitverfölgen im Fernsehfunk, während auf weiten Strecken des „Interior“ elektrischer Strom noch etwas Unbekanntes ist. Als wir Oesterreicher als Prozessionsteilnehmer durch die Wolkenkratzer-Avenue Rio Branco zogen, erzählte mir ein Mitbruder — er ist Missionär im Amazonasgebiet —, daß seine Pfarrkinder eben daran seien, aus der „Kulturstufe“ des Steinzeitalters herauszukommen. Während die Redner mit Stolz auf die katholische Vergangenheit Brasiliens hinweisen, kann man fünf Minuten weiter weg in der Missionsausstellung von der zähen und mühsamen Arbeit der Missionäre im gleichen Brasilien einiges erfahren.

Ein Kongreß der Pracht: Wenn jemand Feste zu feiern versteht, dann der Siid-amerikaner. „Er hungert ein Jahr, um einen Tag lang ein Fest feiern zu können“, versichert mir allen Ernstes ein guter Kenner des Landes. Lind wenn eine Stadt der Welt als Feststadt geeignet ist, dann Rio, die „weiße“ Stadt, die in vielen Dingen schönste Stadt der Welt. An die tausend Scheinwerfer überstrahlen den Festaltar, der auf einem Platz steht, wo vor einem Jahr noch Meer war, dahinter steht die Front der Wolkenkratzer, sie selber wieder überragt vom Gebirge, und das alles überstrahlt vom südlichen Sternenhimmel; am Meer draußen aber steht die gesamte im Hafen befindliche Flotte in abertausend Lichtern-glänzend: das ist die Kulisse einer der Veranstaltungen, die in einer ununterbrochenen Kette acht Tage und acht Nächte lang als Pontifikalämter, Kommunionmessen, nächtliche Anbetungsstunden, fulminante Predigten, tiefschürfende Referate, Konzerte und Schauspiele sich vollziehen, und das alles nicht bloß auf dem Kongreßplatz selber, sondern die ganze weite Stadt miteinbeziehend, eine Stadt von fast drei Millionen Einwohnern, zu denen noch die Riesenschar der Pilger kommt. Das Spalier bei den Prozessionen ist zehn- und zwanzigfach und setzt sich noch fort bis in das 20. oder 30. Stockwerk der Wolkenkratzer auf beiden Seiten. Und wenn auch nicht alle Mitbetende sind, bloße Zuschauer gibt es auch nicht. Alles winkt, schreit, agiert mit.

Ist das alles nur Aeußerlichkeit? Hier nicht. Hierzulande will man von feinen Distinktionen zwischen äußerer Betätigung und innerer Ueber-zeugung nichts wissen und sieht in diesen äußeren Dingen schon eine Betätigung.

Wer „wesentliche“ Dinge sucht, findet sie wohl auch: Durch drei Monate hindurch wurde Rio selbst in einer Volksmission vorbereitet; acht Tage lang wurden auf dem Kongreßplatz die Beichtstühle nicht leer; das Militär hält nächtliche Anbetungsstunden, die durchaus nicht „kommandiert“ wirken; Polizisten knien bei der heiligen Wandlung in wirklicher tiefer Andacht; der Ordnungsdienst wird in mühsamer Kleinarbeit hauptsächlich von Angehörigen der „besseren“ Kreise versehen, geführt von der Gattin des Polizeichefs. Trotz der Trennung von Kirche und Staat in diesem Land wirken alle öffentlichen Stellen eifrig mit, betrachten den Kongreß auch als ihre Sache, und so kann er sich zu einem für uns unvorstellbaren Maß der Pracht entwickeln. Zudem ist die „Luft“ in diesem Land wirklich katholisch, trotz vieler Dinge, die einen Europäer nachdenklich stimmen möchten.

Aber der Kongreß der Pracht wird auch zu einem Kongreß der Sorgen, der Sorgen des ganzen katholischen Erdkreises, die sich bei diesem Internationalen Katholikentag — denn zu einem solchen haben sich die Eucharistischen Weltkongresse ja längst entwickelt — in ähnlich drängender Fülle wie das festliche Tun selbst zusammendrängen.

Weihbischof Monsignore Tato ist zum immer wieder mit Ovationen bedachten Symbol aller äußeren Verfolgung und Unterdrückung geworden. Der Bericht eines Priesters aus Argentinien, in dessen Antlitz die kaum vernarbten Spuren von Schlägen zu sehen sind, zeigt die Unmittelbarkeit drohender Gefahren. Die gleich hinter den Wolkenkratzer-Avenuen aufsteigenden Ranchos, die Bretterhütten der armen Volksteile von Rio, sind das Symbol für alle noch immer bestehenden, in Südamerika besonders spürbaren sozialen Gegensätze. Und die vielen Menschen, die sich hier „am Strande von Rio“ in den Sand knien, um das Allerheiligste zu verehren, sind selber der unmittelbare Gegenstand der Seelsorge in unserer Zeit, die alles mit zunehmender Lockung zu einem immer mehr verfeinerten Lebensgenuß an sich reißen will. „Finden Sie es nicht symbolisch, daß man als Kongreßplatz einen Platz wählte, den man neu dem Meer abgerungen hatte?“ meinte nachdenklich ein Seelsorger auf dem Kongreß. „Der Glaube hier ist echt, aber er ist dünn ...“ Ob das für Südamerika allein gilt?

Aber es liegt über allem doch ein echter Optimismus, der die Sorgen sieht, sie aber auch anpackt, energisch und praktisch. Die Konferenzen des Klerus während der Kongreßwoche gleichen Besprechungen von Frontoffizieren, sie sind nüchtern, aber zuversichtlich, und es ist nicht bloß der Glanz des Kongresses, der zu diesem Optimismus berechtigt, sondern viele Tatsachen: der Priesternachwuchs in Südamerika ist im Ansteigen — und zwar, was das Entscheidende ist, aus der einheimischen Bevölkerung —, die Referate führender Laien standen weder an Glut der Begeisterung noch an Tiefe der Gedanken denen der Priester nach. (Das Referat des Leiters des österreichischen Pilgerkomitees, eines Direktors einer Fabrik in Rio. über das Thema: „Die menschenverbindende Kraft der Eucharistie“, erregte geradezu Aufsehen.), Die zunehmende' straffe Organisierung der katholischen Aktionen erhöht mehr und mehr deren Wirksamkeit - manche Orden haben bereits begonnen, Kinos und Rundfunkstationen, das Fernsehen miteingeschlossen, in eigener Regie zu führen — und über allem stand der feste Wille zur Zusammenarbeit zwischen allen Völkern und Rassen aus der Kraft des einen Brotes der Eucharistie. Die Gastfreundschaft gegenüber den ausländischen Teilnehmern des Kongresses wurde übrigens in einem Maß von Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft geübt, daß mari das Wort von „internationaler Zusammenarbeit“ fast als abgeschmackt empfindet; es war viel eher eine große Tischgemeinschaft, eine Agape aller Völker.

Und das beängstigende Gefühl, das man in Rio hat, wenn man neben den Wolkenkratzern vergeblich nach äquivalenten Kirchenbauten sucht, das Gefühl, daß die Welt der Kirche bereits „davongewachsen sei“, wird wieder beruhigt bei dem Bewußtsein, daß man mitten in diese Stadt, ja unmittelbar an den „Strand von Rio“ das Allerheiligste hinzustellen wagte, in dem festen Glauben, daß diese Welt trotz allem Gottes Welt ist und sein wird.

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