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Portugiesische Impressionen

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Schreitet man Lissabons große Prachtstraße, die Avenida de Liber- dade, vom Denkmal des Marąuės de Pombal zum Rossio hinab, den ein Gewirr enger Geschäftsstraßen vom überwältigenden Entree vorn Meer her, der Praęa do Comercio, trennt, fallen Plakate auf, welche ein amtlicher Propagandadienst an die schneeweißen Wände der Häuser geklebt hat. Sie zeigen die Landkarte Europas; schmal im äußersten Südwesten ist Portugal eingezeichnet, daneben überdeckt Portugiesisch- Moęambiąue einen Raum von Spanien bis Vorarlberg und anschließend Angola die Länder von Niederösterreich bis in die westliche Sowjetunion — so groß ist Portugal mit seinen mehr als zwei Millionen Quadratkilometern. Erinnerung an eine grandiose Vergangenheit, die hier zu uns spricht, Werbung für innenpolitischen Bedarf, oder ein Programm für eine reale Zukunft?

Vor 60 Jahren konnte man in Wien zu einer ausgiebigen Freiheitsstrafe verdonnert werden, wenn man „Hoch Portugal!“ rief. 1910 hatte sich Portugal zur Republik erklärt; seither hatte der Hochruf auf Portugal im konservativen Mitteleuropa eine Bedeutung wie heute das Geschrei „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!“. 1911 fanden in Wien sozialistische Kundgebungen statt, die ein Todesopfer forderten.

Wurden Demonstranten, die Portugal hochleben ließen, vom Richter befragt, was Portugal sei oder wo es liege, kam regelmäßig eine erschütternde Unkenntnis des Landes, das man gefeiert hatte, zutage…

In jenem Jahr wurde jener Staatsmann geboren, der gegenwärtig die Geschicke Österreichs lenkt. Seine Gesinnungsfreunde lassen Portugal nicht mehr hochleben, die Dinge haben sich bei uns, wie dort, gewandelt. Im Hohen Senat der Vereinten Nationen ist Portugal sozusagen der Klassenletzte geworden, der nicht einsehen will, daß das Heil der farbigen Völker im völligen Rückzug des weißen Mannes liege.

Wer das Quadrat der Iberischen Halbinsel auf der Landkarte betrachtet, stellt sich fast zwangsläufig die Frage, wieso Portugal nicht gleich Leon, Kastilien und Aragonien im Königreich Spanien auf gegangen ist, das sogar den eigenwilligen Stamm Kataloniens und das Fremdvolk der Basken eingeschmol- zen hat. Die innere Trennung Portugals von Spanien geht soweit, daß als die beiden großen Ereignisse der portugiesischen Geschichte auf europäischem Boden Siege über Spanien gefeiert werden, die glorreiche Schlacht von Aljubarrota, 1386, an welche die wundervolle Kirche von Batalha erinnert, und die

Loslösung von Spanien im Jahr 1640, durch welche die erzwungene Vereinigung von 1580 beendet wurde.

Dabei ist der geschichtliche Grundstock beider Völker derselbe. Uber die Keltiberer lagerte sich die römische Herrschaft; ihr folgte der Adel germanischer Alanen, Sueben und Westgoten, und diesem das Regiment der Muslim. Beider Völker Heldenzeit ist die Reconquista; nun aber blickt der Portugiese über das Meer. Der Sohn des Siegers von Batalha ist jener geniale Heinrich der Seefahrer, der mit der Erschließung Afrikas beginnt. Ein Jahrhundert später gebietet Portugal von Brasilien über das Kap der Guten Hoffnung und Indien bis zu den indonesischen Inseln und zur Küste Chinas; Macao und Timor sind die letzten Pfeiler des einst so stolzen Baues.

Welche Möglchkeiten hatte damals das christliche Europa! 1484 läßt sich die Königsfamilie des Kongo taufen; Prinz Enrique wird in Lissabon erzogen und 1518 durch Papst Leo X. zum Bischof geweiht. In Portugal regiert Manuel I., unter dem das Land seine schönste Blüte erlebt Man ist zur Frage berechtigt, warum sich die politische und kulturelle Machtstellung nicht halten ließ. Der Rückgang beginnt mit dem Verlust der Selbständigkeit durch die 60 Jahre spanischer Herrschaft. Auch hat die Auf hebung der Orden durch den um die Wirtschaft des Landes und den Aufbau von Lissabon nach dem Erdbeben von 1755 hochverdienten Mar- quės des Pombal viele Kulturarbeit jenseits der Meere zum Verdorren gebracht.

Portugal mangelt der düstere Glanz Spaniens. Hier Hochflächen mit harten Linien, dort ein müdes Land mit feuchter Meeresluft. Die spanische Sprache klingt männlich, das Portugiesische scheint für das Ohr nur aus melodischen Diphthongen und Nasallauten zu bestehen. Dabei ist die Einheitlichkeit europäisch-mittelalterlichen Baugeschehens keineswegs an Portugal vorübergegangen. Die gewaltige Kathedrale von Alco- baęa atmet den Geist der Zisterzienser des 12. Jahrhunderts in ihrer Größe und der Einfachheit der Formen. Hier liegen Pedro I. und die schöne Inės de Castro begraben. Pedro hatte sich ohne Zustimmung seines Vaters mit Inės vermählt, worauf der alte König Inės ermorden ließ. Nach seiner Thronbesteigung rächte Pedro die Bluttat; er ließ Inės aus dem Grabe heben und mit den königlichen Gewändern bekleiden, worauf die Großen des Reiches ihr huldigen mußten. In der nüchternen Gegenwart, 600 Jahre später, sind die beiden Steinsärge das Ziel unglücklich Liebender…

Portugiesischer Genius hat die strenge Gotik, wie sie aus Frankreich kam, fortgebildet. Zum Danke für das Gelingen der Ostindienfahrt des Vasco da Gama ließ König Manuel I. das riesige Kloster der Hieronymiten am Ufer des Tejo bauen. Schon war die Renaissance der Stü der Zeit, doch waren die Künstler Portugals noch weitgehend der Gotik verhaftet, so daß ein eigenartiger „mannu- elischer“ Stil entstand, für das Land charakteristisch. Im „Mosteiro dos Jerönimos“, in dessen Kreuzgang sich westliche und östliche Dekorationskunst begegnen, liegen zwei Portugiesen von Weltgeltung begraben, Vasco da Gama, der größte Entdecker seiner Nation, und Luis Vaz de Camöes, der Dichter des Epos „Os Lusiadas“, das in zehn Gesängen von 1102 achtzeiligen Stanzen die großen Entdeckungsfahrten Portugals feiert. Man kann in Portugal schwer anecken, spricht man von Kolonien. Weder Guinea noch Angola noch Moęambique sind „Kolonie“, sondern „provincia ultramarina“, Provinz jenseits des Meeres. Rassenschranken gibt es in Portugal nicht, theoretisch kann ein Neger Staatspräsident werden. Aber gerade die portugiesische Toleranz in Rassenfragen wird von den meisten afrikanischen Neustaaten als Provokation angesehen, weil sie die Assimilation fördert und damit dem schwarzen Nationalismus entgegensteht. Die Paradoxie, daß mit solchen politischen Philosophemen ein neuer Rassismus, diesmal im umgekehrten Sinn, gezüchtet wird, fällt den modernen Nationalisten scheinbar nicht auf. Ein einziger „schwarzer“ Staat zieht hier nicht mit: Malawi, das mit Portugal Beziehungen auf Botschafterebene unterhält.

Nun wäre die afrikanische Einstellung zu Portugal eine Sache, die nur die Beteiligten anginge und — leider — das Klima bei den Vereinten Nationen verschlechtert, stünde nicht die internationale Publistik fast zur Gänze unter dem Druck vorfabrizierter Meinungen. Selbst Portugiesen, die innenpolitisch ihre eigenen Ansichten haben, sind überzeugt, daß die Afrikapolitik ihres Landes, aus einer ferneren Distanz gesehen, ihre Rechtfertigung finden wird. Hoffentlich nicht für alle Beteiligten zu spät

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