Zeitenwende 1500

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Als im Millennium Halbzeit herrschte, kamen neue Zeiten - mit Auswirkungen bis heute: Globalisierung, Konflikte der Konfessionen, Aufschwung der Medien ...

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Als im Millennium Halbzeit herrschte, kamen neue Zeiten - mit Auswirkungen bis heute: Globalisierung, Konflikte der Konfessionen, Aufschwung der Medien ...

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Gehen wir 500 Jahre zurück und halten wir im Umkreis des Jahres 1500 Ausschau nach entscheidenden kulturellen, ökonomischen und politischen Veränderungen in Europa, so stoßen wir auf mehrere miteinander verbundene Entwicklungen, deren Auswirkungen bis heute erkennbar oder sogar spürbar sind. Am augenfälligsten scheinen dabei jene Veränderungen im Beziehungssystem Europas zu den nichteuropäischen Gebieten der Erde zu sein. Anders gesagt könnte man mit einer gewissen Berechtigung den Beginn jener Globalisierung konstatieren, von der wir heute betroffen sind.

Damals war ein "modernes Weltsystem", eine "europäische Weltwirtschaft", im Entstehen begriffen, die im Zuge der europäischen Entdeckungen und Eroberungen des 15. und 16. Jahrhunderts die schrittweise Einbeziehung einzelner Regionen und ganzer Kontinente bewirkte. Die Europäer hatten um 1500 schon die traditionelle Grenze zu Afrika und Asien überschritten und neue, direkte Handelsbeziehungen zu Indien und Amerika eröffnet. Von ähnlicher Stringenz waren die langfristigen Entwicklungen im Bereich von Kultur und Religion, wenn man in Betracht zieht, welche Wirkungen und Gegenwirkungen mit dem Phänomen der Reformation(en) verbunden waren. Ökonomisch-politische und kulturell-religiöse Phänomene sind nicht dualistisch zu sehen, sondern in vielfacher gegenseitiger Bedingung, Verflechtung und Überlagerung.

Die Entdeckung der (Neuen) Welt Um 1500 haben wir den ersten Kulminationspunkt der Entdeckungen portugiesischer und kastilisch-spanischer Provenienz vor uns: Vasco da Gama hat Indien erreicht, und Portugal beginnt in Asien ein System von Handelsstützpunkten zu errichten. In Amerika sind die Großen Antillen in der Karibik erobert, die Indios werden missioniert und geraten in eine von den spanischen Eroberern verursachte demographische Krise, die eine Dezimierung der einheimischen Bevölkerung zur Folge hat. Brasilien wird gesichtet, aber in seiner künftigen Bedeutung noch nicht erkannt.

Blicken wir weiter zurück auf den Ursprung dieser Veränderungen, so gelangen wir zu den portugiesischen Afrikafahrten, die dem Ziel galten, an die Reichtümer Asiens direkt - unter Umgehung der muslimisch-osmanischen Barriere des "Nahen Ostens" - zu gelangen. Das jedoch - könnte man einwenden - haben europäische Nationen ja das gesamte Mittelalter hindurch versucht. Wie dünn und temporär jedoch diese Beziehungen und die damit verbundene Kenntnis Asiens eigentlich war, geht daraus hervor, dass das etwa zwei Jahrhunderte veraltete Chinabild - das von Marco Polo, so gut und detailliert dies auch war - als höchst aktuell galt und Kolumbus noch zur Orientierung diente. Es war die Blickrichtung nach Asien, von der Europa von jeher fasziniert gewesen ist, und Amerika wäre damals nicht gefunden worden, hätte Kolumbus nicht auf dem Westweg Asien gesucht, um wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen und europäische Stützpunkte zu gründen.

Eine dauernde Präsenz außerhalb Europas hatte die Konsolidierung der Monarchien auf der Iberischen Halbinsel - Portugal, Kastilien, Aragonien - zur Voraussetzung. Dieser Prozess setzte schon in den 1470er Jahren des 15. Jahrhunderts ein. Hier wie in weiten Teilen des übrigen Europa lässt sich eine Konsolidierung der Fürstenstaaten im Sinne einer "gestalteten Verdichtung" von Herrschaft (Peter Moraw) konstatieren. Dies gilt auch für das Heilige Römische Reich, das im übrigen mehr Gebiete als das heutigen Deutschland umfasste.

Damals entstand der "frühmoderne Staat" Europas mit jenen Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen und der dazu gehörenden Bürokratie, die wir auch aus der Gegenwart kennen. Diese einzelstaatliche Entwicklung brachte in der Folgezeit auch europäische Herrschaftskonzepte wie die "Monarchia universalis" Kaiser Karls V. um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum Scheitern.

Europa der konfessionen und Medien Das zweite wesentliche Moment der europäischen Entwicklung nach 1500 war die Reformation, beginnend mit der lutherischen Reformation, und ihre Rezeption beziehungsweise Ablehnung - also die Entwicklung zu einem von Konfessionen geprägten Europa. Die lutherischen, zwinglischen und calvinischen Reformationen waren keine "mittelalterlichen Ketzereien", die, wie dies manche Humanisten erwarteten, wieder vergehen würden. Sie blieben vielmehr bestehen, verfestigten sich institutionell-organisatorisch zu Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Bis heute prägen die Konfessionen die europäische Geschichte beziehungsweise schimmern unter der Oberfläche einer säkularisierten Gesellschaft durch, zieht man etwa die wichtigen Aufgaben der gerade in die Krise geratenen Ökumene in Betracht.

Es gilt auch zu bedenken, dass die Errungenschaften der vor 500 Jahren aktuellen Medien, nämlich der im 15. Jahrhundert erfundene Buchdruck, die rasche Information über die Entdeckungen und Eroberungen der Europäer ebenso wie die wirkungsvolle Agitation und Propaganda der reformatorischen Bewegungen in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit ermöglichte.

Suchten die Reformatoren Antworten und Modelle auf die kirchliche und religiöse Krise des spätmittelalterlichen Europa, so reagierten die zur See fahrenden und Handel treibenden Nationen auf die Eroberung von Byzanz durch die Osmanen (1453) und die seitdem steigende osmanische Bedrohung und Sperrung der traditionellen Handelsrouten zwischen Europa und Asien mit Eigeninitiativen, Seewege nach Asien zu suchen.

Es ist nicht nur die Irreversibilität beider Entwicklungen, der europäischen und der von Europäern außerhalb Europas verursachten Vorgänge, die es festzuhalten gilt, sondern auch deren Gleichzeitigkeit. Bezeichnend dafür ist die Simultaneität des ersten Höhepunkts der lutherischen Bewegung auf dem Wormser Reichstag 1521 - und damit in der Öffentlichkeit des Heiligen Römischen Reiches - und der Eroberung des bedeutendsten amerikanischen Großreiches der Azteken in Mexiko durch den spanischen Conquistador Hernan Cortes (1521).

Aussereuropäische Räume erfasst Damit sollte illustriert werden, dass über eine Geschichte Europas - sie ist gerade zum beliebten Thema geworden - sinnvollerweise hinausgegriffen werden sollte, auch wenn die außereuropäische Entwicklung anfänglich nicht so gravierend war. Die Grenzen dieser Weltwirtschaft, verstanden als ein weltumspannendes Phänomen, das jenen Teil der Menschheit umfasst, der wechselseitig Handel treibt und heute nur noch einen Teil darstellt (Fernand Braudel), rückten gegen Ende des 15. Jahrhunderts schlagartig in schwer überwindbare Randbereiche (wie etwa Südsee und Südatlantik). Erst im 17. und 18. Jahrhundert wurde das europäische Handelsnetz intensiviert, indem die von Spanien und Portugal monopolisierten Handelsrouten auch von anderen europäischen Nationen wie England und Frankreich, genützt wurden.

Die neuzeitliche und sich vom Mittelalter unterscheidende Entwicklung bestand letztlich in der dauernden Einbeziehung außereuropäischer Räume. Es ist kein Zufall, dass europäisches Selbstbewusstsein und europäische Identität am deutlichsten in Außereuropa, vor allem in den eroberten Gebieten der Neuen Welt, zum Ausdruck kamen, wo selbstverständliche Besitzergreifung, verbunden mit Gewaltanwendung jeglicher Art, ebenso üblich war wie christliche Mission und Aufbau eines Untertanenverbands nach europäischem Muster. Die Nachwirkungen sind für jeden sichtbar und nachvollziehbar, der sich jemals in Lateinamerika aufgehalten hat.

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien.

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